Ich Esel n»ch ailes lescnl
liest er dann ganz ungeniert, —
so, als wäre es die natürlichste
Sache der Welt. Einmal hat er
sogar das Biichlein zu packen be-
kommen, worin ich meine Aus-
gaben notiere. Das hat ihn sehr
interessiert.
Ia, und das wollte ich nun
Schlippenbach abgewöhnen, und
zwar gründlich abgewöhnen. Die
Krihelei am Lauptpostgebäude
halte mich auf ein sehr schönes
Mittel gebracht. Gleich ging ich
nach Lause, nahm einen Bogcn
schönen weißen Papiers, spannte
ihn in die Schreibmaschine und
tippte folgende lehrreichen Zeilen
nieder:
„Es ziemt sich nicht, bei an-
deren Leuten ohne gehörige Ver-
anlaffung Schriftstücke in die
Land zu nehmen und zu lesen. So
etwas paßt sich ganz und gar
nicht; man soll sich nicht um Dinge
kümmern, die einen nichts angehn,
und von denen Kenntnis zu neh-
men man nicht im geringsten auf-
gefordert worden ist. Ein wohl
erzogener Mensch wird das nie-
mals tun. Er läßt alles hübsch
an seinem Platze liegen und si'ht gar nicht danach hi».
Zwei Tage später kam SchlipPenbach wieder einmal
zu Besuch. Das belehrcnde Schriftstück lag, durch Ver-
einsamung hervorgehvben, auf einer freigemachten Ecke
meines Schreibtisches. Schlippenbach sprach, plauderte, er-
zählte. Dann-aha, er hatte das Papier erblickt! Es
zog ihn an, seine Lände griffen gierig darnach, er las es.
Zweimal las er es, — sehr genau, sehr aufmerksam, mit
sehr großem Interesse.
!lnd dann schaute Schlippenbach mich an, übcr dcw
ganze Gesicht behaglich lächelnd. „Also hören Sie mal: da»
ist ja einfach famos! Da haben Sie jedenfalls cinen Be-
kannten, der hier manchmal bei Ihnen herumschnüpelt. Uud
der Kerl soll das lesen, nicht wahr? Großartig ist das! Das
werde ich mir merlen, das ist ja eine prächtige Idcc! -on.
Vergleich
Auskunft
— „Was, zwci Stunde» sind 's noch
bis auf die Burg hinauf? Das hätte
ich nicht gedacht. Aber das macht wohl
die llare Luft heute."
— „Nee, — bei Regenwetter ist 's grade
so weit."
Selbstverständlich
— „Neulich habe ich der,Großen Trom-
pete' einen Witz geschickt, einen groß-
artigen Witz, einen fabelhaften Witz,
einen einfach unbezahlbaren Wiy. Ge-
druckt haben sie ihn, aber von Lonorar
hab' ich bis jeht noch nichts gemerkt."
— „Na, wenn er unbezahlbar ist!"
— „Wenn die Sache weh tut, so bin darum nicht ich schuld,
sondern Ihre Nerven."
— „Und wenn ich Ihnen wieder mit der Faust auf die Nase
haue, dann verklagen Sie bitte nicht mich, sondern meinen Zahn!"
Das Panoptikum Von Arkur Wagner
Der alte Oberst Lackelberg mit dem Beinamen „Wallen-
stein" saß im Stadtgarten und zeichnete mit dem gold-
knopsverzierten Biedermeierstock Figuren in den Sand. Er
sah trotz seiner siebzig Iahre noch sehr rüstig aus; wer es
nicht wußte, hätte ihn für einen Fünsziger halten lönnen.
Wie alt Oberft Lackelberg war, das wußten in dcr kleincn
Stadt freilich alle, wie es denn hier auf die Dauer über-
haupt kcin Geheimnis gab und geben konnte.
Dasür war gesorgt! Nicht umsonst halte jeden Sonntag-
abend dieMuseumsgesellschafkoder,wiesie seit etwa 15Iahren
hieß, das „Panoptikum", ihren Moselabend, nicht umsonst
tagte zweimal in der Woche, Mittwoch und Samstag, ihr
Konkurrenzunternehmen, das Lesekränzchen, wo man frcilich
schon seit Menschengedenken nicht mehr
las, und noch viel wenigerumsonst kamen
die Damen der Stadt in zahlreichen
unbenannten, aber desto häufigeren
Kränzchen zusammen. Dies waren die
alchimistischcn Küchen, wo in den Re-
torten der Diskretion und den Kolbcn
der Unverantwortlichkeit die Gcheimniffe
Sillerfingens unter dem Siegel der
strengsten Verschwicgenheit gar gckocht
wurden.
Die Mitg lieder dieser Zirkel — und
Parias gab es nicht — hatten so viele
Geheimniffe vor einander, daß keinem
vom andern etwas Wesentliches un-
bekannt war. So natürlich auch das
Alter von Wallenstein alias Oberst
Lackelberg nicht. Nur eines wußte
niemand: wie schwer es ihm nämlich
39
va§ vveinenäe käumchen
llerjchämt wie wohl nach lühem eraum
Lrblllht ein junger Nplelbaum.
llnä um äie blülen, wcih unä rot,
vie lingerlein unä 2wciglcin lohl
kin goläig LiihIiiigLleuchlen.
Sein Seelchen ist äer lllunäer voll
llon allem viang, äer überquo»,
llnä steht nun äa in Lau unä prscht
llnä weist kaum, wie er jchluchrt
unä lacht.
va kallen jeine Lrsnen.
