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Ein unbekanntes Gedicht Goethes

Da es nun meinem guten, Zigarren schenkenden Vetter
Cornelius Settegast ganz egal sein wird, was ich von ihm
verrate, habe ich also den seine Arheberschast an der Goethe-
2lngelegenheit bisher bedeckenden Schleier ausgehoben und
scheue mich auch nicht, nun noch die näheren Amstände zu
enthüllen. Ich werde alles schlicht und wahrheitsgetreu er-
zählen, so, als wenn ich vor Gericht stände und vom Vor-
sitzenden eindringlich ermahnt worden wäre, meinen Zeugen-
eid zu bedenken.

Cornelius Settegast ist in Kahlbude
bei Danzig geboren, was erwähnt werden
muß, da die Beziehung zu der alten und
höchst vortrefflichen Stadt Danzig sich
als wichtiq erweisen wird. Aufder Schule
war er recht fleißig; besonders bemerkens-
wert war damals an ihm so von der
Quarta ab, daß er stets jedem Mitschüler
genau nachweisen konnte, woher der dies
und jenes in einem Aufsatz abgeschrieben
hatte, und da er hierdurch zum Germa-
nisten bestimmt zu sein schien, machte ihm
später die Wahl seines Beruss keine
Schwierigkeit. Nach angemeffener Zeit
habilitierte er sich dann an einer größeren
Llniversität — auf ihren Namen kann wohl verzichtet wer-
den — als Privatdozent für deutsche Philologie und gab
sich nun selbstverständlich der Loffnung hin, es würde nicht
gar zu lange dauern, bis er eine Professur bekäme. Mit
dieser Loffnung aber kam leider in bedenkliche Kollision
der an sich ihm keineswegs zur Last zu legende Amstand,
daß Cornelius sich früh verheiratet hatte. Nun, man weiß
ja, wie das ist: da sitzen Professoren in der Fakultät, die

Töchter haben und sie gern los werden möchten-und

so weiter; über diese Schweinereien ist ja schon oft genug
geklagt worden, das braucht man nicht weiter zu erklären.

Niemand wird es aber Cornelius Settegast verdenken
dürfen, daß allmählich Boß und Wut in ihm sich ansammel-
ten. Der Boß und die Wut sind schon oft die Eltern nicht

gewöhnlicher Anternehmungen gewesen. Eines Tages erzählte
mir Cornelius, er würde einen Schritt tun, der gewiffer-
maßen ein in Siebenmeilenstiefeln getaner sein würde, denn
mit diesem einen Schritte würde er alle niederträchtigen Äin-
dernisse übersteigen und an sein Ziel gelangen. Aber erst
müßte er wieder einmal in die alte Leimat fahren; wie An-
taeus würde er durch die Berührung mit der Mutter Erde
neue Kräfte gewinnen, und dann sollte man schon sehen,
was passieren würde. Aeberhaupt wäre die Reise nach Danzig
aus gewissen Gründen durchaus notwendig; dies und alles
weitere zu verstehen, würde er mir nach
seiner Nückkehr Gelegenheit geben.

Die Gelegenheit kam, als mich Vetter
Cornelius für einen bestimmten Nach-
mittag zum Tee einlud. Zu meiner Vor-
bereitung erklärte er mir: „Es wird noch
ein Gast kommen, — er ist für etwas
später gebeten. Der Dr. Nagelschmitt
ist es, der schätzenswerte Kollege, der ge-
meine Lund, der die Professur zu kriegen
hofft, weil er die älteste Tochter von Pro-

fessor Winselmann-na, lassen wir

dasl Dr. Nagelschmitt will sich einen
Fund ansehen, den ich dnrch einen glück-
lichen Zufall jeht in Danzig gemacht
habe: ein vortrefflich erhaltenes Exemplar der ersten Ausgabe
von des guten Martin Opitz,Schäfferey von der Nimfen
ÄercinicL. Da liegt es."

Za, das Buch lag schon auf dem Schreibtisch bereit,
aber was Cornelius davon gesagt hatte, war Schwindel.
„Löre mal: ich weiß doch, daß du das Buch schon immer
gehabt hast."

„Stimmt, aber halte gefälligst das Maul; außer dir
weiß das sonst niemand. Bleiben wir bei der liebenswürdigen
Fiktion, daß ich das Buch erst jeht ergattert habe. Der
Fund ist umso wahrscheinlicher, als der vortreffliche Martin
Opitz seine letzten Lebensjahre bekanntlich in Danzig zuge-
bracht hat, wo er leider ein Opfer der greulichen Pestepi-
demie des Iahres 1639 wurde. Das Buch hat sich wohl

^unge unä Me

lllenn äie ^ungen ihr Lanner entlallen,
erompelen blajen unä erommeln rühren,
llann gehe ich lieber ru clen Men,
llie an äen Ubenäen vor clen eüren
pfeile rauchen uncl Twiesprach hallen.
llort ist ein ^lllstern. llur ru 2eiten
llringt es herüber vom llampfgeäröhn —
llie lllten Ischeln- „llie sjungen jtreilen,
(llir Isllen keiern. ller Dieäe ist jchön!"

— „Dös is aber dumm: grad' im vorigen Zahr is gar keiner bei uns g'storben."

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