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Dcr Traum von der geistigen Nahrung
Tiscb, sondern abseils, nach einer Ecke zu, aber in
einem so hervorragenden Sessel, daß diese Abson-
derung eher als Auszeichnung zu betrachten war.
Ich nahm Platz und schlug die Beine bequem über-
einander,wobei nun beide Losenbeine meines Nacht-
anzugs in die Löhe rutschten, was mich aber wieder
gar niwt kümmerte.

Die Lerren um den Tisch herum waren müßig;
sie schienen auf irgend etwas zu warten. Die einen
biätterten in Papieren, die andern ipielten mit
Schreibgerät, — einer aß eine Semmel, die, glaube
ich. mit Schinken belegt war. Mir schien das nicht
recht zu dem Olte zu Passen; ich sah ihn deshalb
scharf an und er kriegte lolch einen Schreck, doß er
sich verschluckte und ganz furchtbar zu huften anfing.

Es trat nun noch ein Lerr ein, der anicheinend
der Bm sitzende dieser Versammlung war. Er setzte
sich eilig und wollte sofort sprechen, mußte aber
längere Zeit warten, bis der mit der Schinkensemmel
seinen Lusten überwunden hatte. Inzwischen über-
legte ich, was diese Vereinigung wohl zu bedeuten
hätte. G^lt es etwa die Sitzung eines Bankdirek-
toriums, eines Aufsichtsrats oder dergleichen?
Nein, danoch sahen die Lerren nicht aus. Eine
gelehrte Gesellichait? Auch nicht — danach sahen
ste noch viel weniger aus. Auf einmal aber, wie
das im Traum so geht, wußte ich ganz genau,
woium es sich handelte. Donnerwetter, dieses
Konsortium hier war ja eine von jenen Körper-
schaften, die das bckden, was man Regierung zu
nennen pflegt. Kein Zweifel, ich wohnte emer Sit-
zung einer Negierung bei.

Es ging nun auch — das letzte Semmelkrümel-
chen war ausgehustet — gleich los. Nach einem
Blick zu mir hinüber, als wenn er um das Wort
bä e, leqte der vorsitzende Lerr flch einige Papiere
mit Noti en zurecht, strich sich über die Stirn,
seufzte schwer und hielt nun wörtlich den fo'gen-
dcn, hin und wieder von eigenen Seufzern oder
denen der anderenLerren unlerbrochenen Voitrag:

„Meine Lerrenl In ernster Stunde finden wir
uns zusammen. Es gckt, auf schleunige Maßregeln
zu sinnen einer surchtbaren Gefahr gegenüber, die
das Leben der Nation bedroht, die aber auch durch
ihre nie dagewesene, nie für möglich gehallene
Eigenart die Abwehr unendlich erschwert, da es
in diejer so gänzlich neuen Situation an allen Bei-
spielen fehlt. Lassen Sie mich zunächst noch cinmal
kurz schi dcrn, wie diese schreck-iche Lage sich her-
ausgebiidet hat.

Es ist jetzt, meine Lerren, kaum zwei Iahre
her, daß die Vertreler der medizinischen Wissen-
schaft ein epidem sch auftretendes Aebel konsta-
tieren zu müssen glaubten, dcm sie völlig ratlos
gegcnüber standen. Aus allen Kreisen der Bevöl-
kerung. vorzüglich aber der ländlichen, meldeten
sich die Patienten, Sie bezeichnetcn ihre Veschwer-
den in der Regel schlicht und laienhaft als „Kopf-
schmerz". Genauere B fragung crgab, daß es sich
mehr um ein eigentümliches, nagendes Gefühl
im Schädel handelle, e>wa so, als ziehe sich das
Gehirn krampfhaft zusammen und winde stch. Iene
von dcm Uebel Besallenen, die es genauer zu k» ob-
achtcn und zu schildern imstande waren, erklärten.

Zur Entstehung der Träume

O, wie schon wieder im Konzert
Die Sängerin entsetzlich plärrt;

Wohl dem, der dies nicht hören mußl
So ächzt im Traum der Kritikus, —
Inzwischcn heult der Lund vor'm Laus
Beim Vollmond seinen Jammer aus.

Der Mensch hat sich im Schlaf gereckt

And seine Füße 'rausgestreckt;

Die Füße werden ziemlich kalt,

Ein böses Traumbi.d kriegt Gestalt:
Die Fußbekleidungsnot ist dringlich, —
Der Stlefelpreis wird unerschwinglich.

Bepackt, daß er's kaum tragen kann,

Bringt der geplagte deutsche Mann
Das Letzte dem Finanzamt dar.

Solch Traum ist leider beinah' wahr.

Leicht hat ihn, wer vor'm Schlafengehen

Noch seine Zeitung durchgesehen. Ptro

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