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— „Das Trockengemüse heute mitkag schmeckte scheuß-
lich, Almm" — „Gott ja, ich wollte dirs noch sagen,
die neue Köchin hat dein Lerbarium dazu genommen."

Die Nache Vv„ Iosef Frank

Der Amtmann klingelte und legte gleichzeitig seine Stirn
in wulstige Falten. Das war die übliche körperliche Vor-
bereitung, wenn er einen seiner Unterbeamten anzuschnauzen
gedachte. Assistent Bieringer trat ein, unter mancherlei
Manifestationen der Ehrerbietung. Eine kurzsichtige Äunger-
gestalt, dcren glänzenden Aermeln man es ansah, daß sie schon
mindestens fünfzehn Iahre lang dcm Staat trcue Schreiber
dienste geleistet hatten. „Bieringer", sagte der Amtmann,
wobei sich seine Stirn noch wulstiger faltete, „Bieringer, ich
habe hier die Steuerakten der Karoline Wendelin. Dicses
Fräuleinhateine offenkundigeSteuerhinterziehung begangen.
Sie hat die Rente aus 4000 Mark dreiprozentiger Reichs-
anleihe mit 100 Mark angegeben, während das in Wirklich-
keit doch 120 Mark macht. Nicht wahr, Bieringer ? .. Ia,
sagen Sie ganz dreist, als wenn das ganz sonnenklar wäre.
Es war Ihnen aber bisher gar nicht sonnenklar, obwohl Sie
über dem Steuerakt von Fräulein Wendelin wahrscheinlich
eine halbe Dienstwoche verschlasen haben, ohne Fräulein
Wendelin in flagranti zu ertappen. Wo bleibt
da die sprichwörtliche Gewissenhaftigkeit, die
ein Staatsbeamter besitzen muß? Äätte ich
nicht nachgeprttft, so wäre der Slaatskasse mehr
als eine Mark Steuer verloren gegangen. Bie-
ringer, wo bleibt da die Gewissenhaftigkeit?

Sie ruinieren den Staat, wenn Sie so weiter
schlafen! And erwarten trotzdem noch, daß Sie
nächstens zum Sekretär befördert werden! Bic
ringer, soweit ich als Ihr Vorgesetzter prophe-
zeien kann, bleiben Sie Assistent Ihr Leben lang.

Nun gehen Sie!"

Bieringer ging gekrllmmten Rückens, der
Amtmann aber sandte seiner Krümmung noch
einen triumphierenden Blick »ach. An seinem
Pulte gelandet, kaute Bieringer zunächst eine
halbe Stunde lang an der Feder, wodurch er
den Anschnauzer seines Vorgesetzten besser zu
verdauen hoffte. Dazwischen brummte er ab
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und zu etwas Anartikuliertes, dessen
allenfalsige Auffälligkeit er durch sofor
tige Anstimmung eines katarrhalischen
Näusperns für die anwesenden Kollegen
als natürlich-harmlose Affektion des
Kehlkopfes darzustellen sich bemühte.
Diese unartilulierten Aeußerungen ge-
nügten auf die Dauer seiner durch deu
Chef hervorgerufenen Erregung nicht.
Er nahm ein neues Steuerformular
und malte darauf Schwein, Schwein,
Schwein. Er malte die Schweine mit
großen sorgfältigen Lettern, malte sie
mit genicßerischer Langsamkeit, ganz
hingegeben an jeden Federstrich, seine
Gesühle in minutiöser Kalligraphie aus-
lebend. Mit dem Schwein symbolisierte
er seinen Chef. Eine derartigeSymbolik
ist immer höchster Genuß für einen
ilntergebenen. And Bieringer glaubte
zu diesem symbolischen Genuß ein hei-
liges Recht zu habe», da ihm der Chef
für sein weiteres Beamtendasein jeden
Aufstieg prophetisch unterbunden hatte.
Mit weitausholendem Schnörkel, in den
er seine ganze Rachelust ergoß,beendete
er jedes Schwein und schon beim näch-
sten freute er sich auf den Gcnuß, den ihm die Ausmalung
des lommenden Schnörkels bereiten würde. So ein Schnörkel
dokumentierl höchste Gewißheit, Anwiderruflichkeit und ewige
Dauer. Es war letzies Urteil, war Verdammung, die Bie-
ringer mit jedem Schnörkel an seinem Vorgesetzten vollzog.
Iedes neue vollendete Schwein vergrößerte das Rachebehagen.
Es war ein Triumph ohnegleichen, den eigenen Chef zum
Schwein verdammen zu könuen und das noch dazu während
der Dienststunden. Da knarrte mitten in die kalligraphische
Rache hinein der Drehstuhl seines nächsten Vorgesetzten, der
des alten Sekretärs, der mühsame Anstalten traf. sein
Schnupftuch der Äosentasche zu entwinden. Das Knarren
des nächstvorgesetzten Drehstuhles ernüchterte den kalligra-
phischen Genießer. Es zeigte ihm die Llmwelt mit ihren
Drohungen und Gefahren. Zerknüllt verschwand das sym-
bolisch ausgefertigte Steuerformular in Bieringers Tasche.
Mit wohlgelungcner Karmlosigkeit in den Augen blickte Bie-
ringer um sich. Der Sekretär trompetete nur ins Schnupftuch,
tFortsehung auf Sette 86)

— „Laben Sie Ihrem verstorbenen Vetter eigenllich nahe gefianden,
Lerr Kuhlke?"

— „Weiß ich noch nicht, — die Testamentseröffnung ist ja erst morgen."
 
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