Obst, und umasunst tat 's wachssn, moant die Bagasch; dabei
hat si' mei Sohn am Zaun sei guate Los'n kaputt g'riffnl"
Ein Silvesterabend der wilden Männer
Von Petcr Robinson
Wie die etwas iibertreibende Bezeichnung „die wilden
Männer" aufgekommen sein mag, ist jetzt beim besten Wil-
len nicht mehr festzustellen; nicht einmal über das Wann
lassen stch genaue Angaben ma-
chen. Das erste historische Fak-
tum ist, daß an einem Ianuar-
nachmittage des Jahres 1831 der
Konsul Laverland, der Gewürz-
kapitän Nordt und d;r Kornkaus-
mann Wiebe, alle drei leiden-
schaftliche Anhänger der damals
noch Schrittschuhlauf genannten
Bewegung, einen denkwürdigen
Eislauf unternommen haben. Sie
waren aus der Sladt hinaus den
fest gefrorenen Fluß — damals
gab es noch keine Eisbrecher —
hinunter bis zu seiner Mündung
gelaufen und dann auf die See
hinaus, die nach wochenlanger
Kälte und gleichzeitiger Windstille
eine über die ganze Bucht sich er-
streckende, immerhin ziemlich siche-
re Eisdecke trug, was ein recht sel-
tenes Ereignis war. Ia, und danu
war es den drei Lerren cingefal-
len, einmal den Versuch zu ma-
chen, auf Schlittschuhen über die
Bucht nach dem Fischerdvrf auf
der Spitze der Landzunge zu ge-
langen, und sie hatten das wag-
halsige Anternehmen auch sofort
ins Werk gesetzt. Der Leucht-
turmwärter hatte ihnen so lange
nachgeschaut, bis sie als kleine
dunkle Punkte auf der weißen Flä-
che in der anbrechenden Dämme-
rung verschwunden waren. Er
hatte ihnen noch eine Warnung
148
nachgerufen, auf die sie nicht gehört hatten, aber nun be-
hielt er doch recht: Sturm kam und fegte über die Bucht,
die bald wie ein Niesenbottich war, in dem die Trümmer
der geborstenen Eisdecke herumwirbelten. In der Stadt gab
es eine gewaltige Ausregung, als die Geschichte bekannt
wurde, und richtende Stimmen sprachen vom Aebermut der
sich nutzlos in Gefahr begibt und gerechter Weise darin um-
kommt. Fünf Tage später aber kamen die drei mit dem
ersten Fischerboot, das sich durch das Eis nach der Stadt
wagte, doch wieder glücklich nach Lause, — sie waren an
jenem Abend noch im letzteu Augenblick ans feste Land ge-
kommen. Für die Rückfahrt ließen ste das Boot beträcht-
lich mit Tabak und Rum beladen, — für den Pastor im
Dorfe jenseits des Waffers, den sie während ihres unfrei-
willigen Aufenthalts seines Vorrats an diesen nützlichen
Stoffen stark beraubt hatten. —
Anter der ehrbaren Kaufmannschaft der alten Landels-
stadt waren immer, besonders aber in der langweiligen Zeit
nach 1815, als die Welt wie eingeschlafen war, einige Köpfe
gewesen, die hin und wieder die Nüchlernheit ihres Kontor-
lebens durch irgend eine Anternehmnng zu unterbrechen ge-
neigt waren, über die dann Mäuler aufgesperrt und Rasen
gerümpst wurden oder auch, wenn es ein dazu angetaner
Einfall gewesen war, ein Gelächter durch die ganze Stadt
ging. Konsul Laverland, Gewürzkapitän Nordt und Korn-
kaufmann Wiebe waren damals die Vertreter dieses beson-
deren, in einer viel Grog und Porkwein konsumierenden
Gesellschaft aber begreiflichen Elements. Am ersten Iahres-
tag ihres denkwllrdigen Eislaufs hatten sie dann, ohne Sta-
tuten und sonstige Feffeln, einen
kleinen Klub gegründet, der, ohne
daß diese Bestimmung jemals klar
ausgesprochen wurde, denn sie wur-
de mehr nur gefllhlt, der Förde-
rung solcher kleinen, aus demRah-
men der Alltäglichkeit herausfal-
lenden Anternehmungen dienen
sollte. Es lag in der Besonder-
heit der Anforderungen, die die-
ses Ziel stellte, daß der Klub nie
mehr als ein halbes Dutzend Mit-
glieder gewann, und nachdem er
ein paarmal sein Dasein durch
einige schöne Tollheiten der Mit-
welt bemerkbar gemacht, hatte er
auch jenen Namen „die wilden
Männer" erhalten. Er blühte
einige Iahrzehnte und verwelkte
dann allmählich nach 1870, von
dem ihm verderblichen Lauche ei-
ner neuen Zeit getroffen. Seine
Geschichte ist nie geschrieben wor-
den, und das ist eigentlich schade,
denn einige ganz hübsche Leistun-
gen sind immerhin darin zu ver-
zeichnen. —
Ende 1859 — es mag aber auch
1860 gewesen sein — waren vier
wilde Männer da, die aber eigent-
lich schon ziemlich zahm geworden
waren, denn sie waren betagte
Lerren: Der Konsul Lenrici, der
Weinhändler Slübben und die
Lolzkaufleute Friese und Orlo-
vius. Seit Iahren hatte keiner
— „Schrecklich,dieLundesperre! Anser armerFips
tut mir so leid, daß er gar kein bißchen Freiheit hat."
