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„Na, hören Sie: das ist aber 'n unverschämter Preis für dies olle englische Taschenwörterbuch."
„Nu. — bei der englischen Valuta!"

Eine grähllche Berufsangewohnheit

was zu verkloppen gibt. Aber jetzt ist mir anders zu Mute
geworden, ganz anders. Sehen Sie: seit Iahr und Tag
sind nun alltäglich so und so viel Leute zu mir gekommen
und haben mich alle möglichen Dinge schätzen lassen, und
hierhin und dorthin bin ich in Wohnungen gegangen und
habe Klaviere und Möbel und Antiquitäten und Teppiche
und, wer weiß, wie vielen andern Krempel angesehn und
geschätzt, und nun bin ich in Schwung gekommen und kann
nicht anhalten, und es geht in mir wie eine Maschine, und
ich muß immerzu taxieren, taxieren.

Ich gehe ins Theater und denke, ich werde auf andere
Gedanken kommen. Keine Möglichkeitl Die können da
auf der Bühne reden und schreien und machen, was sie
wollen, — ich taxiere die Kleider, die sie anhaben, den
Schmuck, den sie tragen, die Einrichtung des Zimmers, in
dem sie sitzen usw. Im Kino ist das noch schlimmer; da
gibt es noch viel mehr zu taxieren, denn im Film wird ja
mit allem Möglichen ordentlich aufgetrumpft. Am erträg-
lichsten wäre noch der Zirkus, aber da ist wieder der Aebel-
stand, daß der Naum nicht verdunkelt wird, und dann sehe
ich alle Leute um mich, und wenn sie irgend was von Wert
an sich tragen, dann schätze und taxiere ich in Gedanken. Ich
kann überhaupt kaum noch einen Menschen ansehn, ohne daß
ich ins Taxieren komme, — es müßte denn grade ein Bettler
sein. Nun sagen Sie: ist das nicht widerwärtig? Kann man
da noch irgend ein Vergnügen an der Welt haben, wenn
ste einem wie ein illustrierles Preisverzeichnis vorkommt?"

Er hatte sich in starke Aufregung hineingeredet und
dabei, wohl ganz unbewußt, sein dickes Notizbuch, das
ziemlich sest in der Brusttasche steckte, nach und nach heraus-
gezerrt. Ietzt erst schien er zu gewahren, daß er es in der
Land hielt. Wütend schmiß er es zur Erde. „Da — und
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dies schleppe ich auch noch immer bei mir. Ergänzung zu
dem blödsinnigen Preisverzeichnis. Da steht das drin,
womit ich mein Gedächtnis nicht belasten wollte, — aber
jetzt weiß ich auch das schon alles auswendig. Zum Bei-
spiel: Klaviere. Alle nur einigermaßen bekannten Fabrikate
sind da verzeichnet mit den Preisen aus etwa den letzten
dreißig Friedensjahren. Muß ich wiffen, geht nicht anders.
Denn wenn Schulz sein Klavier verkausen will und auf-
muckl, weil er nicht grade so viel bekommen soll wie Müller
für das seine, — dann muß ich Schulz das doch erklären
können. Wollen Sie vielleicht wissen, wie hoch sich das
Kilo Fertigware in Kupfer im Iahre 1893 durchschnittlich
gestellt hat? Steht auch darin. Fein, was?"

Wükend stieß er mit dem Fuß nach dem Notizbuch.
Das schien ihm Erleichterung zu verschaffen, denn er suhr
uun etwas ruhiger, aber mehr bekümmert fort: „Ich bin
vorhin ein bißchen außer mir geraten, nicht wahr? Das
war wegen der dummen Geschichte mit der verfluchten Tisch-
decke in dem Garten. Ich hatte gar nicht die Abstcht, mich
einzumengen; es ging in mir los wie eine Maschine. Da
habe ich mich ganz furchtbar über mich selber geärgert.
Denn ich wollte nicht mehr taxieren, ich hatte mir das zu-
geschworen. Leute erst, vor ein paar Stunden. O, ich hatte
Grund dazu. Denn wenn einen eine niederträchtige Gewohn-
heit, und sei sie von Berufs wegen noch so begreiflich, ja
außerordentlich nützlich, durch einen blödsinnigen Zusammen-
hang um etwas Wunderschönes, was man sich erhofft hat,
mit einem Schlage gebracht hat, — nun, dann müßte man
doch eine Bestie sein, wenn man sich diese verfluchte Ge-
wohnheit nicht sofort abschwören wollte. Leute Vormittag
ist mir das geschehn."

Wieder gab er seinem Notizbuch einen Fußtritt. And
dann erzählte er wie selbstverständlich: „Erna heißt das
 
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