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ÄVÜUlMLÄkö VonPeterRobinson

Also: es ist jetzt elf Ahr vormit-
tags am 15. April 1920. Ich habe
meinen besten Besuchsanzug ange-
zogen, denn ich werde gleich ausgehn.

So etwa um zwölf Ahr werde ich
bei Brümmecke, bei Lerrn Privatier
Oskar Brümmecke, Prinzregenten-
straße 97, zwei Treppen, anklingeln
und um eine Anterredung mit ihm
bitten. Lerr Brümmecke ist mir noch
nicht persönlich bekannt. Ich werde
mich ihm vorstellen, und dann werde
ich genötigt sein, ihm einige sehr
energische Vorstellungen zu machen.

Zch beabsichtige, bei dieser Anter-
haltung einen Stock bei mir zu
haben, und es ist sehr leicht möglich,
daß ich mich bewogen fühlen werde,
wenn Lerr Brümmecke die Vorwürfe,
die ich gegen ihn erheben muß, nicht
vollkommen zu entkräftigen vermag,
diesen Stock gegen ihn anzuwenden
und die besonders dazu geeigneten
Partien seines Körpers zu hauen,
zu dreschen, zu verwalken. Ich gebe
zu, daß dies ein nicht ganz alltäg-
liches Anternehmen fllr mich ist, und
daß ausreichende Gründe dafür vor-
zubringen sind. Ich habe solche Gründe. Die Strafexpedi-
tion gegen Brümmecke wird in der Folge vielleicht einige
Anannehmlichkeiten für mich haben, aber das macht nichts,
— vor meinem Gewissen bin ich genügend entschuldigt, was
immer die Lauptsache ist. Ich habe mir die Sache reiflich
überlegt.

Ich will aber noch ein Uebriges tun. Ich werde noch ein
lehtes Mal die ganze Kette der Geschehnifse, die meine be-
rechtigte Erbitterung gegen Brümmecke veranlaßt haben, in
meinem Gedächtms abwickeln. Ich werde hier alles fchlicht
und wahrheitsgetreu erzählen. Dann soll, nach einem lehten
Abwägen aller Amflände, die gerechte Entscheidung getroffen
werden, ob ich zu Brümmecke gehn und den Stockmitnehmen,
oder ob ich es doch lieber bleiben lassen soll. Ich denke, es
wird für das Anternehmen gestimmt werden.

Nun passe man auf! Der Privatier Oskar Brümmecke
und seine Gattin Adelgunde sowie seine beiden Töchter Erika
und Lermine haben Kummer und Sorgen über mich und

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mein Laus gebracht. Die drei weib-
lichen Personen will ich aber nicht ver-
antwortlich machen, ganz abaesehen
davon, daß es mir doch widerfireben
würde, sie zu verhauen. Nein, ich
werde mich nur an Brümmecke selbst
halten, - er hat für allcs aufzukommen,
er ist als Lausherr und Familien-
vater für die Seinen verantwortlich.

Oskar Brümmecke hat das nun
nichtselbstgetan; er hatstchdazu eines
Mediums, einer Mittelsperson be-
dient und zwar einer gewissen Emma
Knätsch, die den Beruf einer Laus-
gehilfin ausübt, wofür man früher
„Mädchen für alles" sagte, was aber
nicht stimmte, denn gewöhnlich waren
diese Perionen nicht „Mädchen für
alles", sondern eher „Mädchen für
wenig". Emma Knätsch ist jetzt seit
zwei Wochen in meinem Lause in
Dienst. Das Engagement kam zu-
stande durch ein Inserat, das die
Knätsch in der Zeitung hatte erschei-
nen lassen, und auf das msine Frau
eine vier Seiten umfassende Offerte
eingereicht hatte, die die mannig-
fachen Vorzüge des Aufenthalts in
unserer Familie fast zu sehr Pries
und außerordentlich weitgehende An-
erbietungen und Versprechungen machte. Darauf war Emma
Knätsch bei uns erschienen und hatte sich vorgestellt. Sie
machte einen ganz angenehmen Eindruck und erklärte sich
nach genauer Besichtigung der Wohnung und vielen, teil-
weise vielleicht zu eindringlichen Erkundigungen über unsere
Lebensgewohnheiten bereit, die Stelle anzunehmen. Ein
Dienstbuch besaß sie uicht. Das ist heutzutage nicht mehr
nötig; die Dienstbücher sind am 9. November 1918 abge-
schafft worden.

Statt des Dienstbuches legte Emma Knätsch ein Zeugnis
vor. Auf einem schönen Briefbogen war folgendes zu lesen:

Emma Knätsch ist ein Iahr als Lausgehilfin bei mir
tätig gcwesen und hat sich selbige fleißig, ehrlich und treu
bewiesen. Sie verläßt die Stelle auf ihren Wunsch und
wünsche ich ihr ein gutes Fortkommen.

Frau Adelguude Brümmecke,
Prinzregentenstraße 97/1!.

Nun, mit diesem Zeugnis konnte man zufrieden sein. Das
heißt: mit seinem Inhalt, nicht
etwa mit seiner höchst mangel-
haften Stilisterung, die gradezu
eine Mißhandlung der deutschen
Sprache darstellte. Aber das ging
uns nichts an; das konnte Frau
Adelgunde Brümmecke, die Ver-
fasserin, machen, wie sie wolltc.
Iedermann hat das Recht, die
deutsche Sprache ganz nach Be-
lieben zu mißhandeln,und von die-
sem Necht wird gern und weit-
gehend Gebrauch gemacht.

Es war ein Normalzeugnis.
Die Bestätigung des Fleißes und
der Ehrlichkeit waren uns will-
kommen. Das Wort „treu" hatte
lFortsetzung Seite 114)
 
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