Zeichnung von E. Kirchner
Die Dicken
— „Weitergehen! Ich dars keinen Auflauf du'den!"
— „Ist das ein Auflauf, wenn wir zu Dreien beieinander stehen?"
— „Freilich! Sie sind ja jeder für sich schon ein Auflauf!"
Riebstiels sämkliche Werke
Emsig forschte Riebstiel weiter und entdeckte. daß die
geistige Schaffenskraft ein Lluf und Ab von Wellenlinien
bildete, deren Äöhepunkte in Intervallen von sieben Iahren
liegen. Mein Gott, er hatte Pech, gerade dreißig zu sein,
also mitten in einem Wellental der geistigen Potenzen. Sein
nächstes Maximum war erst in fünf Iahren erreicht, denn
5 mal 7 ist 35. Aber noch eine andre Kurve rankte sich ver-
hängnisvoll und unberechenbar durch jedes Leben. Die bio
logische Mischung der Körpersäfte, der Blmdruck und viele
andre Dinge beeinflussen die Seele, und in unregelmäßigen
Windungen schlängelt sich diese Linie durch freudige Löhen
und depressive Niederungen.
Wetter,allgemeine geistige Spannkraft und Seelenchemie
bestimmen in der Lauptsache das Schaffen, und geniale Au-
genblicke sind immer nur ein Zusammentreffen von Löhen-
punkten aller Kurven. Aber wie sollte man dahinter kommen,
ob der geniale Augenblick vor der Tür stand?
Riebstiel sah ein, daß das Dichten eine ganz minutiöse
Angelegenheit sei, und umgab sich mit einem Stab von
Wissenschaftlern und Gelehrten, zu dem Zweck, den güusti-
gen Augenblick des Schaffeils nicht zu verpassen. Die her-
vorragendsten Meteorologen, Psychiater, Mediziner und
Biologen wurden mit staunenswerten Gagen engagiert und
zogen in die Villa Riebstiels ein. Sie hatten die Aufgabe,
Riebstiel aufs genaueste zu beobachten, genaue Aufzeich-
nungen zu machen, das Für und Wider kritisch abzuwägen
und beim leisesten Anzeichen einer herannahenden Sehaffens-
periode das Signal zum Dichten in Gestalt einer scharlach-
rolen, mit Lermelin verbrämten Standarte zu hissen.
24
Die Meteorologen Dr. Goldnagel und sein bewährter
Assistent, der Grieche Perihelios Ellipsoides, richteten auf
denl Dach gefährliche Znstrumente gegen das harmlose Fir-
mament und ließen im Amkreise von zehn Kilometern die
Wälder abholzen, weil die Atmosphäre zu feucht war.
Der Psychiater Professor Mesencephalus mit eiiler
Schar von Schülern schürften in Niebstiels Seele und ana-
lysierten ihn auf Wiener Art bis zur Weißglut.
Die Mediziner, an der Spitze Geheimrat Romhügel,
wogen ihn vor und nach den Mahlzeiten, schloffen ihn
dauernd an einen Blutdruckapparat an, verdünnten ihn mit
Lammelblutserum und unterbanden ihm zwei Schlagadern.
Die Biologen züchteten lebende Zellen von ihm im
Reagenzglas und auf Gelatineplatten, erwärmten diese ab-
gespaltenen Teile Niebstiels in Brutschränken und versehteil
diese Niebstielkulturen mit Glaubersalz und Backpulver,
Neinzüchtullgen edelster Niebstielscher Teile kainen unter
hohen Druck, und der Äausherr und Dichter ir> sah sich
selbst in mannigfachen Gläsern und Retorten heranwacksen.
Die Organisation des ganzen hatte Geheimrat SUß-
bruch übernommen. Alle diese Versuchsstationen standen lnit
einem Zentralbüro in Verbindung, das pünktlich jede Minute
telegraphische Meldung empfing und alles registrierte, und
die letzten und feinsten Ergebnisse zeichneten sich direkt auf
Schreibwalzen in Geheimrat Süßbruchs Arbeitszimmer auf,
der so jede Minute in der Lage war, die Situation zu über-
blicken und im gegebenen Moment bloß den clektrischen
Knopf, der den Fahnenmechanismus auslöste, zu berühren
brauchte.
