Stne gräßliche Bcrufsangewohnhett
nicht einen ganz widerwärtigen Anblick bieten? Würdc
man da nicht lieber ausrücken mögen? Möchte da
nicht jeder die Augen zumachen? Für mich aber ist
die Welt beinahe schon so eingerichtet; ich sehe überall
die zu den Dingen gehörenden Zahlen, und wenn ich
einmal — fast ausnahmsweise, möchte ich sagen —
eine Zahl nicht gleich sehe, dann treibt mich eine
entsetzliche Gewohnheit, sie sofort mit möglichster
Genauigkeit festzustellen. So iehe ich die Welt an,
und das ist gräßlich, das ist zum Dreinschlagen.
Manchmal möchte ich alleS kaputt machen, so ganz
und gar kaputt, daß keine Zahlen mehr angehängt
zu werden brauchten. Ia, da wundern Sie sich nun!
Das haben Sie wohl nicht gedacht, daß es so etwas
geben könnte. Am Ende möchten Sie gern wiffen,
wie das allmählich so mit mir gekommen ist? Schönl
Ich bin in einer ganz kleinen Stadt geboren und auf-
gewachsen. Landel wurde da so gut wie gar nicht ge-
trieben, und ich hätte mich als Kind auch nicht darum
gekümmert. Ich war ein sehr harmloser Knabe. Selbst
bei den in der Scbule üblichen kleinen Tauschgeschäften
war ich nie so gut über den jeweiliqen Marktwert orien-
tiert wie manche mehr geriffenen Bengel. Ich habe ost
fünfMaikäfer für eine Schreibfeder gegeben, wenn ich
sie schon für drei Maikäfer hätte haben können, und über
das Werlvei hältnis zwischen den gewöhnlichen und den
bunten Marmeln, das oft sehr schwankte, je nachdem
mehr oder weniger bunte Marmeln auf dem Markt
waren, habe ich mich nie sehr genau bekümmert und gewiß
manchen Schaden dadurch erlitten. Ia, so war ich damals.
Mit sechzehn Iahren aber kam ich in eine ganz große
Stadt zu meinem Onkel Zacharias ins Geschäft. Onkel
Zacharias war ein Gelegenheitsmacher; er kaufte und ver-
kaufte alles — in einem großen, mit den Iahren durch
Anbauten erweiterten Gewölbe, wo tausende von Dingen
aufgestapelt waren: alt und neu, selten und gewöhnlich,
kostbar und billig. Mein Onkel wußte mit allem Bescheid,
und er hat sich Mühe gegeben, mir das mitzuteilen. Oder
eigentlich: Mühe war da gar nicht nötig; ich habe das ganz
gern gelernt, denn Onkel Zacharias machte keineswegs nur eine
trockene Landelswtffenschast daraus. In all dem Wirrwarr
— „Kommen S' nur unter mein Schirm, Fräul'n; i muß
ja a zum Bahnhof, da zahl'n S' bloß die halbe Tax."
menschlicher Kunstfertigkeit steckt ja auch viel mehr, — Völker-
kunde, Weltgeschichte usw. !lnd deshalb hatte meine Lehr-
zeit bei Onkel Zacharias auch manche reizvollen Stunden.
Aber ich mußte erkennen, daß solche Abschweijungen
ihre Gefahren haben. Mein Onkel Zacharias ging nämlich
kaputt, weil er in Bezug auf einzelne Zweige seines Landels
zu sehr Liebhaber und zu wenig Geschäftsmann war. Na,
ich machte dann allein weiter, und kurz und gut: schließlich
wurde ich gerichtlich vereidigter Taxator, Auktionator usw.
Daß ich in meinem Beruf nicht so leicht von jemand zu
übertreffen bin, können Sie mir glauben.
Ich bin früher auch ganz zufrieden gewesen. Der Mensch
kann dieses werden und kann jenes werden, die meisten eines
so gut wie das andere, und nachher suchen ste
das Beste daraus zu machen. Aber nun bedenken
Sie: in den letzten Iahren wird doch in meinem
Beruf so mit Lochdruck gearbeitet, wie man das
früher nicht sür möglich gehalten hätte. Kein
Mensch hätte doch gedacht, daß einmal so viel mit
alten Dingen gehandelt, daß von tausenden Fa-
milien aller mSgliche alt ererbte Besitz würde ab-
gestoßen werden müssen, - in einem solchen Maß,
daß dies gradezu die Signatur unserer Zeit abge-
ben kann. Nichtwahr: eshat ein Zeitalter der Auf-
klärung gegeben ein Zeitalter der Naturwiffen-
schaften, der Technik-na also, jetzt stnd wir
im Zeitalter des Verkloppens, um die Sache
beim rechten Namen zu nennen Nun sollte man
doch meinen, dieses Zeitalter müßte für einen
Mann meines Berufes das allerprächtigste sein.
