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Erledigte Hauptsache — „Nein, liebes Kind, ich kann

in diesen Tagen nicht immer
mit dir nach der Stadt fahren, — erst muß die Ernte herein sein."
— „Aber Paul, - mein Papa hat dir doch die ganze Ernte längst bezahlt."

Folgen eines Wohnungstausches R°bins°n

Die Schriftsteller Friedrich Roller und Dagobert Äahn
können einander recht gut leiden. Dem Kundigen dürfte
also ohne weiteres klar sein, daß die beiden nicht auf dem
gleichen Gebiet tätig sind und Ruhm beziehungsweise Äono-
rare durch verschiedenartige Erzeugniffe der Feder zu er°
langen suchen. Denn wenn beide auf dem gleichen Acker
des Parnasses pflügen, säen und ernten wollten, — dann
könnten sie einander natürlich nicht ausstehn.

Noller schreibt mehr für die sogenannte männliche Lese-
welt: er ersinnt und verfaßt Detektivromane und Abenteurer-
geschichten, die in allen Weltteilen zu Lande und zu Waffer
und auch in der Luft spielen, denn dieses lehte Gebiet hat
die Technik glücklicherweise den Schriftstellern nun auch seit
einiger Zeit erschlossen. Seine Arbeiten tragen den Stempel
robuster Männlichkeit und eines kernigen Gemüts. In
Wirklichkeit — solchen Widerspruch fiudet man öfters —
ist Noller ein verwöhntes, zartes Männchen, das ein Katzen-
fell als Brustschützer trägt, und leidet unter einem fast zu
demütigen Charakter, — so sehr, daß er sich sogar im Ver-

kehr mit den Behörden ohne Widerrede alles
gefallen läßt. Dagobert Äahn dagegen er-
findet und fchreibt — vorzugsweise für Frauen
zeitschriften — zarte Romane und noch zartere
Novellen, die alle, wie den Vorschriften der
Feuerpolizei unterftehende Lokale, gute Aus-
gänge haben müssen; in seinen Dichtungen
scheint sich eine nervöse Konstitution und eine
weiche Seele zu offenbaren. In Wirklichkeit
aber - solchen Widerspruch findet man öfters -
ist Dagobert Lahn ein vierschrötiger Kerl,
der ungeheuer ißt und trinkt, den stärksten,
stänkerigsten Tabak raucht, wenn nicht gar
manchmal kaut, und sich vor niemand und
nichts in der Welt beugt. Einmal hat er
sogar drei Tage sitzen müssen, weil er einem
unangenehmen Postsekretär eine Ohrfeige
heruntergehauen hatte. Aber diese Strafe
kann ihm natürlich in den Augen jedes Ber-
nünftigen nicht zur Schmach, sondern nur zu
hoher Ehre gereichen.

Roller sowohl wie Lahn sind unver-
heiratet, führen aber solide bürgerliche Exi-
stenzen. Ieder hat seine hübsche Wohnung
— der eine im Norden, der andere im Süden
der Stadt, — betreibt mittels einer Wirt-
schafterin einen eigenen Laushalt und sorgt
in geregelter und fleißiger Tätigkeit für sein
ordentliches Auskommen. Roller ist allerdings
der Solidere; er geht immer schon um zehn
!lhr zu Bett, weil er sich schonungsbedürftig
vorkommt, und weil er fürchtet, nach der tags-
über von seinen Abenteurergeschichten be-
anspruchten Entfaltung reger Phantasie bei
längerem Aufbleiben überhaupt keinen Schlaf
finden zu können. Dagobert Lahn dagegen
schlägt hin und wieder ein bißchen über die
Stränge. Früher hat er sich — neuerdings
kostet das freilich zu viel — manchmal mehrere
Nächte hintereinander in den Kneipen herum-
getrieben, gewöhnlich dann, wenn er grade
einen Noman fertig hatte, und so mochten
diese Ausschweisungen ein ihm norwendiges
Gegengewicht darstellen gegen die Qualitäten,
die er in seiner Arbeit zu zeigen hatte, und die von vielen
Leserinnen als Feinsiunigkeit und Zartheit bezeichnet und
gertthmt wurden. —

Es mag nun elwas über ein halbes Iahr her sein, da
trafen sich Roller und Dagobert Lahn wieder einmal in dem
Kaffeehause, in dem sie in den billigeren Zeiten zum Zweck der
Anregung und Aussprache täglich verkehrt hatten. Die bei-
den Autoren waren schlechter Laune, aber während Roller
niedergedrückt und verzagt aussah, zeigte Dagobert Lahn
ein verärgertes Gesicht und fluchte manchmal vor sich hin.
Bald erwies sich, daß bei beiden die Verstimmung den glei-
chen Grund hatte.

Noller nämlich fing an: „Ich weiß nicht, was das jetzt
mit mir ist. Meine Arbeitskraft läßt in erschreckender Weise
nach. Schon bei meinem letzten Roman habe ich mich furcht-
bar quälen müssen; ich glaube sogar, daß ich dabei an Körper-
gewicht verloren habe. Ietzt müßte ich einen neuen anfangen,
aber mir fällt nichts ein. Wenn ich mit ungeheurer Mühe
eine Idee eingefangen habe, dann bietet sie mir bei weiterem
Lleberlegen doch gar keinen Antrieb zur Ausgestallung. Ich
gestehe, daß mir dieser Zustand bereits Besorgnisse einflößt.
 
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