Aber der günstige Augenblick kam nicht, die Schreib-
Die Dicken
— „Weitergehen! Ich dars keinen Auflauf du'den!"
— „Ist das ein Auflauf, wenn wir zu Dreien beieinander stehen?"
— „Freilich! Sie sind ja jeder für sich schon ein Auflauf!"
Riebstiels sämkliche Werke
Emsig forschte Riebstiel weiter und entdeckte. daß die
geistige Schaffenskraft ein Lluf und Ab von Wellenlinien
bildete, deren Äöhepunkte in Intervallen von sieben Iahren
liegen. Mein Gott, er hatte Pech, gerade dreißig zu sein,
also mitten in einem Wellental der geistigen Potenzen. Sein
nächstes Maximum war erst in fünf Iahren erreicht, denn
5 mal 7 ist 35. Aber noch eine andre Kurve rankte sich ver-
hängnisvoll und unberechenbar durch jedes Leben. Die bio
logische Mischung der Körpersäfte, der Blmdruck und viele
andre Dinge beeinflussen die Seele, und in unregelmäßigen
Windungen schlängelt sich diese Linie durch freudige Löhen
und depressive Niederungen.
Wetter,allgemeine geistige Spannkraft und Seelenchemie
bestimmen in der Lauptsache das Schaffen, und geniale Au-
genblicke sind immer nur ein Zusammentreffen von Löhen-
punkten aller Kurven. Aber wie sollte man dahinter kommen,
ob der geniale Augenblick vor der Tür stand?
Riebstiel sah ein, daß das Dichten eine ganz minutiöse
Angelegenheit sei, und umgab sich mit einem Stab von
Wissenschaftlern und Gelehrten, zu dem Zweck, den güusti-
gen Augenblick des Schaffeils nicht zu verpassen. Die her-
vorragendsten Meteorologen, Psychiater, Mediziner und
Biologen wurden mit staunenswerten Gagen engagiert und
zogen in die Villa Riebstiels ein. Sie hatten die Aufgabe,
Riebstiel aufs genaueste zu beobachten, genaue Aufzeich-
nungen zu machen, das Für und Wider kritisch abzuwägen
und beim leisesten Anzeichen einer herannahenden Sehaffens-
periode das Signal zum Dichten in Gestalt einer scharlach-
rolen, mit Lermelin verbrämten Standarte zu hissen.
24
Die Meteorologen Dr. Goldnagel und sein bewährter
Assistent, der Grieche Perihelios Ellipsoides, richteten auf
denl Dach gefährliche Znstrumente gegen das harmlose Fir-
mament und ließen im Amkreise von zehn Kilometern die
Wälder abholzen, weil die Atmosphäre zu feucht war.
Der Psychiater Professor Mesencephalus mit eiiler
Schar von Schülern schürften in Niebstiels Seele und ana-
lysierten ihn auf Wiener Art bis zur Weißglut.
Die Mediziner, an der Spitze Geheimrat Romhügel,
wogen ihn vor und nach den Mahlzeiten, schloffen ihn
dauernd an einen Blutdruckapparat an, verdünnten ihn mit
Lammelblutserum und unterbanden ihm zwei Schlagadern.
Die Biologen züchteten lebende Zellen von ihm im
Reagenzglas und auf Gelatineplatten, erwärmten diese ab-
gespaltenen Teile Niebstiels in Brutschränken und versehteil
diese Niebstielkulturen mit Glaubersalz und Backpulver,
Neinzüchtullgen edelster Niebstielscher Teile kainen unter
hohen Druck, und der Äausherr und Dichter ir> sah sich
selbst in mannigfachen Gläsern und Retorten heranwacksen.
Die Organisation des ganzen hatte Geheimrat SUß-
bruch übernommen. Alle diese Versuchsstationen standen lnit
einem Zentralbüro in Verbindung, das pünktlich jede Minute
telegraphische Meldung empfing und alles registrierte, und
die letzten und feinsten Ergebnisse zeichneten sich direkt auf
Schreibwalzen in Geheimrat Süßbruchs Arbeitszimmer auf,
der so jede Minute in der Lage war, die Situation zu über-
blicken und im gegebenen Moment bloß den clektrischen
Knopf, der den Fahnenmechanismus auslöste, zu berühren
brauchte.
Aber der günstige Augenblick kam nicht, die Schreib-