Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Ä)!ännkr1l>gi! Aus Sekundancrbriefen von Josef Frank

Lieber Fritzl Die Obersekunda liegt hinter mir! Sie
gehört der Geschichle an. Die lateinische Bastille >st verödet!
Die Geistesjugend hat die humanistischen Zwingmauern
durchbrochen! Freiheit! Ferien l Seit acht Tagen! Die
herrliche Zeit ist wieder aufgegangen, wo wir Geistes-
menschen uns individuell ausleben lönnen! Vorgestern habe
ich damit begonnen. Ich ging allein zum Abendschoppen
in dcn „Bären" und trank zwei Vierkel Rotwein. Den
billigsten, doch fühlte ich mich ganz dionyfisch. Schelte mich
nicht wegen des billigsten! Du weißt, ich bin Ledoniker, wso
prinzipiell bestrebt, das höchste Maß von Lust (zwei Viertel
Rotcn) mit dem Mindestmaß von Schmerz (75 Pfennig pro
Viertel) zu erkaufen. Doch mein Ledonismus soll nicht der
Zweck dieser Zeilen sein.

Du bist wie ich der Ansicht, daß ein Sekundaner ein
reifer Mann ist. Trotz der gegenteiligen Meinung der
pädagogischen v>r> ob8cur>. Der höchste Stolz des reifen
Mannes ist, frei zu sein. Und die höchste Freiheit wiederum
ist, sich verlieben zu können, in wen man will. Liebe ist
spontan, kann also nur in der Freiheit der Gefühle gedeihen.
Wenn Profefsor Knurrich von uns verlangt, daß wir ihn
liebe», so kann natürlich von Spontansität keine Rede sein.
Liebe zu Lehrern ist immer Anfreiheit, Sklaventum. Da,
wie bewiesen, ein Sekundaner ein freier Mann ist, so ergibt
sich daraus ganz logisch, daß er die Freiheit der Ferien
dazu benützen muß, sich zn verlieben. Wir sind beide schon im
letzten Zahre, a!s Du hier warst, und wir auf dem Bummel
das weibliche Ausgebot Revue passieren ließe», zu der Aeber-
zeugung gekommen, daß die Mädchen von Buxl ngen vor
dem Richterstuhl ästhetischerMenschen nicht bestehen könnten.
Außerdem vermißten wir an ihnen, was bei der Damenwelt
das Wesentlichfie sein sollte, die Seele. Selbst die Annehm-
barste, die kleine Lydia vom Tierarzt Dorfmüller, die ja
ganz nette Lerrcnwinker trägt, ist, wie wir fesistellten, absolut
keine Priesterin antiker Schönheit und Größe. Deshalb
hatten wir, wie Du Dich noch erinnern wirst, in ästhetischem

Leroismus verzichtet, uns in die Buxlingerinnen zu ver-
lieben, weil diese eben nicht die idealen Voraussetzungen er-
füllten, die wir an Frauen stellen. Das ist inzwischen, Gott sei
Dank, anders geworden. Dank dem neuen Brauereidirektor
Wackernagel, der den idealen Frauentypus in Buxlingen
einführte. In seiner Tochter Arsula. Arsula Wackernagel ist
ganz Lellängigkeit, ganz Lellblondigkeit, ganz Aether, ganz
schwebendes Licht, wie Frauen eben sein sollen. Denr Mund,
dem Auge, dem Laar, dem Gange nach ist sie Iphigeniens
Schwester, kann nicht von Brauereidircktoren stammen, son-
dern ist abgesandt aus Titanias Reich. Sämtiiche Mathe-
matikstunden der letzten Monale, in denen sich so herrlich
vo» Liebe träumen lätzt, habe ich dazu benüyt, den Modus
der Annäherung an Arsula auszudenken. Dabei übke die
exakte Makhematik insoferne einen wohltuend exakten Ein-
fluß auf mich, als ich die Annäherung auf den ersten Ferien-
tag, den 14. Iuli ein halb 6 Ahr abends sestlegte. Ich wollte
mich Arsula, die ich in jcner unvergeßlichen Mathemalik-
stunde in Erinnerung an den Griechenfreund 5>ölderlin, der
ebenfalls kein Verständnis für Malhematik besessen haben
soll, Diotima taufte, in der gleich klassischen Weise nähern,
wie Dante seiner Beatrice auf der Arnobrücke. Mußte den
herrlichen Gedanken aber fallen lassen, da ich unter dem Ein-
fluß der exakten Wissenschaft erkannte, daß cs in Buxlingen
keine Arnobrllcke gäbe. Trauriges Buxlingen, das aller klas-
sischen Stätten beraubt ist! Auf offener Straße, unter dem
Lärm des Pöbels — du weißt, ocii proksnurn vuigus bux-
llngienss — die Elfenpriesterin Diotima Wackernagel an-
zusprechen, verbot mir meine zarte Seele. Was blieb mir
da in meiner zarten Seelennot anderes übrig, als den Dienst-
mann Gacklmeier zu bestellen? Vier Wochen vor Ferien-
beginn lag der Brief bereit. Im ersten Entwurf. Aber täglich
enlwarf ich ihn neu, zwei Wochen lang in Prosa, dann ging
ich zur Poesie über, zu Lölderlinscher Poesie. Mit eigen-
persönlicher Prägung natürlich,etwa so: Diotima,edles Leben,
Wackernagel mir verwandt usw. And diese Dichtung über-
reichte der ätherischen Elfin Dienstmann Gacklmeier am 14. Iuli
5 Ahr 32 abends auf dem Marktplatz. Erhabenster Augenblick

/rrrrer->'rrrrrr/>

6r>re a/röere, ör'e rrro)/ /er-rrs
77orr >/)> //arrö.

Nrrö /re ^/rr/)/s /eöe
/(// aers 2/reAe reo//?/

Br's /rs rrrorv/srrs arrsHrerrraass/
//orr c>er- A/a<AErrr/>o//'.

/7rrr/r i?r'e rrrr-Asr-e //rrrrr/rs rz/rr/ste
Drrr-o^ ör'e 7?rro//,-
rrroh/ rrrrs />errrrr/e,

Ä/r'e ör'e errre e/rro//'.

Mer- er'rr//rrrrr/Ä Frrr^ /re rrers
— t/^rre //r-rrrrö —

//or- ösrrr 7/rrrrs,

2/rrr ör'e rrrr//er-rrrr'a^/(^e A/rrrrö.

//rrr) ör'e 2/r'e/,errr)e, ör'es /rr//errr),
Ä/rrs /cr? /re?

//o/r//e rrrrg/ eer-F/rr//errr). —
/Lrro/er-/r'g/ rrrrs S/rrr/rrr///'s/.

Ein Fleihiger Mutter: „Das freut mich, Oskar, daß du das
Konversationslexikon, das der Vater dir zum Geburtstag geschenkt
hat, so fleißig benutzest — wie ich sehe, bist du schon beim letzten Bande!"

149
 
Annotationen