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Der Traum vo» der geistigen Nahrung
das Verlangen nach geistiger Nah-
rung. And dieses Verlangen mußle
befricdigt werden, denn — dies war
das Erstaunliche, Seltsame, Erschrek-
kende — genau wie beim Entbehren
der leiblichen Nahrung der Magen
rebellisch wird, so rächte sich jetzt in
ganz ähnlicher Art das Gehirn des
Menjchen beim Fehlen der geistigen
Nahrung.

Woher diese merkwürdige Verän-
derung des menschlichen Organismus,
oder wie man es sonst nennen wollte,
letzten Endes rühren mochte, darüber
entbrannte nun ein heftiger Streit der
Meinungen, der bis heute noch nicht
entschieden ist. Es ist Ihnen ja be-
kannt, meine Lerren, daß einerseits
erklärt wurde, es handelle sich um eine
neue Etappe in ihrer Entwickelung, die
die Menschheit da erreicht hälte, wäh-
rend andrerseits behauptet wurde, dies
wäre ein zwar unerklärlicher, aber
eigentlich als eine Art von Vergel-
tung durchaus zu begrüßender Rück-
schlag gegen die außerordentliche Ver-
achtung geistiger Güter, die sich nach
dem großen Kriege und den Revolu-
tionsstürmen so sehr bemerkbar gemacht
hatte. Dem sei nun, wie ihm wolle, —
wir haben diese Frage nicht zu unter-
suchen, meine Lerren; wir haben nur
zu der Tatsache selbst Stellung zu
nehmen. And es ist eine unerbittliche,
eine sehr harte, eine überaus ernste
Tatsache.

Zunächst war man stch defsen nicht
bewußt. Man war vielmehr geneigt,
diese neue Erscheinung im Mensch-
heitsleben, sobald erst mit der gefun-
denen Abhilfe die Beseitigung der Ve-
lchwerden des einzelnen Betroffenen
möglich war, eigentlich recht inter-
effant, um nicht zu sagen amüsant zu
findeu. Eine nicht versiegende Quelle
öffentlicher Erörterung war da ent-
standen. Zuerst wurde das allmähliche
Fortschreiten des geistigen Nahrungs-
bedürfniffes regis-
striert und von den
nach und nach er-
griffenen Berufs-
kategorien berich-
ret. Besonders
stark, was ja be-
greiflich war, trat,
wie schon erwähnt,
dieErscheinung auf
dem Lande auf.

Ganze Dörfer auf
einmal verlangten
nach der Lieferung
guten Lesestoffes.

Aber auch aus den

ver ^raum äes Lräuligams

Nun war es enälich ihm geglückt.

Er hatte um sie angehallen;

Sie halte zärllich ja genickt,

Unä äann ging er zu ihren Ulten.

ver alte tzerr, beäeutenä reich,
kvar einverstanäen mil äem §reier;
Oie Mutter war gerührt unä weich,
Unä abenäs rvar verlobungsfeier,

Nachher, als er sich äann empfahl,
Sing sie noch mit bis in äen Sarten.
tzier gab er ihr, äoch mehr formal,
ven ersten Uusz, wie zu erwarten,

§ie hätt' ihir gerne noch zurück
Sehalten, aber ohne Säumen
Lprach er: „Schlaf sütz: vu bist mein
Slück, —

5ch weräe selig von äir träumen."

varauf begab er sich nach tzaus
Unä äachte, halb fickel, halb kläglich:

ffetzt bin ich aus äenr valles 'raus,
voch ist äas Slück nicht graä' unsäglich,

Lr ging zu 6ett. Valä schlief er ein,
va konnte auch äer vraum sich zeigen,
llnä ihm erschien im Uosenschein
Sin groster Seläschrank, äer sein eigen.

—on.

Zu früh geweckt

Frau Iakoby wacht a»f: ihr Gatte
schreit furchtbar im Schlaf Sie rüttelt
ihn wach. „Am Limmels willen, Moritz,
was ist dir?"

Lerr Jakoby kommtzu sich. „Donner-
wetter, war das ein Traum! Mit unserm
Velter Felix war ich zusammengeraten."

„Ah, der Schuft, der Gauner!" sagt
Frau Iakoby.

„Grade wollte ich ihn furchtbar ver-
hauen."

Frau Iakoby seufzt bcdauernd. „Ach,
wenn ich das gewußt hätte, — da hätt'
ich dich nicht geweckt."

Kreisen der Industrie und des Landels
wurde die Nachfrage laut, ganz be
sonders von seiten der erst frisch zu
Wohlstand gekommenen, eine so eigen-
artige und vielfach bespöttelte Rolle
im Leben der Nation spielenden Leute.
Auch ganz merkwürdige Aeberrasch-
ungen gab es. Sie werden stch, meine
Lerren, noch des Falles jenes Ani-
versitätsprofessors erinnern, der —
ich will die Fakultät nicht nennen, nur
seinem Lehrfach und ganz abgeschloffen
lebend, auf einmal zu einem Arzt
lam, über Kopfweh klagte und nun
auch als von dem großen Leiden ge-
packt befunden wurde. Man denke
sich: ein Aniversitätsprofessor, der nicht
genügend geistige Nahrung zu sich
genommen hakte! Man mußte ihn
übrigens, defsen werden sie sich auch
noch erinnern,mit einersehr schonende»
Diät behandeln und durfte ihm an-
fangs nur ganz kleine Portionen
leichten Lesestoffes zuführen.

Von großem Interesse war es
auch, wie nun in vielen Fällen die
literarische Kritik sä sbsuräum ge-
führt wurde. Vieles, was sie gerühmt
hatte, konnte überhaupt nicht als an-
gemessene geistige Rahrung angesehen
werden. Welches ungeheure Aufsehen
erregte nicht der Fall jenes auf-
opferungsvollen jungen Menschen, der
zum Versuchszweck bei Entziehung
aller getstigen Nahrung sich vier
Wochen lang einsperren ließ! Als
seine Beschwerden auf das äußerste
gestiegen waren, verabreichte man ihm
die sämtlichen Werke jenes Schrift-
stellers, der bis dahin als der erste
deutsche Prosaiker der Gegenwart von
vielen, darunter auch von ihm selber,
bezeichnet worden war. Nun wohl, —
das Versuchsopfer verschlang die
sämtlichen Werke, sogar die noch nicht
gedruckten Fragmente, die der große
Prosaiker, der so berühmte Mann,
seit drei Lustren bei allen möglichen

Gelegenheiten vorgelesen hatte,-

aber nicht die ge-
ringste Besserung
zeigtesich,während
schon nach ein paar
SeitenvonMöricke
wieder völlige Ge-
nesung zu konsta-
tieren war. Iener
Prosaiker hat als-
dann in einer,
ich möchte sagen
Nechtfertigungs-
schrift das Anzu-
längliche des Ver-
suchs nachweisen
wollen, ist aber
2Z

Eine Aeberraschung
 
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