Dle Rache
zerstörerischen Wut nicht, er zerriß die hundert Fetzen wie-
der in hundert Fetzchen und diese abermals in hundert
Schnitzchen. Dann erst war er befriedigt und stopste den
abgetanen Schniychenhaufen in die Tasche. Nein, nein,
Schreibübungen waren keine besreiende Tat! Der Druck,
der noch ungelöst auf seincm Magen lag, sagte ihm das klar
und deullich. Gegen einen Chef muß man anders wüten!
Nicht mit der Feder — die war ein ganz unzureichendes
Inslrument, das nur unschädliches farbiges Wafser ver-
spritzte, nicht mit der Feder, sondern mit dem Schwert! Bei
dem Gedanken „Schwert" stiegen lriegerische Bilder in Bie-
ringer auf, so kriegerisch wie sie ihm, dem Militäruntaug-
lichen, möglich waren, der die Schrecken des Krieges nur
aus illustrierten Blältern kennen gelernt hatte. Bieringer
sah im Geiste Maschinengewehre, Flammenwerfer, 42 cm
Geschütze gegen seinen Chef wüten, unter seinem Oberbefehl
natürlich. Es war die Vision eines Großkampftages, seherisch
geschaut von einem Militäruntauglichen. So deutlich ge-
schaut, daß es Vieringer, den visionären Feldherrn, selbst
mit hineinriß in das Kampfgewoge. Er schleuderte auf das
gegenüberstehende Pult, das wegen Krankheitssall augen-
blicklich unbesetzt, Tintenkleckse, die ihm Torpedos dünkten.
Mit verzückler Miene beobachte er den Einschlag drüben
auf dem Pultdeckel. Es war eine Kriegsbegeisterung, wie
sie Bieringer, der Militäruntaugliche, nie erlebt hatte. Aber
als der Arm, des Klecksiorpedierens müde, matt herabsank,
erlosch mit der physischen Lähmung die Schlachtenvision, und
der Alltag mit Steuerakten und gekrümmten Kollegenrücken
hömte ihn ringsum an. Nein, so war's nichts, mußte er
wiederum ernüchtert schmerzvoll gestehen. Schlachtenvistonen
vernichlen keinen Chef. Das Schwert mußte nicht nur ge-
schaut, es mußte gezückt werden. Es mußte das Scheusal,
den Amtmann durchbohren. „Es" dachle er, denn noch
zögerte etwas in ihm zu denken, daß eigentlich er selbst das
Durchbohren vollführen müßte. Er sah nur ein durchbohren-
des Schwert, aber er sah nicht sich daran. And während
sein Gehirn ihm das durchbohrende Schwert vorspiegelte,
klagte eiwas in seinem Lerzen ihn der Feigheit an. Das
gab ihm einen Ruck. einen so deutlichen Ruck, daß er auf
dem Stuhl in die Löhe fuhr. Dieser Ruck weckte in ihm
Männlichkeit, Mut, Verwegenheit. Wer wagte ihn der
Feigheit anzuklagen? Er blickte um sich mit funkelnden
Augen, wie einer, der die ganze Menschheit herausfordern
will, und er forderte sie desto kühner heraus, a's die an-
wescnden Exemplare der Menschheit ihm nur gelaffen den
Rücken kehrten. Paisivilät der Umwelt reizt stets zu höchster
Verwegenheit. Kein Widerspruch erh' sich gegen seine
Kühnheit. Das reiste ihn in Sekunden zum Vernichter.
Nun sah er stch selbst Schwerter zücken, Bomben schleudern,
mit gelaffener Selbstverständlichkeit, als wäre er von Kind-
heit an Bombenvirtuose gewesen. Er zückte und schleuderle
nach allen Seiten, gegen den Chef zwar zuerst, aber auch
gegen alle — alle waren ihm im Wege, der Sekretär, der
schon längft gestorben sein sollte, um ihm Platz zu machen,
die Kollegen, die ihm den Rang ablaufen wollten, das
Steueramt, das Schuld an seinem Anglück war, der Staat,
der ihn in subalterne Niedrigkeit herabdrückte. Das Lineal
begleitete unter einem Kreszendo von Gestikulationen die
Kntastrophe. Er verbreitete ringsum Vernichtung, ein
genialer Bombenjongleur. Die ganze Welt existierte für
ihn nur zu dem Zwecke, um vertilgt zu werden. Er war
llberzeugt von ihrer absoluten Feindseligkeit. Als Trium-
phator sah er sich schon auf den Trümmern sitzen, als —
es fiel ihm ein, einmal von Lerostratos gelesen zu haben —
Erklärllch — „Nun sagen Sie mal ehrlich, Schwester: ich
bin doch gewiß ein schrecklich eigensinniger Patient gewesen."
