Ein Netner Schieber
also, sich theoretisch über diesen zu so hoher
Bedeutung gelangten Zweig menschlicher Tätig-
keit klar zu werden. Was bedeutet Schieben,
fragte er fich, und wie kann es erfolgreich be-
trieben werden? Eine Ware kaufen und mit
Gewinn wieder verkaufen, das allein kann noch
nicht Schieben sein, das tut ja der gewöhnliche,
der normale Landel auch. Der Anterschied
zwischen diesem und dem Schieben scheint mir
darin zu besiehen, daß bei letztem der bei dem
ersten althergebrachte Weg der Beschaffung
der Ware und ihre Weiterleitung verlassen
und gewissermaßen Schleichwege eingeschlagen
werden. Schieben, meinte Lugo Miesefink,
scheint mir das Aufgreifen besonders günstiger
Gelegenheiten zu bedeuten sowohl beim Er-
fassen einer Ware als auch bei ihrer Weiter-
gabe, und die Lauptsache ist, glaube ich, daß die
betreffende Ware sehr nötig gebraucht wird.
Ich muß also zunächst eine solche Ware mög-
lichst günstig an mich zu bringen suchen. Was
für eine Ware aber soll das sein? Am meisten
gebraucht werden jetzt Lebensmittel, aber davon
verstehe ich nichts. Kleidungsstücke sind auch
sehr gesucht, aber davon verstehe ich auch nichts,
und außerdem möchte ich doch kein Altkleider-
händler werden. Aber Möbel, — das ist das
Rechtefür mich. Möbel stnd jetzt sehr gesucht. Es
werden aber auch welche angeboten, denn viele
Leute brauchen Geld und müssen einzelne Stücke
ihrer Wohnungseinrichtung veräußern. Das
tut mir leid, sogar sehr leid, aber ich kann es
nicht ändern, und wenn ich jemandem ein Möbel-
stück abkaufe, so ist erstens dem Betreffenden
damit gedient, und zweitens darf ich mir zu
Meiner Beruhigung sagen, daß, wenn ich nicht
kaufe, dann doch ein anderer es tun würde. Ich
werde also mit meinem Gelde zunächst einmal
ein Möbel erstehen.
So überlegte Lugo Miesefink, und dann sah
er alle auf Verkäufe bezüglichen Inserate in
der Zeitung durch. Es waren sehr viele Ange-
bote von Möbeln da, aber für die meisten waren
seine Mittel wohl doch zu gering. Er empfand
kein Bedauern darüber. Das kommt alles noch,
sagte er sich; Schritt für Schritt muß es gehn.
Schließlich entschloß er stch, eine Witwe Nelken-
strauch zu besuchen, die „einen kleinen Bieder-
Meier-Schrank aus Privathand wegen Platz-
mangels sehr billig" zu verkaufen wünschte. Die
Frau Nelkenstrauch hatte eine für eine ihre
Dtöbel veräußernde Witwe merkwürdig große
RZohnung. „Nun, sie wird Zimmer vermieten",
Meinte Lugo Miesefink. Mit dem Platzmangel
ftimmte es: in dem Zimmer, in das der Reflek-
tant zur Bestchligung des Biedermeierschranks
geführt wurde, waren viele, viele Möbel, so viele,
daß drei Waschtische gar keinen Platz mehr an
en Wänden hatten finden können, sondern
""tten im Zimmer stehn mußten. Der Schrank
enttäuschte Miesefink zuerst etwas; er fand ihn
Mcht bejonders schön, auch bereits recht llapprig
Mtd unscheinbar geworden. Aber er sagte fich:
eutzutage haben selbst solche Sachen einen
Die geplagte Nachbarin
— „Da hat mir wieder der Lausbub von der Nachbarin den Fußboden
mit den schmutzigen Füßen vollgetreten, da kann ich jetzt den gänzen
langcn Gang hinunterputzen und — —
67
also, sich theoretisch über diesen zu so hoher
Bedeutung gelangten Zweig menschlicher Tätig-
keit klar zu werden. Was bedeutet Schieben,
fragte er fich, und wie kann es erfolgreich be-
trieben werden? Eine Ware kaufen und mit
Gewinn wieder verkaufen, das allein kann noch
nicht Schieben sein, das tut ja der gewöhnliche,
der normale Landel auch. Der Anterschied
zwischen diesem und dem Schieben scheint mir
darin zu besiehen, daß bei letztem der bei dem
ersten althergebrachte Weg der Beschaffung
der Ware und ihre Weiterleitung verlassen
und gewissermaßen Schleichwege eingeschlagen
werden. Schieben, meinte Lugo Miesefink,
scheint mir das Aufgreifen besonders günstiger
Gelegenheiten zu bedeuten sowohl beim Er-
fassen einer Ware als auch bei ihrer Weiter-
gabe, und die Lauptsache ist, glaube ich, daß die
betreffende Ware sehr nötig gebraucht wird.
