Lreite äeine sanfte Oeckei
welt ist tot unä Lhrist wirä sein.
stlle Lichter sinä verschwunäen,
voch voll tzoffnung ist äie Nacht.
Ein Silvesterabend der wilden Männer
von ihnen mehr etwas Besonderes ver-
übt, was den Traditionen der eigenen
Iugend und der Vorfahren im Klub
gerecht geworden wäre. Silvester 1859
— aber, wie gesagt, es mag auch 1860
gewesen sein — ist dann aber doch noch
etwas Ersprießliches getan worden. Sie
pflegten die Silvesterabende schon immer
bei Stübben, dem Weinhändler, zu ver-
leben, deffen Laus am Breiten Markt
lag, dem Rathause und der Amtswoh-
nung des Lerrn Bürgermeisters gegen-
über. Diesmal aber hatte am Nach-
mittag Konsul Lenrici abgesagt: er hatle
einen schändlichen Gichtanfall bekommen.
Die drei anderen hatten nun eigentlich
zu ihm ziehn wollen, aber das hatte er
sich verbeten. Er würde seiner Schmerzen
wegen teils fluchen, teils auch jammern
und schreien müssen, hatte er gemeint,
und wenn er auch das Fluchen sehr
hübsch und originell besorgen würde, für
das Iammern und Schreien wollte er
doch lieber keine Zeugen haben. So hatte
er also heute ausscheiden müssen.
Damals beging man noch Silvester
nur im eigenen Lause oder bei guten
Freunden, nicht in lauten, bunten Lo-
kalen, und so lag schon die eigentlich sich
auch gehörende Stille des letzten Abends
im Iahre über den Gassen der Stadt,
als Friese und Orlovius zu Stübben
kamen. Nach einem ordentlichen Abend-
essen gab es zunächst eine besondere
Silvestererfrischung, zu deren Lerstel-
lung der Tag sehr günstig gewesen war,
denn er hatte fünfzehn Grad Kälte ge-
bracht, nach Reaumur gerechnet, wie da-
mals üblich. Es war ein an und für sich
ganz schlichtes, aber doch eigenartiges
Getränk, das in jener Gegend den selt-
samen Namen Pipelpapel führt. Man
nimmt dazu ein Fäßchen sehr guten
Bieres und stellt es zwölf Stunden oder
noch länger in den Frost hinaus. Dann
wird das Fäßchen und sein zum größe-
ren Teil gefrorener Inhalt angebohrt, mit einem langen
Bohrer, der den noch flttssigen und allein zum Genusse be-
stimmten Kern erreicht. Bei vielen Dingen ist der Kern
das Veste. Lier auch, denn da Wasser viel eher gefriert als
Alkohoi, so ist, was von dem Bier noch flüssig geblieben ist, ein
liebliches Extrakt von vorzüglich würzigem Geschmack, aber
auchsehrgefährlichemAlkoholgehaltfürnichtganzfeste,ander-
gleichen nicht recht gewöhnte Naturen, die dann schon nach ei-
nem Glase in sinnloses Lallen verfallen, wovon stch vielleicht als
lautmalendes Wort der Name Pipelpapel herschreiben mag.
Die Lerren Stübben, Friese und Orlovius aber waren an so
was gewöhnt; sie gerieten danach nur in eine angenehm warme
Stimmung gesteigerter Behaglichkeit und gingen dann zu einem
vorzüglichen Burgunder über nach dem alten weisen Rate:
Bier auf Wein,
Das laß' sein!
Wein auf Bier,
Rat' ich dir!
Morgen, Menschheitsmorgen, recke
kius äer Nacht äen §Iammenschein!
Unä äein ewiges Leuchten wecke
Uns aus Oämmerung zum Sein.
-A. W.
Und so, trinkend und aus langen Pfeifen rauchend,
saßensie in Stübbens elwas düsterem, eichengetäfelten Vorder-
zimmer im ersten Stock, bis es etwas vor zehn Ahr Zeit
wurde, sich ans Fenster zu setzen und auf den Breiten Markt
hinauszuschauen. Denn dort mußte nun bald etwas nicht
Alltägliches oder vielmehr nicht Allabendliches vorgehn, das
von ihnen in der löblichen Absicht, etwas Leiterkeit in die
Welt zu bringen, entsprechend vorbereitet worden war.
Am Vormittag war Lolzkaufmann Friese zu einem ge-
wissen Mackenroth gegangen, der sich einen Konzertmeister
nannte und, als Lrimus inter psres, mit einigen Genossen
in vorstädtischen Lokalen und Seefahrerkneipen, so oft man
das von ihm wünschte, durchaus angebrachte Mustk zu machen
Pflegte. Zu diesem Künstler hatte Friese gesagt: „Einige
Freunde und ich beabsichtigen, heute Abend dem Lerrn
Bürgermeister ein Ständchen bringen zu lassen, wozu die
polizeiliche Erlaubnis bereits eingeholt ist. Lier sind acht
Thaler Courant,LerrMackenroth I Nehmen Sie dreiKollegen,
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welt ist tot unä Lhrist wirä sein.
stlle Lichter sinä verschwunäen,
voch voll tzoffnung ist äie Nacht.
