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Niebstiels sämtliche Werke Von Dr. A. Wagner

Riebstiel war ein Mann von Welt. Das setzt voraus,
daß er Vermögen hatte, und das hatte er tatsächlich. Er
konnte sich alles erlauben. In seiner Sturm- und Drang-
periode hatte er einmal einen Bankdirektor geohrfeigt, bloß
um zu ersahren,was das kostete. Er war so reich,daß er seinen
Lebensunterhalt von den Zinseszinsen bestreiten konnte. Alles,
was er anrührte, wurde ihm unter den Länden zu Kapital.

Nur sein Gehirn war unergiebig wie ein gesperrtes
Bankdepot, und das empfand er als Mangel. Sein Grund-
besitz dehnte stch gefräßig aus, aber zu seiner Ehre muß es
gesagt sein, daß ihm das bloße Geldeinnehmen und Aus-
geben mit wachsenden Iahren nicht mehr genügte. Sein
Ehrgeiz ging nach geistigen Terrainspekulationen, und sein
Traum war, sich, wenn auch nur mit einer bescheidenen Ein.
tragung, in das Grundbuch der Literaturgeschichte aufgenom-
men zu sehen. In schlichten Worten: er hatte poetische Krampf-
adern, er wollte geistig produzieren, originell denken, kurz, er
wollte ein Dichter werden.

Mit Verachtung blickte er jetzt auf die Zeit herab, in
der er den Bankdirektor geohrfeigt hatte. Selbst in seinen
Träumen spielte der Lorbeer eine Nolle.

Ieder Neubau beginnt mit einer Lypothek. Riebstiel
wühlte sich tief in die Literatur aller Zeiten und Völker ein,
stürzte sich auf alle Strömungen, Neuerscheinungen und Pre-

mieren und gewöhnte sich systematisch daran, in der dünnen
Luft des Geistigen zu atmen. Als er sich genügend trainiert
fühlte, schaffte er sich japanisches Bütten und handgeschnittene
Schwarzschwanenfedern an, dämpfte die Beleuchlung feines
Arbeitszimmers zu exzitierendem Tomatenrot, tauchte an
einem weihevollen Tage den Schwanenkiel in das mit mala-
chitgrüner Tusche gefüllte Marmorschreibzeug und gedachte
nun, sich in Nhythmen zu verftrömen. Riebstiel saß, wartete
und tauchte, aber es strömte nichts, nicht das Atom einer Idee
ließ stch blicken, und seine Enttäuschung war nicht nur ehr-
lich, sondern auch vollkommen.

Er konnte es einfach nicht begreifen, wie es einem nicht
gelingen konnte, unter all diesen günstigen Auspizien ein
Lölderlin oder auch nur ein männlicher Courths-Mahler zu
werden, und er entschuldigte sich selbst mit einem Mangel
an Stimmung. Zufällig kam ihm das Buch „Klima und
Persönlichkeit" in die Äände, das klar bewies, die psychischen
Vorgänge seien Produkte von Temperatur, Luftdruck und
Äelligkeit. Aha, damit war ja alles erklärt! Diese Faktoren
hatte er eben unberücksichtigt gelaffen. Er hatte sich das
Dichten zu archaisch und einfach vorgestellt. Der moderne
Mensch ist eben feinnerviger, er schüttelt nicht kraftstrotzend
wie Shakespeare oder Schiller Opus hinter Opus aus dem
Aermel, er ist ein Präzionsinstrument, eine nervöse Maschi-
nerie, die nur unter optimalen Bedingungen arbeitet.
 
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