Ich muß also zunächst eine solche Ware mög-
lichst günstig an mich zu bringen suchen. Was
für eine Ware aber soll das sein? Am meisten
gebraucht werden jetzt Lebensmittel, aber davon
verstehe ich nichts. Kleidungsstücke sind auch
sehr gesucht, aber davon verstehe ich auch nichts,
und außerdem möchte ich doch kein Altkleider-
händler werden. Aber Möbel, — das ist das
Rechtefür mich. Möbel stnd jetzt sehr gesucht. Es
werden aber auch welche angeboten, denn viele
Leute brauchen Geld und müssen einzelne Stücke
ihrer Wohnungseinrichtung veräußern. Das
tut mir leid, sogar sehr leid, aber ich kann es
nicht ändern, und wenn ich jemandem ein Möbel-
stück abkaufe, so ist erstens dem Betreffenden
damit gedient, und zweitens darf ich mir zu
Meiner Beruhigung sagen, daß, wenn ich nicht
kaufe, dann doch ein anderer es tun würde. Ich
werde also mit meinem Gelde zunächst einmal
ein Möbel erstehen.
So überlegte Lugo Miesefink, und dann sah
er alle auf Verkäufe bezüglichen Inserate in
der Zeitung durch. Es waren sehr viele Ange-
bote von Möbeln da, aber für die meisten waren
seine Mittel wohl doch zu gering. Er empfand
kein Bedauern darüber. Das kommt alles noch,
sagte er sich; Schritt für Schritt muß es gehn.
Schließlich entschloß er stch, eine Witwe Nelken-
strauch zu besuchen, die „einen kleinen Bieder-
Meier-Schrank aus Privathand wegen Platz-
mangels sehr billig" zu verkaufen wünschte. Die
Frau Nelkenstrauch hatte eine für eine ihre
Dtöbel veräußernde Witwe merkwürdig große
RZohnung. „Nun, sie wird Zimmer vermieten",
Meinte Lugo Miesefink. Mit dem Platzmangel
ftimmte es: in dem Zimmer, in das der Reflek-
tant zur Bestchligung des Biedermeierschranks
geführt wurde, waren viele, viele Möbel, so viele,
daß drei Waschtische gar keinen Platz mehr an
en Wänden hatten finden können, sondern
""tten im Zimmer stehn mußten. Der Schrank
enttäuschte Miesefink zuerst etwas; er fand ihn
Mcht bejonders schön, auch bereits recht llapprig
Mtd unscheinbar geworden. Aber er sagte fich:
eutzutage haben selbst solche Sachen einen
Die geplagte Nachbarin
— „Da hat mir wieder der Lausbub von der Nachbarin den Fußboden
mit den schmutzigen Füßen vollgetreten, da kann ich jetzt den gänzen
langcn Gang hinunterputzen und — —
67