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— „Also bringen Sie mir die Wanne nach Lause! Ich zahle bei Ablieserung. Was kostet sie denn?"

— „300 Mark." — „Aber das ist ja zum Aufhängen!" — „Dann zahlen Sie lieber gleich."

Der erste Palient

„Da hinein, bitte! "sagte Dr. Steinhaus, etwas enttäuscht.
Der Mann tapple wieder hinunter, sichtlich crstaunt über
das fiirstliche Trinkgeld, das ihm der Lerr in plötzlicher 2luf-
wallung gegeben hatte.

Dr. Steinhaus ordnete die Blälter auf den verschiedencn
Tischen gerecht an: auf jeden Tisch kam cine Kunstzeitschrift,
zwei oder drei illustrierte Wochenschriften und zwei Witz-
blätter. Dann ging er etwas nervös ins Sprcchzimmcr und
probierte gleich, als wenn das sehr wichtig wäre, den Fuß-
antrieb des Operationtisches in der Mitte des Zimmcrs aus.
Er verjagle eine Fliege vom Mikroskop und säuberte das
meffmgene Okular sörgsältig mit einem bereitliegenden
Läppchen. Dann nahm er sich cinc „Diagnostik" zur Äand,
schlug von ungefähr das Kapitel über Lautpigmcnte und
Pathologische 5)autfärbungen auf uud las es vvn vorn bis
hinten durch. Er klappte das Buch zu. Ein ganz kleines
Staubwölkchen prasselte nach allen Seiten, wie beim Aus-
schlagen eines Geschoffes auf dcn Erdboden, dachte cr, und
der Ton halltc in dem stillen Zimmer ordentlich wieder.

Da — da hatte es schon wiedcr geschellt!

„§>err Dr. Steinhaus zu sprechen?"

„Bitte, bin ich selbst!" Dcr Mann nahm iin Sprech-
zimmer Plah.

„Sie sind krank?"

„Dm. Nicht eigentlich krank? Wenn man darunter
liebelbefinden versteht. Das ist eine seltsame Sache. Wiffen
Sie, Lerr Doktor, ich habe nämlich kcin Verlrauen zu den
Llerzten — Sie nehmen mir das nicht übel, nicht wahr?
Ich habe das von meinem Vater, der halte geradezu Abscheu

vor allem, was sich Arzt nannte. Wiffen Sie, ich habe ja
großen Respekt vor den Fortschritlen dcr Wissenschaft im
allgemeinen und der ärztlichen Wiffenschaft im besonderen,
und mein Vater war ein bißchen verrllckt, das ist wahr,
abcr dcr Mensch kann angeborne Abneigungen nun einmal
schwer überwinden. !lnd dann hatte mein Vater ein Mittel,
das war schon ein richtigcs slniversalmittel. Glauben Sie
das? Wisse n Sie" — er sagte unangenehm oft dics „Wiffen
Sie" — „Abkochung von Gewürznelken, wie sie jeder Krämer
führt, — Sie sagen da, glaube ich, Dekolt — und in ganz
schlimmen Fällen noch in jedes Ohr eine Nelke. Das hilft,
wissen Sie, das hilft ganz ausgezeicknet! Aber nun, ja,
ich muß es schon sagen, da ist mit mir ein Fall eingetreten,
da hat sich das Gewürznelkendekokt zum ersten Male nicht
bcwährt, wissen Sie, das ist aber auch ein ganz besondrer
Fall. Ich habe schon unglaublich viele Gewürznelken ver-
braucht und ein ganzes halbes Pfund nacheinander in die
Ohren gestcckt, aber glauben Sie, es wäre bcffer geworden?"

„Nein, keineswegs glaube ich das," sagte Dr. Steinhaus
lächelnd, „das Mittel hilft meines Wissens schon in einfachen
Fällen nicht, wie sollte es also in Ihrem komplizierten helsen?
Aber was fehlt Ihnen denn?"

„Lm — ja, wissen Sie, Lerr Doktor, Sie werden lachen,
denn das ist eine Krankheit, die es eigentlich noch gar nicht
gibt. Ich bin meines Wissens der erste, aber ich bin durchaus
nicht stolz darauf, das müssen Sie nicht denken. Im Gegenteil,
ich bin beunruhigt, sehr bcunruhigt, und habe mich deshalb
auch nun doch entschlossen, von der ärztlichen Kunst Gebrauch
zu machen. Sie, Lerr Doktor, Sie haben es also in der
Land, die medizinische Wissenschaft in meinen Augen zu

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