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Iochen Knaak und seine Familie

(Dir Deschtchle elner Illuston)

Von Peler Robinson

„Unser Bad, seit Iahren in stetem, rapiden Aufschwunge
begriffen und immer wachsender Beliebtheit seitens der
vornehmen Gesellschaftskreise flch ecfreuend, entwickelt flch
jetzt mehr und mehr zum Weltbade.'"

So verkündet die Badedirektion, und es besteht kein
Anlaß, dies zu beanstanden. Manches, was fle sonst in
ihren Prospekten behauptet, stimmt nicht so ganz, aber mit
dem Weltbade hat es seine Richtigkeit. Freilich: viele
Bäder erklären, fle seien auf dem erfreulichen Wege zum
Weltbade, und wenn fie alle recht hätten, würde es schließ-
lich schrecklich viele Weltbäder geben. Am Ende würde

Der Sparsame

-- „Dumm werd i sei' und werd an Laufen Geld für a Bad
ausgeben, a Freibad tuats grad so —

wenn's nix kost, freuts mi no amal so.

So, dös war amal a billiges Vergnügen,

man dann nirgends mehr am Strande ein einsames, stilleS
Fleckchen finden, die ausgedehnten, aufgeblasenen Welt-
bäder würden aneinander stoßen und verschmelzen, wie zer-
weichende Käse, die nebeneinander liegen, zusammenfiießen.
Dann müßten die Weltbäder einander bekämpsen oder eine
Intereffengemetnschaft begründen. Denn von dem einen
zum andern ist im Grunde nur ein kurzer Schritt, über den
manchmal der Zufall entscheidet.

Also, das Bad, von dem wir reden wollen, der be-
treffende Ort, wie man in solchem Fall sehr bequem sagt,
ist wirklich schon ein Weltbad. Man darf es mir glauben.
Ich bin vierzehn Tage dort gewesen, und als ich abfuhr,
hatte ich ordentlichen Weltüberdruß, so viel „Welt" hatte
ich in dem Bade gefunden. Es hat ein gewaltiges neues
Kurhaus mit Spiel-, Konzert- und Tanzsälen und einem
anstoßenden Theater, Riesengasthöfe mit allem Komfort der
Neuzeit, einen großen Kurgarren, in dem von fllnf Ahr
nachmittags bis zehn !lhr abends intensiv Mustk gemacht
wird — meistens spielen fle Wagner —, eine Freilicht-
bühne, mehrere Kintöppe, ausgedehnte Fußball- und Tennis-
plätze, elegante Kaufläden, Bankfilialen, die telephonisch
übermittelte Börsenberichte aushängen, und noch vieles
andere, was der Weltmensch von heute braucht und also
haben muß. Außerdem ist natürlich noch die See da, an
der man allerdings keine neuzeitliche Veränderung hat vor-
nehmen können, und die immer noch so beschaffen >st wie
damals, als der Ort noch kein Weltbad, sondern ein kleines
Fischerdorf war, dessen Bewohner stch sehr anständig und
ehrlich ernährten. Aber wenigstens hat man einen Prome-
nadesteg in die See hinausgebaut, von so ungeheurer Länge,
als sollte er gleich bis nach Schweden — Donnerwetter,
eigentlich wollte ich ja gar nicht sagen, ob es sich um ein
Nord- oder ein Ostseebad handelt, aber nun ist es schon
egall — also einen Steg, als sollte er bis nach Schweden
reichen. So lang ist er, daß manche Badegäste nie bis zu
seiner Spitze gelangen, weil ihnen die Wanderung zu be-
schwerlich ist, Fuhrwerke aber nicht auf dem Stege ver-
kehren dürfen. Doch das kommt vielleicht auch noch ein-
mal. —

In diesem Weltbade nun enkdeckte ich eine Oase, wo-
mit aber nicht gesagt sein soll, daß das Bad sonst eine
Müste wäre. Es war überraschend, an dieser so entwickelten
Stätte noch dergleichen zu finden. stnter den letzten Bäumen
des großen Parks, der bis an den Strand sich hinunter-
ziehk, stand nämlich, zwischen Dünen versteckt, ein Fischer-
häuschen als letzter Rest aus der Vergangenheit des Ortes,
mit schwarz geteerten Wänden und strohgedecktem Dach ein-
sam in einer fremd gewordenen ümgebung. In der Nähe
lag, weit auf den Strand gezoge», neben einem Schuppen,
in dem es zu Zeiten geborgen werden mochte, ein richtiges
schweres Fischerboot, wie es sonst an dieser Gegend der
Küste, wo nur elegante Segelboote, Iachten und Motor-
sahrzeuge herumwimmelten, gar nicht mehr zu sehen war,
eines jener Boote, dte Schicksale erleben und nicht nur
Vergnügen. Ein rostiger Anker ragte halb aus dem Sande,
Tauwerk lag umher, Netze waren zwischen Pfählen zum
Trocknen ausgespannt, Geruch von Teer und Fisch lag in
der Luft. Auch die Leute, die zu diesem schlichten Inventar
eines harten Lebens gehörten, waren zu sehen, fast unwirk-
lich erscheinend an diesem Orte der Eleganz und des Müßig-
gangs: eine wackere Fischerfamilie, Vater und Mutter, zwet
Söhne und zwei Töchter. Die Söhne kalfaterten grade
das Boot, die Töchter ordneten die Netze, die Mutter
befferte eine Oeljacke aus, und der Vater, den Südwefier
ins Genick geschoben, die Stummelpfeife zwischen den

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