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— „Da miißten Sie eigentlich helfen, Lerr Klobig, —
Sie verstehen doch, Geld aus dem Dreck zu holen."

Bvm altcn Lerrn Sartorius, dem Friedhof und
der Eisenbahn

mittag die Bürger sitzen würden, und
wie über alledem Frieden sein wllrde,

Frieden. Es war gerade Kaffeezeit. Lerr
Sartorius ging in eine dem Rathaus
gegenüber gelegene Konditorei - Calanda
hieß ihr Jnhaber, wie ein Schild mit
goldenen Buchstaben sagte — und siehe
da: er bekam Zimtkuchen, wie sie beffer
auch nicht Frau Sartorius hätte backen
können. Mit Recht sagte sich Lerr
Sartorius, daß in einer Stadt, wo so
gule Kuchen gebacken werden, auch recht
treffliche Menschen wohnen mllfsen. Nach
dem Abendessen im „Gasthof zum
Großen Kurfürsten", wo er eingekehrt
war, lonnte er bei einigen Gläsern
Punsch eine Stammlischrunde beobach-
ten, die ihm sehr gefiel. Es saßen daran,
wie er bald heraushatte, der §>err
Kreisphysikus, der Rektor der Latein-
schule, der Lerr Kreisgerichtsdirektor
mit zwei Kollegen, der Bürgermeister
und noch ein paar §>erren, mit denen
bestimmt vortrefflich umzugehn sein
würde. Lerr Sartorius hätte sich am
liebsten schon heute mitten dazwischen
gesetzt.

!lnd der Friedhof von Müskenburg?

Das war gewiß die schönste Stätte
für Knochen, die ihrcn Dienst getan
hatten und ausruhen sollten. Zehn Minuten von der Stadt
enlfernt war er, und eine schattige Allee von alten Linden
führte zu ihm. Buchen und Lllmen umgaben ihn, eine
lebendige Mauer von immergrünen Sträuchern umsriedete
ihn. Auf trockencr Löhe lag er, und man konnte von ihm
hinabschauen auf den großen Müskenburger See, an dessen
jenseitigem !lfer ein weiter Wald sich hinzog von sanflen
Birken, die immer ein bißchen schüchtern aussehn. — Lerr
Sartorius nickie, stieß zur Bekräftigung seinen Stock kräftig
auf, ging in den Gasthof zum Großen Kurfürsten zurück
und erkundigte sich bei dessen Besitzer, Lerrn Diegelmann,
ob vielleicht zur Zeit in Müskenburg ein solides und an-
sehnliches Laus zum Verkauf stünde. Auch hierin hatte er

Glück: ein Laus war zu haben, wie er es sich gcwünscht
hatte, mit einem nelten Garten dahinter, in dem gerade sehr
gutes Spalierobst der Neise entgegen ging. Lerr Sartorius
kauste das Laus auf der Stelle mitsamt dem Obst, nahm
Eilpferde, fuhr Tag und Nacht nach Lause zurück, betrieb
sofort die Aebersiedelung und war richtig vier Wochen später

in Mllskenburg eingesessen.-

Was die Menschen fllr ihre alten Tage sich gewünscht
haben, bekommen sie leider nur selten, und wenn es schon einmal
einem zuteil wird, dann stirbt er gewöhnlich recht bald, ehe er
cs noch ordentlich hat genießen können. Es wäre zu wünschen,
daß allen alten Leuten so gut ihre Wünsche erfüllt würden,
wie es Lerrn Sartorius geschehen ist. Gerade so, wie er es sich
vorgenommen hatte, wurde es in Müskenburg,
und er dachte auch gar nicht daran, zu sterben,
nein, er lebte ordentlich rückwärts und wurde
frischer und lebendiger. Der Garten hinter
seineni Lause beschäftigte ihn sehr nühlich; an
schönen Tagen unternahm er weite Wander-
ungen inderGegendumden Müskenburger See
herum, und die Abende verbrachte er richtig in
der vortrefflichen Gesellschast des Lerrn Bürger-
meisters, des Kreisphysikus, des Kreisgerichts-
dircktors und jener anderen Lerren, die sich
einmal beim Konditor Calanda und ein ander-
mal im Großen Kurfürsten des Lerrn Diegel-
mann zusammenfanden, — der Abwechselung
und der Gerechtigkeit halber, weil man doch
jedem etwas zukommen laffen wollte. Es waren
gemütliche Lerren. Nur der Rektor der Latein-
schule war ein bißchen streitsüchtig und recht-
haberisch, aber das schadete nichts, das war
sogar ganz gesund, — er war so elwas wie

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