Der Prozeß gegen den un^chuldigen Wurmlinger
Sie kam im ersten Iahre dreimal zu Be-
such. Beim dritten Mal blieb sie eine ganze
Woche, ihre Zeit sehr angenehm mit Einkäufen
und dem Besuch von Museen und Theatern
verbringend. Am letzten Tage aber hatte ste
zwei unangenehme Erlebnisse. Sie hatte das
schon geahnt, denn als sie am Vormiltag aus-
gegangen war, da war ihr eine Katze über den
Weg gelaufen und noch dazu eine große schwarze
Katze, die selbstverständlich vicl mehr Angliick
bringt als ein niedliches weißes Kätzchen, das
höchstens einen kleinen Aerger verursacht. „Ich
hätte ja nun eigentlich sofort umkehren müssen,"
erklärte Tante Laura, „und mich den ganzen Tag
nicht mehr aus dem Lause rühren. In Pleschkau
hätte ich das auch getan, aber wenn man nun
einmal hier in der großen Stadt ist, will man
doch seine Zeit nicht verlieren. Es war aber un-
vernünftig von mir, und ich habe es ja auch
richtig büßen müssen."
Das erste der beiden unangenehmen Er-
lebnisse stieß Tante Laura am Vormittag zu.
Sie erzählte ihrem Neffen Lugo davon beim
Mittagessen. Er aß und hörte zu, und sie aß
nicht — denn sie war noch zu aufgeregt — und
redete. „Also denke dirl Ich will in die Straßen-
bahn steigen. Vor mir sind eine Menge Leute,
die sich vordrängen und mich schubsen, was
mir in Pleschkau niemals begegnen wllrde.
So komme ich als lehte heran, aber ich habe eben
erst einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt und
sehe mich noch einmal um, weil gerade eine
Lochzeilsequipage vorbei fährt, da zieht doch
der Schaffner, so ein unachtsamer Eiel, schon an der Strippe,
und der Wagen ruckt an. Anfehlbar wäre ich unter die
Räder gekommen, wenn mich nicht ei» Lerr gepackt und
mir doch noch hinaufgeholfen hätte. Das war sehr liebens-
würdig von ihm, aber nachher war er eigentlich cin bißchen
zu aufdringlich. Grausige Gescbichten hat er mir erzählt, —
daß mir ein Bein hälte ab-
gefahren werden können oder
auch beide oder am Ende gar
der Kopf. And dann fragte
er, ob ich gegen solche Anfälle
versichert wäre, und als ich
nein sagte, meinte er, das wäre
furchtbar leichtstnnig, und ich
müßte es fchleunigst nachholen;
er würde mir dabei behilflich
sein und mir Rat erteilen.
And dann gab er mir seine
Visitenkarte. Ich hab' sie aber
gar nicht angesehen, sondern
einfach eingesteckt. Was soll
ich mich versichern? Bei mir
zu Lause in Pleschkau bin ich
sicher genug. Aber über den
Schaffner hätle ich mich eigent-
lich beschweren sollen. Der
sagte nock ganz frech, ich hätte
selber Schuld gehabt; er häkte
doch nicht riechen können, daß
ich, staltaufzusteigen, mich noch
erst einmal umsehen möchte.
A' Philosoph
(Dberfränkisch)
„Gel, do gucksta?" lacht Ler Mola,
„Un üo kriegst Reschpekt!
Wos mir g'fällt, wird festgehalt'n
Un ins Mäppla g'schteckt.
Glles Schöne auf öer Erö'n
Hot mer so beisamm' . ."
„Wie öie Äinner —" segt öer Heiner,
„Dlles wöll'n se hamm!"
«r.
Na,bei mir zu Lause in Pleschkau hätte mir das keiner gesagtl"
— Liermit hatle Tante Laura ganz recht, denn in Pleschkau
gibt es keine Straßenbahnschaffner; sie sind dort entbehr-
lich, denn Pleschkau hat keine Slraßenbahn.
Am Abend ging Tante Laura ins Theater. Nicht ohne
Bedenken, denn sie dachte an die große schwarze Katze, aber
sie hatte doch nun einmal das
Billett. Aber wirklich — die
Katze mußte sehr groß und
sehr schwarz gewesen sein.
Tante Paula kam mit rotem
Kopf und fliegenden Pulsen
zurück. „Ich bin außcr mir,
Lugol So etwas wäre mir
i» Pleschkau niemals passiert.
Du wirst gewiß schon viel ge-
hört haben als Nechtsanwalt,
aber so was wird dir doch noch
nicht vorgelommen sein. Also
stelle dir vor! In der letzten
großen Pause bin ich auf mci-
nem Platz sitzen geblieben,
im ersten Rang in der ersten
Neihe, und weil ich noch ein-
mal das Programm lese, habe
ich meinen Operngucker vor
mir auf die Brüstung gelegt.
Nun klingeli's, und die Leute
kommen wieder hinein, und
auch ein großcr alter Lerrin ei-
nem langen schwarzen Gehrock.
Hockt a Mola auf öer Wies'n
Mit Papier un Blei,
Un der alte Schäfersheiner
Schtrickt sein Strumpf öobei.
