Der Zusammenbruch
Da nahte fich, schwerfällig
gegen den Strom ankämpfend,
aus der linken Seitenarterie ein
Selbstfahrer, von einem kränk-
lichen alten Lerrn mit Mühe
vorwärtsgetrieben. Sloffwechsel
eilte ihm entgegen.
„Grüß Gott, Äerr Kreis-
lauf," rief er. „Ich bin erstaunt,
Sie aus der Nichtung kommen
zu sehen. Latte eher erwartet
aus der großen Körperschlag-
ader. Wie kann ich denken, daß
Sie schon so frllh am Morgen
in den Kopillaren stndl Aber
freilich, man weiß es ja, der
Äerr Kreislauf sind halt immer
auf dem Posten, wie in jungen
Iahren, gelt?"
„Sie stnd auf dem Lolzweg,
mein Lieber," hüstelte Kreis-
lauf. „Jch war unfreiwilliger-
weise in den Kapillaren. Ver-
laufen habe ich mich, einfach
verlaufen, oder, wenn Sie
wollen, verfahren. Die ganze
Nacht bin ich in den verdammten
Irrgärten herumgetobt und habe
noch scheußliches Glück gehabt,
daß ich Sie jetzt überhaupt
treffe. Ia, ja, man wird alt,
mein Lieberl Früher kannte
ich mich in jedem Aederchen aus
wie in meiner Westentasche, aber
jetzt — na, reden wir nicht
mehr davon! Ich war ordent-
lich wie erlöst, als ich Sie da-
stehen sah, denn ich wußte tatsächlich nicht mehr, wo ich
war, ganz abgesehen davon, daß ich unsre Verabredung
nur ungern versäumt hätte."
„Also, was gibt's, Lerr Geheimrat? Sie haben mich
herbestellt. Ist ein Geschäft zu machen? Nix liefern Sie
mehr, gar nix. Machen Sie so weiter, dann mach' ich ein'
fach meinen Laden zu, dann sind Sie der Dumme. Die
Aktiengesellschaft Niere — er senkte seine Stimme zum
Flüstern — die große Exportfirma, steht vor dem Ruin.
Durch Ihre Schuld, mein Lieber. Sie sind seit Wochen
nicht ins Geschäft gekommen. Warum haben Sie nicht
am 15. die Generalversammlung besucht, wo Sie doch Vor-
sitzender im Aussichtsrat sind? Wollen Sie ein Geschäft
für Einwickelpapier mit Aktien anfangen? Widmen Sie
sich wieder den Geschästenl"
Kreislauf schüttelte restgniert den Kopf.
„Bester," sagte er fast warm und faßte Stoffwechsel
am Rockknopf, „ich kann nicht. Mein Geschäftsfreund
Magnus Magensaft hat den Konkurs erklärt. Zch kriege
nichts herein. Die Kaffen sind leer. Ich weiß nicht, wo-
von ich morgen meine Angestellten bezahlen soll. Es bleibt
nichts übrig, als durch Einführung des Achtstundentages
Geld zu sparen. Ich fürchre mich dann bloß vor den
36 Milliarden dienstfreien Angestellten. Die stiften auf
jeden Fall Anfug. Aber es wird nicht anders gehen."
„Großer Gott," jammerte Stoffwechsel, „ein so
schönes und großes Geschäft! !lnd soll zu Grunde gehenl
Mein blühendes Geschäft!"
„Sie denken immer nur an
sich selbstl" sagte Kreislauf in
vorwurssvollem Tone. „Sehen
Sie mich an! Was hatte ich
für ein Geschäft! Bei mir war
alles zu haben: vom Sauerstoff
bis zum Ermüdungsgift. Ich
hatte meine eigene Polizei,
Feuerwehr, Automobile, die die
Waren bis in die entferntesten
Gegenden brachten. Dagegen
ist Jhr Betrieb eine kleine
Klitsche I Wieviel Artikel haben
Sie denn? Das ist doch nicht
der Rede wert! Also da trösten
Sie sich nur mit mir I Aebrigens,
um aufs Geschäft zu kommen,
ich habe Sie hergebeten, weil
ich mit Zhnen was ganz be-
sonderes vorhabe. Eine große
Sache mit Arsen. Jch habe
ein verstecktes Depot entdeckt,
um das fich kein Mensch kümmert.
Sie lönnen haben, so viel Sie
wollen. La ha, vielleicht machen
wir uns damit noch gesund!
Ich habe Ihnen auch schon eine
Abnehmerin besorgt, die Chemi-
schen Werke Leber L Co."
