Der Mexikaner
Von Peter Nobinson
Früher, in den alten Zei-
ten, traf man die Sorte öf-
ters im Auslande, besonders
im Süden. In Gasthäusern
und auf den Eisenbahnstatio-
nen oder unterwegs liefen sie
einem als flüchtige Bekannt-
schaften in den Weg. Immer
waren es junge Leute. Iu-
gend, ein bißchen dumme
Frechheit und der aus einer
primitiven Phantaste ge-
borene Wunsch, einmal eine
Mertelstunde lang etwas an-
deres vorzustellen, verur-
sachten ihren tolpatschigen
Schwindel. Es war immer
das Gleiche. Ein deutscher
Landsmann? O nein! Etwas
mitleidig lächelte der junge
Mensch zu solcher Vermu-
kung. !lnd dann, manchmal
sogar etwas von oben herab, suchte er Distanz zu schaffen
durch würdevolleAngabe einer ihm bcliebenden Nationalität.
Meistens stellten diese Lerren Engländer vor — wenn grade
kein echter zugegen war, — aber auch als Amerikaner ge-
fielen sie sich. Einmal habe ich einen gefunden, der Belgier
Bange Frage
— „Einmal Spinat mit Kar-
toffel hab' ich gegessen, wenn
mir bloß das Geld reicht!"
Etwas anderes - „Das ist erl !Im
vier Ahr morgens kommt der Bengel besoffen nach Lause."
— „Schimpf' aber nicht so sehr mit ihm, Oskar, — du
hast's ja früher auch nicht anders gemacht."
— „Da hat n' Liter Bier noch nicht tausend Mark gekostet!"
52
seln wollte. Es war ein junger
Kellner im „Lotel de Mal-
lorca" tn Palma. Ich früh-
stückte dort, und als er ver-
nahm, daß ich nicht bleiben,
sondern abends mit dem glei-
chen Schiff weiter wollte, be-
kam sein Deutsch auf einmal
fremde Akzente. „Wie belie-
ben der Lerr? Ah so, —
nein, ich bin Belgier I"—Nach-
her, als ich bezahlte, bemerkte
ich, es wäre eigentlich schade,
daß er kein Landsmann von
mir wäre; deutschen Kellnern
in der Fremde Pflegte ich
nämlich stets das doppelte
Trinkgeld zu geben. Da är-
gerte er sich doch, das merkte
ich ihm an. Aber ein Ge-
ständnis ablegen konnte er
nun nalürlich nicht.
Ein andermal aber habe
ich gar einen Mexikaner ge-
troffen, und das war recht
vergnüglich. Damals war's, als wir noch auf dem Mittel-
meer herumfahren konnten, selbstverständlicher beinahe als
heute auf dem Starnberger oder Scharmützel-See. Ich fuhr
von Algier nach Marseille. Ganz zuletzt war noch etne Ge-
sellschaft von vier Personen an Bord gekommen, die er-
sichtlich nur durch Erwerbsinteressen zusammengehörten: eine
junge Dame, Mischung vvn Putzsalondirektrice und Brettl-
sängerin, ein älterer dicker Mann mit dem typischen Gesicht
eines VarietSkomikers, ein schlanker, mit von strammem
Training zeugender Gelenkigkeit sich bewegender junger
Mann und ein Lund, eine prächtige Bulldogge. Diese auch
als Person zu bezeichnen, lag alle Veranlassung vor, da
ihr von den andern mit großer Löflichkeit begegnet und für
ihre Bedürfnisse an Bord zunächst gesorgt wurde, mit aus-
fallender Sorgfalt seitens des Dicken, der jedenfalls der
Reisemarschall war. Die vier reisten also wohl zur Aus-
übung einer VarietSnummer, in der dem Äunde die Laupk-
rolle oblag. In Algier mochten sie im „Casino" aufgetreten
sein. Nun waren sie auf dem Wege nach Bordeaux, wie
ich aus ihrer Anterhaltung entnahm. Sie sprachen Deutsch
untereinander, — der Dicke berlinernd, aber mehr gewollt, der
Komik halber, die Dame mit weichem Thüringer Akzent und der
junge Mann in zwar stark gedämpften, aber doch noch merk-
baren Lamburger Tönen. Zu dem Lunde redeten sie natürlich
auch Deulsch, und er schien nichts anderes gewöhnt zu sein.
Spät am Abend — es war eine schöne Mondschein-
nacht — traf ich den jungen Mann auf Deck, wo er die
Vulldogge noch ein bißchen spazieren führte. Er bat mich
um Feuer, und dabei erkundigte ich mich, wie denn dem
Lundchen wohl die Seereise behagte. Lunde fühlen sich be-
kanntlich, wenn sie nicht daran gewöhnt sind, auf See meist
recht ungemütlich, da ihre Nase, ihr Laupterkundigungs-
organ, in der reinen Seeluft die gewohnten Orientierungs-
möglichkeiten des Festlandes vermißt. Den jungen Mann
freute meine Teilnahme. O, dem Veppo ginge es gut, meinte
er; der wäre das Neisen gewöhnt. Für den würde aber
auch gesorgt, dem dürfte nichts passieren, sonst säßen sie
schön in der Patsche; ihre ganze feine Nummer wäre dann
umgeschmisseu. !lnd es wäre eine vorzügliche Nummer, —
schon auf ein Iahr hälten fie Kontrakte.