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Sie kam im ersten Iahre dreimal zu Be-
such. Beim dritten Mal blieb sie eine ganze
Woche, ihre Zeit sehr angenehm mit Einkäufen
und dem Besuch von Museen und Theatern
verbringend. Am letzten Tage aber hatte ste
zwei unangenehme Erlebnisse. Sie hatte das
schon geahnt, denn als sie am Vormiltag aus-
gegangen war, da war ihr eine Katze über den
Weg gelaufen und noch dazu eine große schwarze
Katze, die selbstverständlich vicl mehr Angliick
bringt als ein niedliches weißes Kätzchen, das
höchstens einen kleinen Aerger verursacht. „Ich
hätte ja nun eigentlich sofort umkehren müssen,"
erklärte Tante Laura, „und mich den ganzen Tag
nicht mehr aus dem Lause rühren. In Pleschkau
hätte ich das auch getan, aber wenn man nun
einmal hier in der großen Stadt ist, will man
doch seine Zeit nicht verlieren. Es war aber un-
vernünftig von mir, und ich habe es ja auch
richtig büßen müssen."
Das erste der beiden unangenehmen Er-
lebnisse stieß Tante Laura am Vormittag zu.
Sie erzählte ihrem Neffen Lugo davon beim
Mittagessen. Er aß und hörte zu, und sie aß
nicht — denn sie war noch zu aufgeregt — und
redete. „Also denke dirl Ich will in die Straßen-
bahn steigen. Vor mir sind eine Menge Leute,
die sich vordrängen und mich schubsen, was
mir in Pleschkau niemals begegnen wllrde.
So komme ich als lehte heran, aber ich habe eben
erst einen Fuß auf das Trittbrett gesetzt und
sehe mich noch einmal um, weil gerade eine
Lochzeilsequipage vorbei fährt, da zieht doch
der Schaffner, so ein unachtsamer Eiel, schon an der Strippe,
und der Wagen ruckt an. Anfehlbar wäre ich unter die
Räder gekommen, wenn mich nicht ei» Lerr gepackt und
mir doch noch hinaufgeholfen hätte. Das war sehr liebens-
würdig von ihm, aber nachher war er eigentlich cin bißchen
zu aufdringlich. Grausige Gescbichten hat er mir erzählt, —
daß mir ein Bein hälte ab-
gefahren werden können oder
auch beide oder am Ende gar
der Kopf. And dann fragte
er, ob ich gegen solche Anfälle
versichert wäre, und als ich
nein sagte, meinte er, das wäre
furchtbar leichtstnnig, und ich
müßte es fchleunigst nachholen;
er würde mir dabei behilflich
sein und mir Rat erteilen.
And dann gab er mir seine
Visitenkarte. Ich hab' sie aber
gar nicht angesehen, sondern
einfach eingesteckt. Was soll
ich mich versichern? Bei mir
zu Lause in Pleschkau bin ich
sicher genug. Aber über den
Schaffner hätle ich mich eigent-
lich beschweren sollen. Der
sagte nock ganz frech, ich hätte
selber Schuld gehabt; er häkte
doch nicht riechen können, daß
ich, staltaufzusteigen, mich noch
erst einmal umsehen möchte.
A' Philosoph
(Dberfränkisch)
„Gel, do gucksta?" lacht Ler Mola,
„Un üo kriegst Reschpekt!
Wos mir g'fällt, wird festgehalt'n
Un ins Mäppla g'schteckt.
Glles Schöne auf öer Erö'n
Hot mer so beisamm' . ."
„Wie öie Äinner —" segt öer Heiner,
„Dlles wöll'n se hamm!"
«r.
Na,bei mir zu Lause in Pleschkau hätte mir das keiner gesagtl"
— Liermit hatle Tante Laura ganz recht, denn in Pleschkau
gibt es keine Straßenbahnschaffner; sie sind dort entbehr-
lich, denn Pleschkau hat keine Slraßenbahn.
Am Abend ging Tante Laura ins Theater. Nicht ohne
Bedenken, denn sie dachte an die große schwarze Katze, aber
sie hatte doch nun einmal das
Billett. Aber wirklich — die
Katze mußte sehr groß und
sehr schwarz gewesen sein.
Tante Paula kam mit rotem
Kopf und fliegenden Pulsen
zurück. „Ich bin außcr mir,
Lugol So etwas wäre mir
i» Pleschkau niemals passiert.
Du wirst gewiß schon viel ge-
hört haben als Nechtsanwalt,
aber so was wird dir doch noch
nicht vorgelommen sein. Also
stelle dir vor! In der letzten
großen Pause bin ich auf mci-
nem Platz sitzen geblieben,
im ersten Rang in der ersten
Neihe, und weil ich noch ein-
mal das Programm lese, habe
ich meinen Operngucker vor
mir auf die Brüstung gelegt.
Nun klingeli's, und die Leute
kommen wieder hinein, und
auch ein großcr alter Lerrin ei-
nem langen schwarzen Gehrock.
Hockt a Mola auf öer Wies'n
Mit Papier un Blei,
Un der alte Schäfersheiner
Schtrickt sein Strumpf öobei.
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