Stoffwechsel rieb sich die
Lände. „Also sofort greifbar?"
„Natürlich, ich liefere Ihnen
in Zentigrammen, Sie Packen
um in Milligrammdosen und
liefern via Pfortader der Ge-
sellschaft frei K.ller."
Stoffwechsel wäre dem andern
beinahe um den Lals gefallen wenn er sich nichk unsanft am
LandgriffberAntriebsstangedes Selbst ahrers gestoßenhätte.
„Glänzend haben Sie das gemacht, Lerr Geheimrat.
And so ein rarer Artikel! Wenn ich denke: der Export
bei der Valuta!"
„Sind Sie von Sinnen?" fuhr Kreislauf auf. „Kein
halbes Mtlligramm geht ins Ausland ! Leber L Co. be-
kommt alles. Wenn Sie beschummeln wollen, alsdann
machen Sie ihre Geschäfte allein!"
„Donnerwetter, fahren Sie gefälligst langsam!" schnauzte
da von hinten eine heisere Stimme. Die beiden Lerren
drehten sich erstaunt um. Ein langausgeschoffener Kerl
mit hageren, schwärmerischen Zügen und auffallend gelb-
lichem Teint stand erregt einem Thrombusgefährt gegen-
über und drohte wütend mit dem Stock zum Chauffeur
hinauf. Der rotlackierte Blutpfrops nahm allerdings fast
die ganze Arterienbreite ein, und außerdem war hier ver-
botener Weg sür Luxusfahrzeuge.
„Kennen Sie den?" fragte Stoffwechsel leise.
„Anangenehmer Geselle, nie gesehen!" flüsterte Kreis-
lauf zurück. Da aber trat der Lerr aufgeregt näher und
stellte sich vor.
„Gestatten die Lerren, Dr. Zkterus Gelbsucht, Direktor
der Chemischen Werke Leber L Co. — das heißt a. D."
fügte er sarkastisch hinzu.
Die beiden Lerrn fielen fast auf den Rücken und ver-
gaßen in ihrem Entsetzen, sich vorzustellen.
103
— „Lächle nicht so krampfhaft, Dorchen!
Das junge Eheglück retouchiert der
Photograph ja nachher doch hinein."
Da nahte fich, schwerfällig
gegen den Strom ankämpfend,
aus der linken Seitenarterie ein
Selbstfahrer, von einem kränk-
lichen alten Lerrn mit Mühe
vorwärtsgetrieben. Sloffwechsel
eilte ihm entgegen.
„Grüß Gott, Äerr Kreis-
lauf," rief er. „Ich bin erstaunt,
Sie aus der Nichtung kommen
zu sehen. Latte eher erwartet
aus der großen Körperschlag-
ader. Wie kann ich denken, daß
Sie schon so frllh am Morgen
in den Kopillaren stndl Aber
freilich, man weiß es ja, der
Äerr Kreislauf sind halt immer
auf dem Posten, wie in jungen
Iahren, gelt?"
„Sie stnd auf dem Lolzweg,
mein Lieber," hüstelte Kreis-
lauf. „Jch war unfreiwilliger-
weise in den Kapillaren. Ver-
laufen habe ich mich, einfach
verlaufen, oder, wenn Sie
wollen, verfahren. Die ganze
Nacht bin ich in den verdammten
Irrgärten herumgetobt und habe
noch scheußliches Glück gehabt,
daß ich Sie jetzt überhaupt
treffe. Ia, ja, man wird alt,
mein Lieberl Früher kannte
ich mich in jedem Aederchen aus
wie in meiner Westentasche, aber
jetzt — na, reden wir nicht
mehr davon! Ich war ordent-
lich wie erlöst, als ich Sie da-
stehen sah, denn ich wußte tatsächlich nicht mehr, wo ich
war, ganz abgesehen davon, daß ich unsre Verabredung
nur ungern versäumt hätte."
„Also, was gibt's, Lerr Geheimrat? Sie haben mich
herbestellt. Ist ein Geschäft zu machen? Nix liefern Sie
mehr, gar nix. Machen Sie so weiter, dann mach' ich ein'
fach meinen Laden zu, dann sind Sie der Dumme. Die
Aktiengesellschaft Niere — er senkte seine Stimme zum
Flüstern — die große Exportfirma, steht vor dem Ruin.