UUKelm 5cnnemäna
liest er dann ganz ungeniert, —
so, als wäre es die natürlichste
Sache der Welt. Einmal hat er
sogar das Biichlein zu packen be-
kommen, worin ich meine Aus-
gaben notiere. Das hat ihn sehr
interessiert.
Ia, und das wollte ich nun
Schlippenbach abgewöhnen, und
zwar gründlich abgewöhnen. Die
Krihelei am Lauptpostgebäude
halte mich auf ein sehr schönes
Mittel gebracht. Gleich ging ich
nach Lause, nahm einen Bogcn
schönen weißen Papiers, spannte
ihn in die Schreibmaschine und
tippte folgende lehrreichen Zeilen
nieder:
„Es ziemt sich nicht, bei an-
deren Leuten ohne gehörige Ver-
anlaffung Schriftstücke in die
Land zu nehmen und zu lesen. So
etwas paßt sich ganz und gar
nicht; man soll sich nicht um Dinge
kümmern, die einen nichts angehn,
und von denen Kenntnis zu neh-
men man nicht im geringsten auf-
gefordert worden ist. Ein wohl
erzogener Mensch wird das nie-
mals tun. Er läßt alles hübsch
an seinem Platze liegen und si'ht gar nicht danach hi».
Zwei Tage später kam SchlipPenbach wieder einmal
zu Besuch. Das belehrcnde Schriftstück lag, durch Ver-
einsamung hervorgehvben, auf einer freigemachten Ecke
meines Schreibtisches. Schlippenbach sprach, plauderte, er-
zählte. Dann-aha, er hatte das Papier erblickt! Es
zog ihn an, seine Lände griffen gierig darnach, er las es.
Zweimal las er es, — sehr genau, sehr aufmerksam, mit
sehr großem Interesse.
!lnd dann schaute Schlippenbach mich an, übcr dcw
ganze Gesicht behaglich lächelnd. „Also hören Sie mal: da»
ist ja einfach famos! Da haben Sie jedenfalls cinen Be-
kannten, der hier manchmal bei Ihnen herumschnüpelt. Uud
der Kerl soll das lesen, nicht wahr? Großartig ist das! Das
werde ich mir merlen, das ist ja eine prächtige Idcc! -on.
Vergleich
Auskunft
— „Was, zwci Stunde» sind 's noch
bis auf die Burg hinauf? Das hätte
ich nicht gedacht. Aber das macht wohl
die llare Luft heute."
— „Nee, — bei Regenwetter ist 's grade
so weit."
Selbstverständlich
— „Neulich habe ich der,Großen Trom-
pete' einen Witz geschickt, einen groß-
artigen Witz, einen fabelhaften Witz,
einen einfach unbezahlbaren Wiy. Ge-
druckt haben sie ihn, aber von Lonorar
hab' ich bis jeht noch nichts gemerkt."
— „Na, wenn er unbezahlbar ist!"
— „Wenn die Sache weh tut, so bin darum nicht ich schuld,
sondern Ihre Nerven."
— „Und wenn ich Ihnen wieder mit der Faust auf die Nase
haue, dann verklagen Sie bitte nicht mich, sondern meinen Zahn!"
Das Panoptikum Von Arkur Wagner
Der alte Oberst Lackelberg mit dem Beinamen „Wallen-
stein" saß im Stadtgarten und zeichnete mit dem gold-
knopsverzierten Biedermeierstock Figuren in den Sand. Er
sah trotz seiner siebzig Iahre noch sehr rüstig aus; wer es
nicht wußte, hätte ihn für einen Fünsziger halten lönnen.
Wie alt Oberft Lackelberg war, das wußten in dcr kleincn
Stadt freilich alle, wie es denn hier auf die Dauer über-
haupt kcin Geheimnis gab und geben konnte.
Dasür war gesorgt! Nicht umsonst halte jeden Sonntag-
abend dieMuseumsgesellschafkoder,wiesie seit etwa 15Iahren
hieß, das „Panoptikum", ihren Moselabend, nicht umsonst
tagte zweimal in der Woche, Mittwoch und Samstag, ihr
Konkurrenzunternehmen, das Lesekränzchen, wo man frcilich
schon seit Menschengedenken nicht mehr
las, und noch viel wenigerumsonst kamen
die Damen der Stadt in zahlreichen
unbenannten, aber desto häufigeren
Kränzchen zusammen. Dies waren die
alchimistischcn Küchen, wo in den Re-
torten der Diskretion und den Kolbcn
der Unverantwortlichkeit die Gcheimniffe
Sillerfingens unter dem Siegel der
strengsten Verschwicgenheit gar gckocht
wurden.
Die Mitg lieder dieser Zirkel — und
Parias gab es nicht — hatten so viele
Geheimniffe vor einander, daß keinem
vom andern etwas Wesentliches un-
bekannt war. So natürlich auch das
Alter von Wallenstein alias Oberst
Lackelberg nicht. Nur eines wußte
niemand: wie schwer es ihm nämlich
39
va§ vveinenäe käumchen
llerjchämt wie wohl nach lühem eraum
Lrblllht ein junger Nplelbaum.
llnä um äie blülen, wcih unä rot,
vie lingerlein unä 2wciglcin lohl
kin goläig LiihIiiigLleuchlen.
Sein Seelchen ist äer lllunäer voll
llon allem viang, äer überquo»,
llnä steht nun äa in Lau unä prscht
llnä weist kaum, wie er jchluchrt
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