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Der richtige Titel

Für das „Püsterberger Abendblatt" vom 5. August
fehlt noch eine halbe Spalte Text, was dem bedauerlichen
Amstande zuzuschreiben ist, daß heute aus irgend welchen
Gründen die Post und also auch andere Zeitungen aus-
geblieben sind. Der Redakteur, der zu Mittag ein paar
Gläser Bier mehr getrunken hat. ist träge und unlustig.
wofür er aber „abgespannt" sagt. Doch wozu ist der
Redaktionsvolontär da? „Schnell. mein Lieber." fagt der
Nedakteur, „erfinden Sie mal etwas recht Schönes."

Der Volontär überlegt fleißig. „Vielleicht eine Ehe-
tragödie in Südamerika?" schlägt er vor.

„Ansinn! Ehetragödien sind total veraltet, — die hat
es.schon zu viel im Kintopp geaeben."

„Mit neu entdeckten intereffanten Tieren auf Neu-
Guinea oder sonstwo ist auch nicht mehr viel los," meint
der Eleve zaghast.

Der Redakteur brummt, sein Gehilfe müsse dem Irren-
haus entsprungen sein. And da hat dieser eine Idce. „Wie
wäre es damit: Schreckliche Tat eines Wahnsinnigen?"

„§>m, — feine Aeberschrift, sehr fein sogar. Von
Verrücktheiten liest das Publikum immer qern. Aber was
weiter?"

Der Volontär strengt sich an. „Vielleicht ein Familien-
vater in Kalabrien oder Sizilien, der seine zwölf Kinder —"

Der Nedakteur hält sich die Ohren zu. „Blödsinn!
Viel zu oft da gewesen. Ihnen fällt abcr auch gar nichts
Gescheites ein."

Da wagt der Redaktionsvolontär einen Vorschlag. den
er schon lange auf dem Lerzen hat. „Könnte ich nicht ein-
mal eines meiner lyrischen Gedichte zum Abdruck bringen?"

„Na, hören Sie mal, wir wollen doch keine Abonnenten
verlieren," meint der Redakteur. Aber schließlich rührt ihn
das bekümmerte Gesicht des Volontärs. „Also meinet-
wegen, — im August wird man uns das ja nicht so übel
nehmen."

Freudig gibt der junge Dichter sein Manuskript in die
Druckerei. Als der Korrekturabzug kommt, sieht der
Redakteur hinein. „Mondscheinzauber, — na, das ist nun
auch grade nichts Besonderes." Er licst das Gedicht. And
dann meint er: „Wissen Sie was! Sie hatten doch vor-
hin so eine famose, packende Ueberschrift gefunden. Man
soll nie etwas Gutes umkommen lassen. Schreiben Sie
über Ihr Gedicht: Schreckliche Tat cines Wahnsinnigen."

—on.

Die Doktorarbeit Von Artur Wagner

Gestern sah mich jemand von der anderen Straßenseite
scharf an. Da ich sehr sensibel bin, merkte ich es erst, als
der Produzent diescs scharsen Blickes schon fast vorüber war.
Donnerwetter! Das war ja der canc!. meci. Knolle aus
Klein-Forcha bei Apolda! Wir gingen aufeinander zu, und
da Knolle immer ein netter Kerl gewesen war, fragte ich
ihn gleich; „Na, wie gehts, altes Aas?" Knolle schüttelte
mir in sichtlichem Wiedererkennen die Land und schien nach
Worten der Frcude zu ringen. Dann entleerte er einen
langen Streifen Wortsalat aus seinem Munde, aus dem ich
ab und zu „Freue mich sehr," „nächstens Abendschoppen"
und ähnliches heraushörte.

Im Gedanken an unsre alte Freundschaft schlug ich ihm
in die Achselhöhle und sagte: „Knolle, nußle nicht so! Ich kann
kein Wort verstehen." Dies schien Knolle ins wirkliche Le-
ben zurückzuversehen, denn er sagte plötzlich ganz klar: „Ist
mir leider nicht möglich. Ich bin nämlich total betrunken!"

— „Ietzt müssen wir zum Zug, Onkel, und nun haben wir
doch vergessen, der Tante was mitzubringen."

— „Donnerwetter, stimmt! Na, sagen wir ihr, wir hätten ge-
hört, nächste Woche sollt's mit dem Preisabbau losgehn, —
da ist sie ganz zufrieden, daß wir nichts gekauft haben."

Ich nahm ihn entschlossen und herzhaft unter den Arm
und zog ihn mit mir fort, aber er widerstrebte und zerrte
mich nach der andern Richtung. „Mensch," sagte er, „ich
muß doch in die psychiatrische Klinik!"

Ich war wirklich erschüttert. Knolle war früher ein
völlig normaler Mensch gewesen. Er halte überall Schulden,
jeden Samstag einen Rausch und vom fünsten jedes Monats
an kein Geld mehr gehabt. Ich kannte auch seine lieben
Eltern. Sein Valer war Wurstfabrikant und seine Mutter
ebenfalls zwei Zentner schwcr. And doch war in dem Sohn
verderblicher Wahnsinn aufgekeimt? Armer Freund! Aber
soviel schien er noch von sich zu wissen, daß er in die Klinik
gehörte, und darum ließ ich ihn ruhig gewähren und ging
mit ihm.

Knolle seufzte ein paarmal, wie von tiefem Ekel ge-
schüttelt, auf; wahnsinnige Träume schienen ihn heimzu-
suchen.

Schweigend gingen wir dahin. „Ich mache nämlich
meine Doktorarbeit," sagte Knolle plöhlich. Aha! Das war
seine fixe Idee! Man soll solche Kranke immer möglichst
rasch ablenken, darum machte ich ihn auf einen Mann auf-
merksam, der mit einer Zange Papierschnihel auflas.

„Das wäre auch so etwas für mich," sagte Knolle.
„Ich muß nämlich nach und nach alle Berufe heranziehen.
Aber ich hoffe, in vier Wochen mit der Doktorarbeit fertig
zu sein." Er ließ sich also von seiner fixen Idee nicht ab-
bringen. Ich ging schneller mit ihm davon. Knolle sah
mich verstohlen von der Seile an.

Ietzt waren wir an der Klinik angekommen, ich war
sehr gespannt, wo er mich hinführen würde. In einem
kleinen Arbeitszimmer machten wir Lalt. „Dics ist mir
vom Professor P eingeräumt," sagte er, „hier schreibe ich
meine Doklorarbeit."

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