— „Aber Sie sind ja auch nicht verheiratet, Lerr Professor."
als Lerostratos der Bürokratie. Mit diefem berauschenden
Gedanken ging er nach Lause, stolz crhoben>.n Lauptes,
Triumphator von morgen. Morgen mußte es geichehenl
Keine längere Gnadenfrist dieser Welt! Morgen f>üh
würde er Bomben haben, ohne Zahl! Er war Tatmensch
geworden, also Optimist. Die Bomben würden morgen
da sein! Wozu heute noch den müden Kopf zerquälen?
Als er das Licht gelöscht und geborgen unter der warmen
Bettdecke steckte, da sah er Bomben seiner Land entfliegen,
die halbe Städte niederwarfen, Trümmerwolken und Flam-
menlohc zum Limmel spieen.
Punkt sieben Ahr rief der Wecker Bieringer ins Dies-
seits zurück. Als er die Augen gierig aufriß, flch von seinem
geträumten Zerstörungswerk zu überzeugen, sah er bestürzt,
daß die We't noch unerschüttert stand. Ein gi auer Morgen
blickte zum Fenster herein. Nichrs ist so ernüchternd, nieder-
drückend, vernichtend wie so ein grauer Alltagmorgen, der
auf einen berauschenden Traum folgt. Aller Elan, alle
Schwungkraft, alle Kühnheit nächtlicher Träume zerstiebl
vor einem solchen Morgen. Bieringer saß in seinem Bett,
wie ein Leld, dem man die Waffe entrissen. Er sah sich
wehrlos einer feindlichen grauen Welt gegenüber, deren
Nüchternheit durchs Fenster hereinflutete, ohne Widerstand.
Zertrümmert war die geträumte Größe, zermürbt sein be-
rauschendes Leldentum. Er war wieder Steueramtsassistent!
Steueramtsassistent, wie er's gestern, vorgestern, immer ge-
wesen warl Steueramtsassistent! Gab es etwas Kleineres,
Winzigeres? Noch vor wenigen Augenblicken Weltbezwinger,
Menschheitszerstörer und jetzt Steuerassistent, Diener dieser
Welt, Sklave dieser Menschheitl Wie schmerzvoll war diese
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zerstörerischen Wut nicht, er zerriß die hundert Fetzen wie-
der in hundert Fetzchen und diese abermals in hundert
Schnitzchen. Dann erst war er befriedigt und stopste den
abgetanen Schniychenhaufen in die Tasche. Nein, nein,
Schreibübungen waren keine besreiende Tat! Der Druck,
der noch ungelöst auf seincm Magen lag, sagte ihm das klar
und deullich. Gegen einen Chef muß man anders wüten!
Nicht mit der Feder — die war ein ganz unzureichendes
Inslrument, das nur unschädliches farbiges Wafser ver-
spritzte, nicht mit der Feder, sondern mit dem Schwert! Bei
dem Gedanken „Schwert" stiegen lriegerische Bilder in Bie-
ringer auf, so kriegerisch wie sie ihm, dem Militäruntaug-
lichen, möglich waren, der die Schrecken des Krieges nur
aus illustrierten Blältern kennen gelernt hatte. Bieringer
sah im Geiste Maschinengewehre, Flammenwerfer, 42 cm
Geschütze gegen seinen Chef wüten, unter seinem Oberbefehl
natürlich. Es war die Vision eines Großkampftages, seherisch
geschaut von einem Militäruntauglichen. So deutlich ge-
schaut, daß es Vieringer, den visionären Feldherrn, selbst
mit hineinriß in das Kampfgewoge. Er schleuderte auf das
gegenüberstehende Pult, das wegen Krankheitssall augen-
blicklich unbesetzt, Tintenkleckse, die ihm Torpedos dünkten.