Durch Ihre Schuld, mein Lieber. Sie sind seit Wochen
nicht ins Geschäft gekommen. Warum haben Sie nicht
am 15. die Generalversammlung besucht, wo Sie doch Vor-
sitzender im Aussichtsrat sind? Wollen Sie ein Geschäft
für Einwickelpapier mit Aktien anfangen? Widmen Sie
sich wieder den Geschästenl"
Kreislauf schüttelte restgniert den Kopf.
„Bester," sagte er fast warm und faßte Stoffwechsel
am Rockknopf, „ich kann nicht. Mein Geschäftsfreund
Magnus Magensaft hat den Konkurs erklärt. Zch kriege
nichts herein. Die Kaffen sind leer. Ich weiß nicht, wo-
von ich morgen meine Angestellten bezahlen soll. Es bleibt
nichts übrig, als durch Einführung des Achtstundentages
Geld zu sparen. Ich fürchre mich dann bloß vor den
36 Milliarden dienstfreien Angestellten. Die stiften auf
jeden Fall Anfug. Aber es wird nicht anders gehen."
„Großer Gott," jammerte Stoffwechsel, „ein so
schönes und großes Geschäft! !lnd soll zu Grunde gehenl
Mein blühendes Geschäft!"
„Sie denken immer nur an
sich selbstl" sagte Kreislauf in
vorwurssvollem Tone. „Sehen
Sie mich an! Was hatte ich
für ein Geschäft! Bei mir war
alles zu haben: vom Sauerstoff
bis zum Ermüdungsgift. Ich
hatte meine eigene Polizei,
Feuerwehr, Automobile, die die
Waren bis in die entferntesten
Gegenden brachten. Dagegen
ist Jhr Betrieb eine kleine
Klitsche I Wieviel Artikel haben
Sie denn? Das ist doch nicht
der Rede wert! Also da trösten
Sie sich nur mit mir I Aebrigens,
um aufs Geschäft zu kommen,
ich habe Sie hergebeten, weil
ich mit Zhnen was ganz be-
sonderes vorhabe. Eine große
Sache mit Arsen. Jch habe
ein verstecktes Depot entdeckt,
um das fich kein Mensch kümmert.
Sie lönnen haben, so viel Sie
wollen. La ha, vielleicht machen
wir uns damit noch gesund!
Ich habe Ihnen auch schon eine
Abnehmerin besorgt, die Chemi-
schen Werke Leber L Co."
Stoffwechsel rieb sich die
Lände. „Also sofort greifbar?"
„Natürlich, ich liefere Ihnen
in Zentigrammen, Sie Packen
um in Milligrammdosen und
liefern via Pfortader der Ge-
sellschaft frei K.ller."
Stoffwechsel wäre dem andern
beinahe um den Lals gefallen wenn er sich nichk unsanft am
LandgriffberAntriebsstangedes Selbst ahrers gestoßenhätte.
„Glänzend haben Sie das gemacht, Lerr Geheimrat.
And so ein rarer Artikel! Wenn ich denke: der Export
bei der Valuta!"
„Sind Sie von Sinnen?" fuhr Kreislauf auf. „Kein
halbes Mtlligramm geht ins Ausland ! Leber L Co. be-
kommt alles. Wenn Sie beschummeln wollen, alsdann
machen Sie ihre Geschäfte allein!"
„Donnerwetter, fahren Sie gefälligst langsam!" schnauzte
da von hinten eine heisere Stimme. Die beiden Lerren
drehten sich erstaunt um. Ein langausgeschoffener Kerl
mit hageren, schwärmerischen Zügen und auffallend gelb-
lichem Teint stand erregt einem Thrombusgefährt gegen-
über und drohte wütend mit dem Stock zum Chauffeur
hinauf. Der rotlackierte Blutpfrops nahm allerdings fast
die ganze Arterienbreite ein, und außerdem war hier ver-
botener Weg sür Luxusfahrzeuge.
„Kennen Sie den?" fragte Stoffwechsel leise.
„Anangenehmer Geselle, nie gesehen!" flüsterte Kreis-
lauf zurück. Da aber trat der Lerr aufgeregt näher und
stellte sich vor.
„Gestatten die Lerren, Dr. Zkterus Gelbsucht, Direktor
der Chemischen Werke Leber L Co. — das heißt a. D."
fügte er sarkastisch hinzu.
Die beiden Lerrn fielen fast auf den Rücken und ver-
gaßen in ihrem Entsetzen, sich vorzustellen.
103
— „Lächle nicht so krampfhaft, Dorchen!
Das junge Eheglück retouchiert der
Photograph ja nachher doch hinein."