Lab' ich auch gedacht, als der Rummel so all-
mählich losging, und meine Fachgenoffen denken
heute noch so. Natürlich, wir verdienen ja alle
gehörig Geld; wir brauchen uns vorläufig keine
Sorgen zu machen, für uns wird immer noch
was zu tun sein, solange es überhaupt noch
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nicht einen ganz widerwärtigen Anblick bieten? Würdc
man da nicht lieber ausrücken mögen? Möchte da
nicht jeder die Augen zumachen? Für mich aber ist
die Welt beinahe schon so eingerichtet; ich sehe überall
die zu den Dingen gehörenden Zahlen, und wenn ich
einmal — fast ausnahmsweise, möchte ich sagen —
eine Zahl nicht gleich sehe, dann treibt mich eine
entsetzliche Gewohnheit, sie sofort mit möglichster
Genauigkeit festzustellen. So iehe ich die Welt an,
und das ist gräßlich, das ist zum Dreinschlagen.
Manchmal möchte ich alleS kaputt machen, so ganz
und gar kaputt, daß keine Zahlen mehr angehängt
zu werden brauchten. Ia, da wundern Sie sich nun!
Das haben Sie wohl nicht gedacht, daß es so etwas
geben könnte. Am Ende möchten Sie gern wiffen,
wie das allmählich so mit mir gekommen ist? Schönl
Ich bin in einer ganz kleinen Stadt geboren und auf-
gewachsen. Landel wurde da so gut wie gar nicht ge-
trieben, und ich hätte mich als Kind auch nicht darum
gekümmert. Ich war ein sehr harmloser Knabe. Selbst
bei den in der Scbule üblichen kleinen Tauschgeschäften
war ich nie so gut über den jeweiliqen Marktwert orien-
tiert wie manche mehr geriffenen Bengel. Ich habe ost
fünfMaikäfer für eine Schreibfeder gegeben, wenn ich
sie schon für drei Maikäfer hätte haben können, und über
das Werlvei hältnis zwischen den gewöhnlichen und den
bunten Marmeln, das oft sehr schwankte, je nachdem
mehr oder weniger bunte Marmeln auf dem Markt
waren, habe ich mich nie sehr genau bekümmert und gewiß
manchen Schaden dadurch erlitten. Ia, so war ich damals.
Mit sechzehn Iahren aber kam ich in eine ganz große
Stadt zu meinem Onkel Zacharias ins Geschäft. Onkel
Zacharias war ein Gelegenheitsmacher; er kaufte und ver-
kaufte alles — in einem großen, mit den Iahren durch
Anbauten erweiterten Gewölbe, wo tausende von Dingen
aufgestapelt waren: alt und neu, selten und gewöhnlich,
kostbar und billig. Mein Onkel wußte mit allem Bescheid,
und er hat sich Mühe gegeben, mir das mitzuteilen. Oder
eigentlich: Mühe war da gar nicht nötig; ich habe das ganz
gern gelernt, denn Onkel Zacharias machte keineswegs nur eine
trockene Landelswtffenschast daraus. In all dem Wirrwarr
— „Kommen S' nur unter mein Schirm, Fräul'n; i muß
ja a zum Bahnhof, da zahl'n S' bloß die halbe Tax."
menschlicher Kunstfertigkeit steckt ja auch viel mehr, — Völker-
kunde, Weltgeschichte usw. !lnd deshalb hatte meine Lehr-
zeit bei Onkel Zacharias auch manche reizvollen Stunden.
Aber ich mußte erkennen, daß solche Abschweijungen
ihre Gefahren haben. Mein Onkel Zacharias ging nämlich
kaputt, weil er in Bezug auf einzelne Zweige seines Landels
zu sehr Liebhaber und zu wenig Geschäftsmann war. Na,
ich machte dann allein weiter, und kurz und gut: schließlich
wurde ich gerichtlich vereidigter Taxator, Auktionator usw.
Daß ich in meinem Beruf nicht so leicht von jemand zu
übertreffen bin, können Sie mir glauben.
Ich bin früher auch ganz zufrieden gewesen. Der Mensch
kann dieses werden und kann jenes werden, die meisten eines
so gut wie das andere, und nachher suchen ste
das Beste daraus zu machen. Aber nun bedenken
Sie: in den letzten Iahren wird doch in meinem
Beruf so mit Lochdruck gearbeitet, wie man das
früher nicht sür möglich gehalten hätte. Kein
Mensch hätte doch gedacht, daß einmal so viel mit
alten Dingen gehandelt, daß von tausenden Fa-
milien aller mSgliche alt ererbte Besitz würde ab-
gestoßen werden müssen, - in einem solchen Maß,
daß dies gradezu die Signatur unserer Zeit abge-
ben kann. Nichtwahr: eshat ein Zeitalter der Auf-
klärung gegeben ein Zeitalter der Naturwiffen-
schaften, der Technik-na also, jetzt stnd wir
im Zeitalter des Verkloppens, um die Sache
beim rechten Namen zu nennen Nun sollte man
doch meinen, dieses Zeitalter müßte für einen
Mann meines Berufes das allerprächtigste sein.
Lab' ich auch gedacht, als der Rummel so all-
mählich losging, und meine Fachgenoffen denken
heute noch so. Natürlich, wir verdienen ja alle
gehörig Geld; wir brauchen uns vorläufig keine
Sorgen zu machen, für uns wird immer noch
was zu tun sein, solange es überhaupt noch
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