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— „Aber, aber, — Sie brauchen doch nicht die ganze Gaffe einzunehmen."

— lAch wat, ick bin Marktsrau! Da bin ick jetzt jewöhnt, einzunehmen, wat ick kann."

Das Pferderennen V°n F-rdinand Kahn

Ich hatte noch nie ein Nennen besucht. Aber eines
Tages sagte der Kollcge Vachecker zu mir, er verstehe nicht,
wie man dafür kein Verständnis haben könne. And weil
ich nicht verstehen konnte, wie er nicht verstehen konnte, daß
man dafür kein Verständnis haben könne, bin ich gestern
hingcgangen. Die Veranstaltung dauert nachmittags von
2—7 Ahr und heißt „Pferderennen." Diese Bezeichnung
ist absolut irreführend, denn tatsächlich rennt von 2 — 7
Ahr nur das Publikum. Von der Tribüne zum Stall, vom
Stall zum Sattelplatz, vom Sattelplatz zum Totalisator, vom
Totalisator zur Tribüne, und dann geht das Gerenne wieder
von vorne an. Es muß zugegeben werden, daß gelegentlich
auch Pferde laufen. Eolche Episoden nehmen aber in den
5 Stundcn von 2 — 7 Ahr nachmittags einen derartig ge-
ringfügigcn Zeitraum ein, daß sie eigentlich gar nicht er-
wähnenswert sind. Mir fielen sie als Ruhepause im Zuschauer-
rcnnen besonders angenehm Ladurch auf, daß man während
ihrer Dauer im Kaffee hinter den Tribünen auch wirklich
Platz bekam und sosort bedient wurde. Jch habe diese für
dcn Neuling wichtige Entdeckung natürlich entsprechend aus-
genützt und im Laufe des Nachmittags 5 Mal Kaffee ge-
trunken. Einen alten Lerrn, der mir das System scheinbar
abgeguckt hatte und immer gleichzeitig mit mir im Kaffee
erschien, fragte ich wißbegierig, ob er sich auch so für
Pferderennen interessiere? Er antwortete mir schroff als
geübter Turfbesucher: „I schaug überhaupts net hi — i tua
nur wettnl" Dadurch eröffnete fich mir der erste tiefe Ein-

blick in den süßen Kcrn jencs Sports, deffen rauhe Schale
sich „Pferderennen" nennt.

Eine weitere Frucht meines ersten Ausfluges in die
Lippologie war das verständnisvolle Eindrmgen in das
Wesen der wichtigsten Fachausdrücke, deren Kennlnis erst
vollwertig macht im Kreise der Sattelfesten.

Der Start.

Der Start ist dasjenige, was nie aufs erste Mal gelingt.
Der Start ist tatsächlich und renntechnisch das Gegenteil
vom Ziel. Während gcwünscht wird, daß die Pserde am
Ziel hmtereinander vorbeikommcn, sollen sie am Start in
geschlossener Reihe ablaufen. In dcr Aufregung werden
diese beiden Begriffe von den Pferden oft verwcchselt, was
die Zuschauer mit Anwillen quittieren. Es wäre viel cin-
facher, die Pferde hintereinander vom Ziel ablaufen und
gemeinsam am Start ankommen zu lassen. Aber auf diesen
Gedanken ist scheinbar noch kein Rennverein gekommen.

Der Favorit.

Favorit heißt auf Deutsch ungesähr — das Lieblings-
pserd. Dieser Ehrentitel scheint nur ironisch gemeint zu sein,
denn der Favorit ist dasjenige Pferd, übcr das man sich
am meisten ärgern muß. Lat man auf ihn gesetzt, und er
gewinnt das Renncn, dann bekommt man mit Miihe und
Not seinen Einsatz wieder. Seyt man auf ihn, und er ge-
winnt das Rennen nicht, dann har man als Lohn für die
Feighcit, sein Geld dem Favorit anzuvertrauen, auch noch
die Lhancen des Outstder verpaßt. Der Outsider ist das

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