Ein Silvesterabend der wilden Männer
von ihnen mehr etwas Besonderes ver-
übt, was den Traditionen der eigenen
Iugend und der Vorfahren im Klub
gerecht geworden wäre. Silvester 1859
— aber, wie gesagt, es mag auch 1860
gewesen sein — ist dann aber doch noch
etwas Ersprießliches getan worden. Sie
pflegten die Silvesterabende schon immer
bei Stübben, dem Weinhändler, zu ver-
leben, deffen Laus am Breiten Markt
lag, dem Rathause und der Amtswoh-
nung des Lerrn Bürgermeisters gegen-
über. Diesmal aber hatte am Nach-
mittag Konsul Lenrici abgesagt: er hatle
einen schändlichen Gichtanfall bekommen.
Die drei anderen hatten nun eigentlich
zu ihm ziehn wollen, aber das hatte er
sich verbeten. Er würde seiner Schmerzen
wegen teils fluchen, teils auch jammern
und schreien müssen, hatte er gemeint,
und wenn er auch das Fluchen sehr
hübsch und originell besorgen würde, für
das Iammern und Schreien wollte er
doch lieber keine Zeugen haben. So hatte
er also heute ausscheiden müssen.
Damals beging man noch Silvester
nur im eigenen Lause oder bei guten
Freunden, nicht in lauten, bunten Lo-
kalen, und so lag schon die eigentlich sich
auch gehörende Stille des letzten Abends
im Iahre über den Gassen der Stadt,
als Friese und Orlovius zu Stübben
kamen. Nach einem ordentlichen Abend-
essen gab es zunächst eine besondere
Silvestererfrischung, zu deren Lerstel-
lung der Tag sehr günstig gewesen war,
denn er hatte fünfzehn Grad Kälte ge-
bracht, nach Reaumur gerechnet, wie da-
mals üblich. Es war ein an und für sich
ganz schlichtes, aber doch eigenartiges
Getränk, das in jener Gegend den selt-
samen Namen Pipelpapel führt. Man
nimmt dazu ein Fäßchen sehr guten
Bieres und stellt es zwölf Stunden oder
noch länger in den Frost hinaus. Dann
wird das Fäßchen und sein zum größe-
ren Teil gefrorener Inhalt angebohrt, mit einem langen
Bohrer, der den noch flttssigen und allein zum Genusse be-
stimmten Kern erreicht. Bei vielen Dingen ist der Kern
das Veste. Lier auch, denn da Wasser viel eher gefriert als
Alkohoi, so ist, was von dem Bier noch flüssig geblieben ist, ein
liebliches Extrakt von vorzüglich würzigem Geschmack, aber
auchsehrgefährlichemAlkoholgehaltfürnichtganzfeste,ander-
gleichen nicht recht gewöhnte Naturen, die dann schon nach ei-
nem Glase in sinnloses Lallen verfallen, wovon stch vielleicht als
lautmalendes Wort der Name Pipelpapel herschreiben mag.
Die Lerren Stübben, Friese und Orlovius aber waren an so
was gewöhnt; sie gerieten danach nur in eine angenehm warme
Stimmung gesteigerter Behaglichkeit und gingen dann zu einem
vorzüglichen Burgunder über nach dem alten weisen Rate:
Bier auf Wein,
Das laß' sein!
Wein auf Bier,
Rat' ich dir!
Morgen, Menschheitsmorgen, recke
kius äer Nacht äen §Iammenschein!
Unä äein ewiges Leuchten wecke
Uns aus Oämmerung zum Sein.
-A. W.
Und so, trinkend und aus langen Pfeifen rauchend,
saßensie in Stübbens elwas düsterem, eichengetäfelten Vorder-
zimmer im ersten Stock, bis es etwas vor zehn Ahr Zeit
wurde, sich ans Fenster zu setzen und auf den Breiten Markt
hinauszuschauen. Denn dort mußte nun bald etwas nicht
Alltägliches oder vielmehr nicht Allabendliches vorgehn, das
von ihnen in der löblichen Absicht, etwas Leiterkeit in die
Welt zu bringen, entsprechend vorbereitet worden war.
Am Vormittag war Lolzkaufmann Friese zu einem ge-
wissen Mackenroth gegangen, der sich einen Konzertmeister
nannte und, als Lrimus inter psres, mit einigen Genossen
in vorstädtischen Lokalen und Seefahrerkneipen, so oft man
das von ihm wünschte, durchaus angebrachte Mustk zu machen
Pflegte. Zu diesem Künstler hatte Friese gesagt: „Einige
Freunde und ich beabsichtigen, heute Abend dem Lerrn
Bürgermeister ein Ständchen bringen zu lassen, wozu die
polizeiliche Erlaubnis bereits eingeholt ist. Lier sind acht
Thaler Courant,LerrMackenroth I Nehmen Sie dreiKollegen,
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