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Vom alten Herrn
Sartorius, demFriedhof
und der Eisenbahn

Von Peter Nobinson

Warum die gute Stadt
Müskenburg keine Eisenbahn-
station geworden ist, das ist
heute, wenn auch nicht allen
Müskenburgern, so doch wenig-
ftens denjenigen bekannt, die
sich ein wenig um die Geschichte
ihrer Stadt bekümmern. Aber
niemand weiß, daß eigentlich
nur der Kerr Sartorius schuld
daran gewesen ist, der nicht
einmal ein Ortseingesessener,
sondern nur einZugewanderter
war. Ia, und was für einen
gar eigenkümlichen Grund er
gegen die Eisenbahn gehabt
hatl Doch zuerst muß erzählt
werden, wie Lerr Sartorius
nach Müskenburg kam.

Als Iohannes Sartorius den
dreißig Iahre lang mit durch-
aus genügendem Erfolg be-
kriebenen Getreidegroßhandel
seinem Neffen übergeben hatte,
entschloß er sich, nun auch die
große Lafen- und Landels-
stadt zu verlassen. Er sagte,
er wollte gründlich aus all dem
alten Krempel hinaus. Bald
fuhr er denn auch wirklich aus,
sich ein Stävtchen für die
Altersruhe zu fuchen, — im
eigenen Reisewageu, aber mit
Postpferden. Seine Frau mit-
zunehmen oder wenigstens in dieser doch auch sie angehen-
den Angelegenheit um ihre Meinung zu fragen, unterließ er.
Das war auch nicht nötig; Frau Sartorius hatte von jeher
zu allem ja gesagt, was ihr Ehemann wünschte. Es wird
Leute geben, die solche Anterwerfung für gar nicht schön
ansehn, aber das kommt ja immer auf den einzelnen Fall
an. Frau Sartorius war so glllcklich dabei, wie ein Mensch
es nur sein kann, und das Gücklichsein ist immer die Liaupt-
sache. Sie wäre mit ihrem Gatten, wenn er es angeordnet
hätte, jetzt auch zu den Eskimos oder den 5vottentotten
gezogen.

Aber so weit wollte Äerr Sartorius gar nicht; er wäre
auch mit seinem Neisewagen nicht so weit gekommen, und
Postpferde hätte es schließlich auch keine mehr gegeben.
Am Abend des zweiten Tages kam er in einem klcinen
Städtchen an, das hübsch auf einem Lllgelzuge an einem
großen Fluß erbaut war, um eine alte Burg herum, von
der Lerr Sartorius nicht wußte, welchem Äochmeister des
deukschen Nitterordens ste ihr Dasein verdankte. Er hatte
in dieser Stadt einen Vetter wohnen, und deshalb war er
auch zuerst dorthin gefahren, denn es ist immer ganz gut,
einen Anhalt zu haben. Der Vetter freute sich gebührend
über den Besuch, führle ihn in der Stadt herum — von
wem die Burg erbaut worden war, wußte er aber auch
nicht — und machte ihn auf ein freundliches und ansehn-
liches §>aus aufmerksam, das billig zu haben sein würde.
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Es lag >n einem wohlgepfleg-
ten Garten, aus dem es behag-
lich auf den stillen Fluß hin-
unkerschaute. Lerrn Sartorius
gefiel das Laus. Immerhin
beschloß er, noch genau zu
überlegen, auch mußte er sich
noch die Amgegend auf der
andern, vom Fluß abgekehr-
ten Seite der Stadt ansehn.
Aber da war es gar nicht
hübsch: nur weite flache Kar-
toffelfelder ohne irgend ein
freundliches Wäldchen, nach
dem man hätte hinausspazieren
können. And gerade hier lag
der Friedhof des Städtchens,
gleichfalls als ein trauriger
Acker in diese Oede hinein-
gesetzt, ohne Bäume, von einer
scheußlichen Ziegelsteinmauer
umgeben. Iohannes Sartorius
schüttelte den Kopf, ging stracks
in die Stadt zurück, ließ den
Wagen bereit machen und fuhr
dann noch einmal, Abschied
zu nehmen, bei dem Vetter
vor. Der war bestürzt. Ia,
warum gefiel es denn auf ein-
mal dem Lerrn Vetter hier
nicht? So ein angenehmer
Ort! And wo doch das 5vaus
gerade so billig zu haben
wäre! Aber Äerr Sartorius
wollke sich auf nichts mehr
einlassen, doch gab er eine Er-
klärung: „Die Stadt wäre mir
schon recht. Aber wie lange
würde ich darin wohnen? Viel-
leicht zehn, vielleicht fünfzehn Iahre, — vielleicht auch nur
ganz, ganz kurze Zeit. !lnd dann müßte ich da hinaus" —
Äerr Sartorius zeigte nach der Nichtung des Friedhofs —
„und da müßte ich viel, viel länger wohnen. Wo ich fo
lange bleiben soll, muß es auch hübsch fein, aber da ist es

mir gar zu greulich. Gott befohlen!"-

Ia, nun wußte 5verr Sartorius, worauf er sein Augen-
merk vor allen Dingen zu richten hatte, — vorher hatte er
noch gar nicht daran gedacht. Am fpäten Nachmittag kam
er an eine Stadt, die er schon immer als einen angenehmen
Ort hatte rühmen hören; auf jeden Fall hatte er sie zum
Nachtquartier ausersehen. Vor dem Tor lag der Friedhof.
Lerr Sartorius wollte den Wagen halten lassen, um sich
die Stätte des Daueraufenthalts anzusehn, — aber nein,
nach einem einzigen Blick rief er dem Postillon zu, weiter
zu fahreu, und er machte auch nicht Lalt in dec Stadt, nur
gerade so lange, wie nötig war, am Posthause die Pferde
zu wechseln, dann mußte es weiter gehn, so daß er erst spät
in der Nacht ein anständiges Quartier erreichle. Der eine
Blick auf den Friedhof hatte Lerrn Sartorius gezeigt, daß
dort die stillen Wege von kugelrund beschnittenen Akazien
umsäumt waren. Solche beschnittenen Bäume aber hatte
er nie ausstehn können; er hielt sie für eine Anverschämt-
heit gegen die Natur, die ihn immer in Wut brachte.

Zwei Tage später hätte der alte Lerr beinahe etwas
Passendes gefunden. Die Stadt selbst war zwar nur ein

— „Ich habe meinen Sohn unter Kuratel stellen müssen."

— „Aber ich bitte Sie, warum denn?"

— „Er hat jedenTag 2 Briefe an seine Brautgeschrieben."
 
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