— „Merkwürdig,Meta: mit demLund hast duMit-
leid, aberich soll dich nächsten Monat schon heiraten."
hat si' mei Sohn am Zaun sei guate Los'n kaputt g'riffnl"
Ein Silvesterabend der wilden Männer
Von Petcr Robinson
Wie die etwas iibertreibende Bezeichnung „die wilden
Männer" aufgekommen sein mag, ist jetzt beim besten Wil-
len nicht mehr festzustellen; nicht einmal über das Wann
lassen stch genaue Angaben ma-
chen. Das erste historische Fak-
tum ist, daß an einem Ianuar-
nachmittage des Jahres 1831 der
Konsul Laverland, der Gewürz-
kapitän Nordt und d;r Kornkaus-
mann Wiebe, alle drei leiden-
schaftliche Anhänger der damals
noch Schrittschuhlauf genannten
Bewegung, einen denkwürdigen
Eislauf unternommen haben. Sie
waren aus der Sladt hinaus den
fest gefrorenen Fluß — damals
gab es noch keine Eisbrecher —
hinunter bis zu seiner Mündung
gelaufen und dann auf die See
hinaus, die nach wochenlanger
Kälte und gleichzeitiger Windstille
eine über die ganze Bucht sich er-
streckende, immerhin ziemlich siche-
re Eisdecke trug, was ein recht sel-
tenes Ereignis war. Ia, und danu
war es den drei Lerren cingefal-
len, einmal den Versuch zu ma-
chen, auf Schlittschuhen über die
Bucht nach dem Fischerdvrf auf
der Spitze der Landzunge zu ge-
langen, und sie hatten das wag-
halsige Anternehmen auch sofort
ins Werk gesetzt. Der Leucht-
turmwärter hatte ihnen so lange
nachgeschaut, bis sie als kleine
dunkle Punkte auf der weißen Flä-
che in der anbrechenden Dämme-
rung verschwunden waren. Er
hatte ihnen noch eine Warnung
148
nachgerufen, auf die sie nicht gehört hatten, aber nun be-
hielt er doch recht: Sturm kam und fegte über die Bucht,
die bald wie ein Niesenbottich war, in dem die Trümmer
der geborstenen Eisdecke herumwirbelten. In der Stadt gab
es eine gewaltige Ausregung, als die Geschichte bekannt
wurde, und richtende Stimmen sprachen vom Aebermut der
sich nutzlos in Gefahr begibt und gerechter Weise darin um-
kommt. Fünf Tage später aber kamen die drei mit dem
ersten Fischerboot, das sich durch das Eis nach der Stadt
wagte, doch wieder glücklich nach Lause, — sie waren an
jenem Abend noch im letzteu Augenblick ans feste Land ge-
kommen. Für die Rückfahrt ließen ste das Boot beträcht-
lich mit Tabak und Rum beladen, — für den Pastor im
Dorfe jenseits des Waffers, den sie während ihres unfrei-
willigen Aufenthalts seines Vorrats an diesen nützlichen
Stoffen stark beraubt hatten. —
Anter der ehrbaren Kaufmannschaft der alten Landels-
stadt waren immer, besonders aber in der langweiligen Zeit
nach 1815, als die Welt wie eingeschlafen war, einige Köpfe
gewesen, die hin und wieder die Nüchlernheit ihres Kontor-
lebens durch irgend eine Anternehmnng zu unterbrechen ge-
neigt waren, über die dann Mäuler aufgesperrt und Rasen
gerümpst wurden oder auch, wenn es ein dazu angetaner
Einfall gewesen war, ein Gelächter durch die ganze Stadt
ging. Konsul Laverland, Gewürzkapitän Nordt und Korn-
kaufmann Wiebe waren damals die Vertreter dieses beson-
deren, in einer viel Grog und Porkwein konsumierenden
Gesellschaft aber begreiflichen Elements. Am ersten Iahres-
tag ihres denkwllrdigen Eislaufs hatten sie dann, ohne Sta-
tuten und sonstige Feffeln, einen
kleinen Klub gegründet, der, ohne
daß diese Bestimmung jemals klar
ausgesprochen wurde, denn sie wur-
de mehr nur gefllhlt, der Förde-
rung solcher kleinen, aus demRah-
men der Alltäglichkeit herausfal-
lenden Anternehmungen dienen
sollte. Es lag in der Besonder-
heit der Anforderungen, die die-
ses Ziel stellte, daß der Klub nie
mehr als ein halbes Dutzend Mit-
glieder gewann, und nachdem er
ein paarmal sein Dasein durch
einige schöne Tollheiten der Mit-
welt bemerkbar gemacht, hatte er
auch jenen Namen „die wilden
Männer" erhalten. Er blühte
einige Iahrzehnte und verwelkte
dann allmählich nach 1870, von
dem ihm verderblichen Lauche ei-
ner neuen Zeit getroffen. Seine
Geschichte ist nie geschrieben wor-
den, und das ist eigentlich schade,
denn einige ganz hübsche Leistun-
gen sind immerhin darin zu ver-
zeichnen. —
Ende 1859 — es mag aber auch
1860 gewesen sein — waren vier
wilde Männer da, die aber eigent-
lich schon ziemlich zahm geworden
waren, denn sie waren betagte
Lerren: Der Konsul Lenrici, der
Weinhändler Slübben und die
Lolzkaufleute Friese und Orlo-
vius. Seit Iahren hatte keiner
— „Schrecklich,dieLundesperre! Anser armerFips
tut mir so leid, daß er gar kein bißchen Freiheit hat."
— „Merkwürdig,Meta: mit demLund hast duMit-
leid, aberich soll dich nächsten Monat schon heiraten."