Iochen Knaak und setne Familie
die ersten Iahre hier war! Zwei bescheidene Gasthöfe hatten
wir und ein lleines Kurhaus, einen fimplen Fachwerkbau,
und im übrigen vermieteten die Fischer an Sommergäste.
Ruhe hatten wir und Frieden und Gemütlichkeit und An-
stand und gehöriges Betragen. Nichts ist davon übrig ge-
blieben, aber auch gar nichts."
Ich dachte an das Idyll. „Ich habe aber doch noch ein
Aeberbleibsel aus den alten Tagen gefunden, Lerr Major.
Da ist eine Fischerfamilie-"
„Aha, Iochen Knaak und seine liebe Familie I" Der alte
Lerr schlug grimmig auf den Tisch. „Also auch darauf 'rein-
gefallen. Brave Fischersleute, ehrliche Seebären, hartes
Leben usw. nicht wahr? Wissen Sie, was Iochen Knaak
und Familie ist? Von all dem Schwindel, der hier in den
letzten Iahren aufgekommen ist, ist das der allergemeinste.
Knaaks sind eine Lüge, Theater, eine niederträchtige Illusion.
Das verstehen Sie nicht? Passen Sie auf; ich werde Ihnen
das gleich erklären.
Anser Ort war, das werden Sie wohl wissen, einst nur
ein einfaches Fischerdorf, weiter nichts. So gegen Anfang
der Sechziger Iahre scheint dann etnes Sommers ein zu-
fällig hergeschneiter — aber das ist Ansinn, im Sommer kann
natürlich niemand herschneien — also ein zufällig des
Weges gekommener Strandwanderer enldeckt zu haben, daß
dieses einsame Örtchen doch eigentlich der schönste Fleck an
der ganzen so wunderschönen Bucht wäre. Er mag Anter-
kunft im Dorfkruge gefunden haben und ein paar Wochen
geblieben sein; er hat Bekannten davon erzählt und den Ort
gerühml, und im nächsten Iahr sind dann schon ein paar Leute
mehr gekommen. Nach Siebzig kam dann, was damals für
einen großartigen Sprung gehallen wurde: die beiden Gast-
höfe entstanden, das erste kleine Kurhaus wurde gebaut,
schlichte Sommerwohnungen eingerichtet usw. Dabei blieb
es lange Zeit, und das war schön und gut. Die Fischer
hier blieben bei ihrem Gewerbe, verdienten sich aber durch
die Sommergäste noch einen netten Zuschuß, groß genug, daß
sie immerhin was damit anfangen konnten, und klein genug,
daß sie nicht verdorben wurden. Als dann aber der Ent-
wickelungsrummel losging, und eine richtige Badedirektion
eingesetzt wurde, da paßken der die Fischer gar nicht mehr.
Sie wollte den Slrand nur für die verehrten Kurgäste re-
serviert haben; die Fischer störten mit ihren Netzen, ihre
ärmlichen Läuser beleidigten das Auge usw. Die Leute wur-
den schikaniert, und ein Teil zog auch richtig fort, an die
andere Seite der Bucht, wo noch kein Badebetrieb ist. Die
übrigen paßten sich an, zogen ihren Lebensunlerhalt nur noch
aus der Saison, taten im Winler überhaupt nichts mehr und
waren schließlich Fischer gewesen. Ihre Läuser verkauften
sie zum Abreißen oder bauten selber, gerissene Spekulanten
geworden, dafllr solche modernen Sommerwohnungsbaracken
auf. Schließlich war nur noch eines der alten Fischerhäuser
da, — das gehörte Iochen Knaak.
Eigentlich wäre nun Knaak der erste gewesen, den Rum-
wel mitzumachen, aber er war gar nicht da gewesen. Der
Kerl war eines Tages seiner Frau ausgerissen und hatte sie
wit den vier Gören, das letzte war eben erst zur Welt ge-
koinmen, sihen laffen. Ztemlich erbärmlich kam er nach sieben
^der acht Iahren zurück. Damals sollte grade das neue
AZarmbad gebaut werden, am Ende des ParkS, und die
Badedirektion wollte nun dem Knaak sein Anwesen abkaufen,
wvzu der natürlich mit Vergnügen bereit gewesen wäre. Da
^üer kam der Direktor der Gescllschast, die hier die großen
otels und das Kurhaus belreibt, zum Badedirektor ge-
aufen und bewies ihm, daß es eine Dummheit sein würde.
