Peters Retse
hin und die Freude am Erlebnis, wo die Kraft zur sröh-
lichen Illusion?"
Auch das Rattern des Zuges sprach von trostlosem
Müssen, von Eingeengtsein in vorgeschriebne Bahn, das
Viereck seines Abteils almete erschreckende Nüchternheit,
verschossener Samt predigte Mißtrauen in alle Schönheit,
und er kam sich so unsäglich lächerlich vor, wie er hier durch
unbekanntes Gelände sauste mit einem unbekannten Ziel.
Menschen, Menschen! fuhr es ihm durch den Sinn.
Ob die audern alle ein Ziel haben, ob sie wissen, was sie
wollen und wohin sie gehen, ob sie sich klar sind, was sie treibt,
und ob sie empfinden, wie hinter dem dünnen, blitzenden Flor,
der das Leben ist, das große Nichts lauert?
Die Einsamkeit ist an allem schuldl Entschloffen schob
er die Tür auf und ging fast zaghaft hinaus, sich bewußt,
daß der Ausdruck eines Willens und eines Bewußtseins
in einem Gesicht ihn heilen könnte. Er ging den Gang
entlang und sah in die Abteile hinein:
Ein Mann mit widerlichem Schnauzbart und listigen
Augen, die Zigarre in langer Papierspitze schräg nach oben
im Mund haltend, eine zahnlose, schmutzige, heftig gestikulier-
ende Alte — gut, daß man nichts verstand!
Weiter! Drei Männer, die auf einem hochgestellten
Koffer Skat spielten, ein vierter gab hinter dem Rücken von
zweien dem drilten Zeichen mit der Land.
Drei schlasende Menschen und ein Liebespaar. Sie saß
ihm halb auf dem Schoß, und er zog erschreckt seine Land
zurück beim Nahen des Fremden. Angewidert wandte sich
Peter ab und ging in sein Abteil zurück. Sie alle hatten
kein Ziel, und doch waren ste nicht so ziellos wie er: sie
kannten kein Ziel!
Er faßte in die Tasche, um sich eine ncue Zigarre
anzustecken, und griff auf knisterndes Papier. Neugierig,
was es sei, zog er es hervor und las:
„Es ist famos, daß Siestch einmal wieder gemeldethaben!"
Brennende Röte stieg ihm in die Wangen. Was war
er für ein Mensch! Vier Stunden fuhr er jeht fast und
hatte vollkommen vergessen, weswegen er fuhr und wohin.
And jetzt enlsann er stch, daß er mit einer großen Freude
auf dies Wiedersehen heutemorgen in den Zug geftiegen war.
„Die alte Freundschaft muß natürlich mal wieder auf-
gefrischt werden!" schrieb sie in ihrer burschikosen Art.
„Sie kommen doch bald mal nach Berlin, ja?"
Warum denn nur hatte er sosort telegraphiert, daß er
käme, er kannte sie ja kaum! So, wie er sie immer wieder
in all den Iahren seit der flüchtigen Bekanntschaft vor stch
gesehen hatte, groß, schön und blond, war ihr Vild sicher
idealisiert. Aber das hätte man sich vorher überlegen
sollen, ehe man die längst eingeschlasene Korrespondenz
wieder auffrischte.
Zn diesem Augenblick lam ihm das alles ganz absurd
vor. Was wollte er eigentlich bei ihr? Gewiß, sie würde
noch von dieser leichten und doch nicht oberflächlichen Art
sein, die ihm so wohl tat. Er würde sich einige Stunden
daran erfreuen und sich dann wieder fortsehnen, ehrlich
gesagt sich langweilen, so, wie er sich immer langweilte,
wenn das erste wonnige Sichkennenlernen vorüber war.
Merkwürdig, wie jeder Mensch sofort allen Reiz für
ihn verlor, sobald er sein Temperament, das Wesentliche
seiner Lebensart und damit seine Eingeordnelheit und Be-
dingtheit erkannt hatte. Wieder würde nur ein Mensch
übrig bleiben, der genau wie die andern auf seinem un-
verrückbaren Gleise lief.