Von Peter Nobinson
Früher, in den alten Zei-
ten, traf man die Sorte öf-
ters im Auslande, besonders
im Süden. In Gasthäusern
und auf den Eisenbahnstatio-
nen oder unterwegs liefen sie
einem als flüchtige Bekannt-
schaften in den Weg. Immer
waren es junge Leute. Iu-
gend, ein bißchen dumme
Frechheit und der aus einer
primitiven Phantaste ge-
borene Wunsch, einmal eine
Mertelstunde lang etwas an-
deres vorzustellen, verur-
sachten ihren tolpatschigen
Schwindel. Es war immer
das Gleiche. Ein deutscher
Landsmann? O nein! Etwas
mitleidig lächelte der junge
Mensch zu solcher Vermu-
kung. !lnd dann, manchmal
sogar etwas von oben herab, suchte er Distanz zu schaffen
durch würdevolleAngabe einer ihm bcliebenden Nationalität.
Meistens stellten diese Lerren Engländer vor — wenn grade
kein echter zugegen war, — aber auch als Amerikaner ge-
fielen sie sich. Einmal habe ich einen gefunden, der Belgier
Bange Frage
— „Einmal Spinat mit Kar-
toffel hab' ich gegessen, wenn
mir bloß das Geld reicht!"
Etwas anderes - „Das ist erl !Im
vier Ahr morgens kommt der Bengel besoffen nach Lause."
— „Schimpf' aber nicht so sehr mit ihm, Oskar, — du
hast's ja früher auch nicht anders gemacht."
— „Da hat n' Liter Bier noch nicht tausend Mark gekostet!"
52
seln wollte. Es war ein junger
Kellner im „Lotel de Mal-
lorca" tn Palma. Ich früh-
stückte dort, und als er ver-
nahm, daß ich nicht bleiben,
sondern abends mit dem glei-
chen Schiff weiter wollte, be-
kam sein Deutsch auf einmal
fremde Akzente. „Wie belie-
ben der Lerr? Ah so, —
nein, ich bin Belgier I"—Nach-
her, als ich bezahlte, bemerkte
ich, es wäre eigentlich schade,
daß er kein Landsmann von
mir wäre; deutschen Kellnern
in der Fremde Pflegte ich
nämlich stets das doppelte
Trinkgeld zu geben. Da är-
gerte er sich doch, das merkte
ich ihm an. Aber ein Ge-
ständnis ablegen konnte er
nun nalürlich nicht.
Ein andermal aber habe
ich gar einen Mexikaner ge-
troffen, und das war recht
vergnüglich. Damals war's, als wir noch auf dem Mittel-
meer herumfahren konnten, selbstverständlicher beinahe als
heute auf dem Starnberger oder Scharmützel-See. Ich fuhr
von Algier nach Marseille. Ganz zuletzt war noch etne Ge-
sellschaft von vier Personen an Bord gekommen, die er-
sichtlich nur durch Erwerbsinteressen zusammengehörten: eine
junge Dame, Mischung vvn Putzsalondirektrice und Brettl-
sängerin, ein älterer dicker Mann mit dem typischen Gesicht
eines VarietSkomikers, ein schlanker, mit von strammem
Training zeugender Gelenkigkeit sich bewegender junger
Mann und ein Lund, eine prächtige Bulldogge. Diese auch
als Person zu bezeichnen, lag alle Veranlassung vor, da
ihr von den andern mit großer Löflichkeit begegnet und für
ihre Bedürfnisse an Bord zunächst gesorgt wurde, mit aus-
fallender Sorgfalt seitens des Dicken, der jedenfalls der
Reisemarschall war. Die vier reisten also wohl zur Aus-
übung einer VarietSnummer, in der dem Äunde die Laupk-
rolle oblag. In Algier mochten sie im „Casino" aufgetreten
sein. Nun waren sie auf dem Wege nach Bordeaux, wie
ich aus ihrer Anterhaltung entnahm. Sie sprachen Deutsch
untereinander, — der Dicke berlinernd, aber mehr gewollt, der
Komik halber, die Dame mit weichem Thüringer Akzent und der
junge Mann in zwar stark gedämpften, aber doch noch merk-
baren Lamburger Tönen. Zu dem Lunde redeten sie natürlich
auch Deulsch, und er schien nichts anderes gewöhnt zu sein.
Spät am Abend — es war eine schöne Mondschein-
nacht — traf ich den jungen Mann auf Deck, wo er die
Vulldogge noch ein bißchen spazieren führte. Er bat mich
um Feuer, und dabei erkundigte ich mich, wie denn dem
Lundchen wohl die Seereise behagte. Lunde fühlen sich be-
kanntlich, wenn sie nicht daran gewöhnt sind, auf See meist
recht ungemütlich, da ihre Nase, ihr Laupterkundigungs-
organ, in der reinen Seeluft die gewohnten Orientierungs-
möglichkeiten des Festlandes vermißt. Den jungen Mann
freute meine Teilnahme. O, dem Veppo ginge es gut, meinte
er; der wäre das Neisen gewöhnt. Für den würde aber
auch gesorgt, dem dürfte nichts passieren, sonst säßen sie
schön in der Patsche; ihre ganze feine Nummer wäre dann
umgeschmisseu. !lnd es wäre eine vorzügliche Nummer, —
schon auf ein Iahr hälten fie Kontrakte.