Rückständig — »Das Mittelalter war doch mangel-
haft eingerichtet. Muß die Elsa den
Lohengrin mit der dummen Fragerei so quälen, — heutzu-
tage würde sie sich einfach an ein Detektivbüro wenden."
diesen letzten Rest der Fischereivergangenheit zu beseitigen,
man hätte sowieso schon mehr davon erhalten müssen. Denn
jedes Seebad, auch das modernste, selbft ein Weltbad müßte
ein bißchen Fischerleben, Strandpoeste, Südwester- und
Thranstiefelromantik aufweisen. Das könnten die Badegäste
mit Recht erwarten. Der Badedirektor sah das ein, und das
Ende war, daß Knaak und seine Familie regelrecht von der
Badeverwaltung angestellt wurden. Sie kriegen ein ganz
gehöriges Geld und haben für das reizvolle Fischerleben zu
sorgen, — nach einem von der Badedirektion sorgfältig auf-
gestellten Programm. Schwindel ist es, gemeiner Schwindel."
Ich glaubte, ein bißchen zweifeln zu dürfen; der Lerr
Major ließ sich wohl von seiner Voreingenommenheit gegen
das Weltbadtreiben täuschen. „Es sieht doch aber alles bei
Knaaks so echt aus."
„Echt? z. B. das samose Fischerboot, nicht wahr? Wie
oft, meinen Sie, wird so ein Voot sonst wohl kalfatert?
Zweimal im Iahr vielleicht. Knaaks aber müssen jede Woche
gegen hohen Stundenlohn ihr Boot kalfater», — als Schau-
spiel für die Badegäste; der Teer wird nachher immer wieder
heimlich abgekratzt. Natürlich gehen Vater und Söhne auch
in See damit, aber nur bei gutem Wetter; sonst würden
sich die Kerle hüten, denn die Söhne sind ja überhaupt nie
ordentlich auf See gewesen. And glauben Sie etwa, daß die
Leute das Boot selber zu Wasser bringen? Fällt der faulen
Bande gar nicht ein; früh am Morgen, ehe hier noch ein
Mensch auf ist, muß ihnen die Badeverwaltung ein paar
Gäule schicken."
„Aber die Leute fischen doch," meinte ich.
„Sie fischen? Ansinn, die wllrden nicht viel fangen.
Natürlich bringen sie Fische mit; die Badegäste würden sich
ja verdammt wundern, wenn so brave Fischersleute keine
Fische fangen würden. Aber wie wird das gemacht? Wenn
Knaaks mit ihrem Boot draußen und von hier außer Sicht
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die ersten Iahre hier war! Zwei bescheidene Gasthöfe hatten
wir und ein lleines Kurhaus, einen fimplen Fachwerkbau,
und im übrigen vermieteten die Fischer an Sommergäste.
Ruhe hatten wir und Frieden und Gemütlichkeit und An-
stand und gehöriges Betragen. Nichts ist davon übrig ge-
blieben, aber auch gar nichts."
Ich dachte an das Idyll. „Ich habe aber doch noch ein
Aeberbleibsel aus den alten Tagen gefunden, Lerr Major.
Da ist eine Fischerfamilie-"
„Aha, Iochen Knaak und seine liebe Familie I" Der alte
Lerr schlug grimmig auf den Tisch. „Also auch darauf 'rein-
gefallen. Brave Fischersleute, ehrliche Seebären, hartes
Leben usw. nicht wahr? Wissen Sie, was Iochen Knaak
und Familie ist? Von all dem Schwindel, der hier in den
letzten Iahren aufgekommen ist, ist das der allergemeinste.
Knaaks sind eine Lüge, Theater, eine niederträchtige Illusion.
Das verstehen Sie nicht? Passen Sie auf; ich werde Ihnen
das gleich erklären.
Anser Ort war, das werden Sie wohl wissen, einst nur
ein einfaches Fischerdorf, weiter nichts. So gegen Anfang
der Sechziger Iahre scheint dann etnes Sommers ein zu-
fällig hergeschneiter — aber das ist Ansinn, im Sommer kann
natürlich niemand herschneien — also ein zufällig des
Weges gekommener Strandwanderer enldeckt zu haben, daß
dieses einsame Örtchen doch eigentlich der schönste Fleck an
der ganzen so wunderschönen Bucht wäre. Er mag Anter-
kunft im Dorfkruge gefunden haben und ein paar Wochen
geblieben sein; er hat Bekannten davon erzählt und den Ort
gerühml, und im nächsten Iahr sind dann schon ein paar Leute
mehr gekommen. Nach Siebzig kam dann, was damals für
einen großartigen Sprung gehallen wurde: die beiden Gast-
höfe entstanden, das erste kleine Kurhaus wurde gebaut,
schlichte Sommerwohnungen eingerichtet usw. Dabei blieb
es lange Zeit, und das war schön und gut. Die Fischer
hier blieben bei ihrem Gewerbe, verdienten sich aber durch
die Sommergäste noch einen netten Zuschuß, groß genug, daß
sie immerhin was damit anfangen konnten, und klein genug,
daß sie nicht verdorben wurden. Als dann aber der Ent-
wickelungsrummel losging, und eine richtige Badedirektion
eingesetzt wurde, da paßken der die Fischer gar nicht mehr.