Mit verzückler Miene beobachte er den Einschlag drüben
auf dem Pultdeckel. Es war eine Kriegsbegeisterung, wie
sie Bieringer, der Militäruntaugliche, nie erlebt hatte. Aber
als der Arm, des Klecksiorpedierens müde, matt herabsank,
erlosch mit der physischen Lähmung die Schlachtenvision, und
der Alltag mit Steuerakten und gekrümmten Kollegenrücken
hömte ihn ringsum an. Nein, so war's nichts, mußte er
wiederum ernüchtert schmerzvoll gestehen. Schlachtenvistonen
vernichlen keinen Chef. Das Schwert mußte nicht nur ge-
schaut, es mußte gezückt werden. Es mußte das Scheusal,
den Amtmann durchbohren. „Es" dachle er, denn noch
zögerte etwas in ihm zu denken, daß eigentlich er selbst das
Durchbohren vollführen müßte. Er sah nur ein durchbohren-
des Schwert, aber er sah nicht sich daran. And während
sein Gehirn ihm das durchbohrende Schwert vorspiegelte,
klagte eiwas in seinem Lerzen ihn der Feigheit an. Das
gab ihm einen Ruck. einen so deutlichen Ruck, daß er auf
dem Stuhl in die Löhe fuhr. Dieser Ruck weckte in ihm
Männlichkeit, Mut, Verwegenheit. Wer wagte ihn der
Feigheit anzuklagen? Er blickte um sich mit funkelnden
Augen, wie einer, der die ganze Menschheit herausfordern
will, und er forderte sie desto kühner heraus, a's die an-
wescnden Exemplare der Menschheit ihm nur gelaffen den
Rücken kehrten. Paisivilät der Umwelt reizt stets zu höchster
Verwegenheit. Kein Widerspruch erh' sich gegen seine
Kühnheit. Das reiste ihn in Sekunden zum Vernichter.
Nun sah er stch selbst Schwerter zücken, Bomben schleudern,
mit gelaffener Selbstverständlichkeit, als wäre er von Kind-
heit an Bombenvirtuose gewesen. Er zückte und schleuderle
nach allen Seiten, gegen den Chef zwar zuerst, aber auch
gegen alle — alle waren ihm im Wege, der Sekretär, der
schon längft gestorben sein sollte, um ihm Platz zu machen,
die Kollegen, die ihm den Rang ablaufen wollten, das
Steueramt, das Schuld an seinem Anglück war, der Staat,
der ihn in subalterne Niedrigkeit herabdrückte. Das Lineal
begleitete unter einem Kreszendo von Gestikulationen die
Kntastrophe. Er verbreitete ringsum Vernichtung, ein
genialer Bombenjongleur. Die ganze Welt existierte für
ihn nur zu dem Zwecke, um vertilgt zu werden. Er war
llberzeugt von ihrer absoluten Feindseligkeit. Als Trium-
phator sah er sich schon auf den Trümmern sitzen, als —
es fiel ihm ein, einmal von Lerostratos gelesen zu haben —
Erklärllch — „Nun sagen Sie mal ehrlich, Schwester: ich
bin doch gewiß ein schrecklich eigensinniger Patient gewesen."
— „Aber Sie sind ja auch nicht verheiratet, Lerr Professor."
als Lerostratos der Bürokratie. Mit diefem berauschenden
Gedanken ging er nach Lause, stolz crhoben>.n Lauptes,
Triumphator von morgen. Morgen mußte es geichehenl
Keine längere Gnadenfrist dieser Welt! Morgen f>üh
würde er Bomben haben, ohne Zahl! Er war Tatmensch
geworden, also Optimist. Die Bomben würden morgen
da sein! Wozu heute noch den müden Kopf zerquälen?
Als er das Licht gelöscht und geborgen unter der warmen
Bettdecke steckte, da sah er Bomben seiner Land entfliegen,
die halbe Städte niederwarfen, Trümmerwolken und Flam-
menlohc zum Limmel spieen.
Punkt sieben Ahr rief der Wecker Bieringer ins Dies-
seits zurück. Als er die Augen gierig aufriß, flch von seinem
geträumten Zerstörungswerk zu überzeugen, sah er bestürzt,
daß die We't noch unerschüttert stand. Ein gi auer Morgen
blickte zum Fenster herein. Nichrs ist so ernüchternd, nieder-
drückend, vernichtend wie so ein grauer Alltagmorgen, der
auf einen berauschenden Traum folgt. Aller Elan, alle
Schwungkraft, alle Kühnheit nächtlicher Träume zerstiebl
vor einem solchen Morgen. Bieringer saß in seinem Bett,
wie ein Leld, dem man die Waffe entrissen. Er sah sich
wehrlos einer feindlichen grauen Welt gegenüber, deren
Nüchternheit durchs Fenster hereinflutete, ohne Widerstand.
Zertrümmert war die geträumte Größe, zermürbt sein be-
rauschendes Leldentum. Er war wieder Steueramtsassistent!
Steueramtsassistent, wie er's gestern, vorgestern, immer ge-
wesen warl Steueramtsassistent! Gab es etwas Kleineres,
Winzigeres? Noch vor wenigen Augenblicken Weltbezwinger,
Menschheitszerstörer und jetzt Steuerassistent, Diener dieser
Welt, Sklave dieser Menschheitl Wie schmerzvoll war diese
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