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hin und die Freude am Erlebnis, wo die Kraft zur sröh-
lichen Illusion?"
Auch das Rattern des Zuges sprach von trostlosem
Müssen, von Eingeengtsein in vorgeschriebne Bahn, das
Viereck seines Abteils almete erschreckende Nüchternheit,
verschossener Samt predigte Mißtrauen in alle Schönheit,
und er kam sich so unsäglich lächerlich vor, wie er hier durch
unbekanntes Gelände sauste mit einem unbekannten Ziel.
Menschen, Menschen! fuhr es ihm durch den Sinn.
Ob die audern alle ein Ziel haben, ob sie wissen, was sie
wollen und wohin sie gehen, ob sie sich klar sind, was sie treibt,
und ob sie empfinden, wie hinter dem dünnen, blitzenden Flor,
der das Leben ist, das große Nichts lauert?
Die Einsamkeit ist an allem schuldl Entschloffen schob
er die Tür auf und ging fast zaghaft hinaus, sich bewußt,
daß der Ausdruck eines Willens und eines Bewußtseins
in einem Gesicht ihn heilen könnte. Er ging den Gang
entlang und sah in die Abteile hinein:
Ein Mann mit widerlichem Schnauzbart und listigen
Augen, die Zigarre in langer Papierspitze schräg nach oben
im Mund haltend, eine zahnlose, schmutzige, heftig gestikulier-
ende Alte — gut, daß man nichts verstand!
Weiter! Drei Männer, die auf einem hochgestellten
Koffer Skat spielten, ein vierter gab hinter dem Rücken von
zweien dem drilten Zeichen mit der Land.
Drei schlasende Menschen und ein Liebespaar. Sie saß
ihm halb auf dem Schoß, und er zog erschreckt seine Land
zurück beim Nahen des Fremden. Angewidert wandte sich
Peter ab und ging in sein Abteil zurück. Sie alle hatten
kein Ziel, und doch waren ste nicht so ziellos wie er: sie
kannten kein Ziel!
Er faßte in die Tasche, um sich eine ncue Zigarre
anzustecken, und griff auf knisterndes Papier. Neugierig,
was es sei, zog er es hervor und las:
„Es ist famos, daß Siestch einmal wieder gemeldethaben!"
Brennende Röte stieg ihm in die Wangen. Was war
er für ein Mensch! Vier Stunden fuhr er jeht fast und
hatte vollkommen vergessen, weswegen er fuhr und wohin.
And jetzt enlsann er stch, daß er mit einer großen Freude
auf dies Wiedersehen heutemorgen in den Zug geftiegen war.
„Die alte Freundschaft muß natürlich mal wieder auf-
gefrischt werden!" schrieb sie in ihrer burschikosen Art.
„Sie kommen doch bald mal nach Berlin, ja?"
Warum denn nur hatte er sosort telegraphiert, daß er
käme, er kannte sie ja kaum! So, wie er sie immer wieder
in all den Iahren seit der flüchtigen Bekanntschaft vor stch
gesehen hatte, groß, schön und blond, war ihr Vild sicher
idealisiert. Aber das hätte man sich vorher überlegen
sollen, ehe man die längst eingeschlasene Korrespondenz
wieder auffrischte.
Zn diesem Augenblick lam ihm das alles ganz absurd
vor. Was wollte er eigentlich bei ihr? Gewiß, sie würde
noch von dieser leichten und doch nicht oberflächlichen Art
sein, die ihm so wohl tat. Er würde sich einige Stunden
daran erfreuen und sich dann wieder fortsehnen, ehrlich
gesagt sich langweilen, so, wie er sich immer langweilte,
wenn das erste wonnige Sichkennenlernen vorüber war.
Merkwürdig, wie jeder Mensch sofort allen Reiz für
ihn verlor, sobald er sein Temperament, das Wesentliche
seiner Lebensart und damit seine Eingeordnelheit und Be-
dingtheit erkannt hatte. Wieder würde nur ein Mensch
übrig bleiben, der genau wie die andern auf seinem un-
verrückbaren Gleise lief.
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