Sie wollte den Slrand nur für die verehrten Kurgäste re-
serviert haben; die Fischer störten mit ihren Netzen, ihre
ärmlichen Läuser beleidigten das Auge usw. Die Leute wur-
den schikaniert, und ein Teil zog auch richtig fort, an die
andere Seite der Bucht, wo noch kein Badebetrieb ist. Die
übrigen paßten sich an, zogen ihren Lebensunlerhalt nur noch
aus der Saison, taten im Winler überhaupt nichts mehr und
waren schließlich Fischer gewesen. Ihre Läuser verkauften
sie zum Abreißen oder bauten selber, gerissene Spekulanten
geworden, dafllr solche modernen Sommerwohnungsbaracken
auf. Schließlich war nur noch eines der alten Fischerhäuser
da, — das gehörte Iochen Knaak.
Eigentlich wäre nun Knaak der erste gewesen, den Rum-
wel mitzumachen, aber er war gar nicht da gewesen. Der
Kerl war eines Tages seiner Frau ausgerissen und hatte sie
wit den vier Gören, das letzte war eben erst zur Welt ge-
koinmen, sihen laffen. Ztemlich erbärmlich kam er nach sieben
^der acht Iahren zurück. Damals sollte grade das neue
AZarmbad gebaut werden, am Ende des ParkS, und die
Badedirektion wollte nun dem Knaak sein Anwesen abkaufen,
wvzu der natürlich mit Vergnügen bereit gewesen wäre. Da
^üer kam der Direktor der Gescllschast, die hier die großen
otels und das Kurhaus belreibt, zum Badedirektor ge-
aufen und bewies ihm, daß es eine Dummheit sein würde.
Rückständig — »Das Mittelalter war doch mangel-
haft eingerichtet. Muß die Elsa den
Lohengrin mit der dummen Fragerei so quälen, — heutzu-
tage würde sie sich einfach an ein Detektivbüro wenden."
diesen letzten Rest der Fischereivergangenheit zu beseitigen,
man hätte sowieso schon mehr davon erhalten müssen. Denn
jedes Seebad, auch das modernste, selbft ein Weltbad müßte
ein bißchen Fischerleben, Strandpoeste, Südwester- und
Thranstiefelromantik aufweisen. Das könnten die Badegäste
mit Recht erwarten. Der Badedirektor sah das ein, und das
Ende war, daß Knaak und seine Familie regelrecht von der
Badeverwaltung angestellt wurden. Sie kriegen ein ganz
gehöriges Geld und haben für das reizvolle Fischerleben zu
sorgen, — nach einem von der Badedirektion sorgfältig auf-
gestellten Programm. Schwindel ist es, gemeiner Schwindel."
Ich glaubte, ein bißchen zweifeln zu dürfen; der Lerr
Major ließ sich wohl von seiner Voreingenommenheit gegen
das Weltbadtreiben täuschen. „Es sieht doch aber alles bei
Knaaks so echt aus."
„Echt? z. B. das samose Fischerboot, nicht wahr? Wie
oft, meinen Sie, wird so ein Voot sonst wohl kalfatert?
Zweimal im Iahr vielleicht. Knaaks aber müssen jede Woche
gegen hohen Stundenlohn ihr Boot kalfater», — als Schau-
spiel für die Badegäste; der Teer wird nachher immer wieder
heimlich abgekratzt. Natürlich gehen Vater und Söhne auch
in See damit, aber nur bei gutem Wetter; sonst würden
sich die Kerle hüten, denn die Söhne sind ja überhaupt nie
ordentlich auf See gewesen. And glauben Sie etwa, daß die
Leute das Boot selber zu Wasser bringen? Fällt der faulen
Bande gar nicht ein; früh am Morgen, ehe hier noch ein
Mensch auf ist, muß ihnen die Badeverwaltung ein paar
Gäule schicken."
„Aber die Leute fischen doch," meinte ich.
„Sie fischen? Ansinn, die wllrden nicht viel fangen.
Natürlich bringen sie Fische mit; die Badegäste würden sich
ja verdammt wundern, wenn so brave Fischersleute keine
Fische fangen würden. Aber wie wird das gemacht? Wenn
Knaaks mit ihrem Boot draußen und von hier außer Sicht
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