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Schlechtes Geschäft — „Dös lönnt Eahna passein daß i Eahna
a paar alte Schuh sür dö zwoa Bilder gib, und i zahl nacha drauf."

Bohnenfreters Bein

trockeii, aber die Birnen waren saflig. Allerdings: eine
harte, runzlige Schale halten beide, aber die Grumkower
konnte man schälen und Dr. Veerland nicht Man nahm
also die Birnen jedesmal mit schönem Dank und ließ sie sich
schmecken, und das wäre wohl noch lange Iahre so gegangen,
wenn nicht August Bohnenfreter seinen sonst freilich sehr zu
bedauernden Anfall erlitten hätte.

Dieser August Bohnensreter war ein zwar nicht hervor-
ragender, aber doch öffentlicher Charakter von Miisken-
burg, indem er, ohne regelmäßigen Erwerb doch ganz munter
lebend, als der einzige Kommissionär und Lohndiener der
kleinen Stadt sowie sonstiger Gelegenheitsarbeiter eine vie'-
seitigc Tätigkeit entfaltete. Seinen merkwürdigen. so anti-
pythagoräisch klingenden Namen Bohnenfreter führte er
vollkommen zu Recht, denn so stand er unter den Geburten
des Iahres 1815 in dem zu jener Zeit allerdings nicht ganz
ordentlich gesührtcn Kirchenbuch verzcichnet. Er war im
allgemeinen auch nicht unzufrieden mit ihm; er nahm ihn
ergeben hin als vom unerforschlichen Schicksal verliehen
Die Intelligenz von Müskenburg aber fand dieses Schicksal
nicht so unerforschlich. Bohnenfreter zwar war Eingeborener
von Müskenburg, aber sein Vater war es nicht gewescn.
Der war als eine von vielen kläglichen und zerlumpten
Elendsgestalten an einem schrecklich kalten Ianuarlage des
Iahres 1813 auf der großen Leerstraße von Osten daher
gewandert gekommen und hatte nach Westen weiter streben
wollen. Aber vielleicht hatten seine wunden, halb er-
frorenen Füße nicht mehr weiter gekonnt, vielleicht hatte
er auch eine sreundliche Ofenecke gefunden. — genug, er war
in Müskenburg geblieben und hatte hier bald als ein ge-

schickter Korbflechter sein Brot gefunden. Es
war nun, so sagte die Intelligenz von Müs-
kenburg, durchaus anzunehmen, daß dieser
Mann, ein armseliger Flüchtling der zer-
schmetterten große» Armee, ein gebürtiger
Italiener, und daß sein Name Bonaventura
gewesen war. Aber Bonaventura — das war
in Müskenburg unmöglich gewesen, und so
hatte das Volk Bohnenfreter daraus gemacht,
und dabei war es geblieben. Viellcicht hatte
der selige Bonaventura auch sehr gern Boh-
nen gegessen.

August Bohnenfreter, der Sohn, dcr Kom-
missionär, Lohndiener usw., war also bekannt
und belicdt in Müskenburg, und so nahm die
ganze Einwohnerschaft, sogar der jctzt pensio-
nierte Appellationsgerichtspräsident von Mat-
they freundlichen Anteil, als er an einem häß-
lichen Märztage das slnglück hatte, unter einen
schwer beladcnen Ziegelwagen des Ziegelei-
besihers Boldt zu geraten, nicht ganz und
gar. denn dann wäre es völlig aus mit ihm
gewesen, aber doch mit dem linken Bein. So
war es nur mit dem Bein aus, und das Be-
trübende dieses Anfalls wird nur dadurch et-
was gemildert, daß Bohnenfreler später sein
Stelzbein ganz vergnügt trug und allgemein,
mit Nücksicht auf diesen schwachen Ersatz, viel
besser bezahlt wurde als friiher. Denn damals
machten Stelzbeine noch mehr Eindruck.

Dr. Veerland nahm Bohnensreter das
verletzte Bein ab, ohne besondere Vorbereitun-
gen und großen Apparat. Man kann über-
zeugt sein, daß dies wirklich das einzige Mit-
tel war, Bohnenfreter zu helfen. Nach der Operation
ließ Dr. Veerland sich Packpapier und Bindfaden holen,
packte das Bein ein und wanderte mit dem großen Paket
durch die ganze Stadt nach seinem Lause. Lier und dort
wurde er von gar zu neugierigen Bekannten angehallen
und gefragt, was er denn da Schönes heimlrage, und diese
Erkundigungen hattcn zur Folge, daß noch am gleichen
Abend drei Viertel der Stadt Beicheid wußten und min-
destens die Lälfte sich über Dr. Veerland entrüstete, was
aber Blödsinn war, denn warum soll ein Arzt nicht ein
abgeschnittenes Bein nach Lause nehmen dürfen! Der Arzt
kann jedenfalls noch mehr damit anfangen als der frühere
Besitzer Die Vernünftigen sahen das auch ein. „Er wird
an dem Bein studieren," sagten sie, „er wird cs zerschneidcn,
zerlegen, in Spiritus verwahren oder sonst etwas tun, was
ihm fllr seine Wissenschaft nlltzlich ist." !lnd diese vernllnf-
tigen Slimmen bewirkten, daß man bald nicht mehr über
den Gegenstand sprach.

Der Sommer war vergangen, Bohnenfreter hatte sich
längst an sein Stelzbein gewöhnt, der Lerbst kam, in Dr.
Veerlands Garten wurden die Grumkower abgenommen,
und am Tage darauf humpelte Bohnensreter in einem
nagelneuen Anzuge, den ihm Dr. Veerland spendicrt hatke,
in Müskenburg herum und gab überall, wo es hergebracht
war, die gewohnte Birnengabe ab. Ausnahmsweise nicht uur
mit einer mündlichcn Bestellung, sondern überall mit einem
Kärtchen, auf dem zu lesen stand: „Dr. Veerland empfiehlt
sich uud möchte an den Anteil des Boten erinnern." — Man
hielt das für eine unangebrachte Mahnung, Bohnenfreter
ein ordentliches Trinkgeld zu geben. und ärgerte sich wieder
tForlsetzung Seite 9Z)

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