Preisausschreiben Nr. 2
Was gehthiervor?
Etne dunkle Geschichke von Geha
Aber er hat's gleich satt gekriegt, hat er erzählt."
— „Freilich, — er hat ja 'nen Ball in den Mund bekommen."
Sebaldus Wallhofers Tag
war anstrengend, allzu an-
strengend gewesen — nerven-
zerrüttend selbst für einen ge-
hetztenGroßstadtmenschen. And
jetzt, mitten in der Atempause
der Erholung, die Sebaldus sich
gönnte, wurde es plötzlich dun-
kel vor seinen Augen, die noch
eben hungrig ins Licht geblickt
hatten.
Sonderbar: Sebaldus sühl-
te, daß ihn das eigentlich gar
nicht beunruhigte. Er kannte
das. Er führte diesen Augen-
blick des Nicht-mehr-sehen-kön-
nens sogaroft selbst herbei,gern
und mit einer gewiffen Leiden-
schastlichkeit. Denn er wußte,
daß dieser Moment des voll-
ständigen Versinkens ins Dun°
kel nur wenige Sekunden zu
dauern Pflegte. And dann —
dann zauberte ein Lichtstrahl,
der jäh in die seine Augen um-
lastende Finsternis griff, ihm
Bilder vor— Bilder, Gestalten,
Visionen, so groß, so schön, so
phantastisch, wie sie dem All-
tagsdasein selbst nie geschenkt
wurden.
Auch heute schloß Sebaldus
beseligt die Augen, als er das
geliebte Dunkel fühlte. And
dann öffnete er sie wieder, um
in das lichte Abendland seiner
Sehnsucht zu blicken. Aber da
— was war das? Sebaldus
sühlte, daß er heute etwas An-
erhörtes, etwas Niegeschautes
sehen würde,etwas, vondem er
nie gewußthatte, daß es ihm noch einmal beschieden sein könnte.
Wohl waren es wieder die ihm so liebgewordenen,
wohlbekannten Gestalten, die immer die Erlebnisse seiner
Abende gewesen waren. Wohl erklang wieder die zarte oder
rauschende Musik, die immer ihr Erscheinen zu begleiten
pflegte. Aber wie anders gaben sie sich heute! Da kettete
ein Greis mit hartem Griff seiner knöchernen Land die wehr-
losen Finger zweier junger Menschen ineinander — und
lächelte hinterhältig. Aber waren sie denn wehrlos, die bei-
den? Sieh, noch eben sahen sie so ernst aus — jetzt lächeln sie
siegesgewiß. And sie beginnen zu ziehen, zu zerren mit ver-
einten Kräften — hierhin der Iüngling, dorthin die Iungfrau.
Sebaldus fiebert mit. Zieht! zerrt! — schon lockert sich der
Griffder knochigen Greisenkrallen, sie versagen vor der junqen
Kraft — da — sie sind frei! I!
„Warum wollte er sie aber eigentlich fesseln?" wollte sich
Sebaldus fragen. Doch er kam nicht mehr dazu. Neue
Szenen zauberten stch vor ihm auf. Das hinterhältige Lä-
cheln des Greises wandelte sich langsam zu tiefem Ernst —
und dann, als die beiden ihre Freiheit mit einem langen
Kusse begrüßten, zu furchtbarer Wut. Mit finsterem Ge-
sicht schritt der Greis — sein oder ihr Vater anscheinend —
rückwärts und verschwand durch eine offene Tür . . .
Aufs neue wurde Sebaldus überrascht. Die beiden jungen
Freunde seiner Phantasie trennten sich, obgleich sie sich doch
wohl liebten... Sie blieb, er ging. Er konnte seine Vlicke
nicht von ihr lösen, aber er mußte wohl gehen. Sehnend
streckte er, rückwärts gewandt, die Lände nach ihr aus, wie
sie nach ihm. And dann öffnete er ganz langsam, ganz sorg-
sam eine Tür — trat hinaus — steckte noch einmal den Kopf
durch den Spalt — lächelte ihr noch einmal zu — und schloß
hastig die Pforte... Welch unheimliches Geschick war es
nur, das sie auseinanderriß? Sebaldus wußte es nicht.
Aber es griff auch ihm weh ans Lerz. Tränen umflorten
seinen starr geradeaus gerichteten Blick. Es flimmerte ihm
vor den Augen . . .
Doch da — da war schon ein anderes, ein ganz neues
Bild. Am Strande eines breiten, reißenden Stromes lag
wieder der Greis. Aus dem Boden des Asers quoll Waffer,
floß auf den Liegenden zu, feuchtete seine Kleider — auch
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Was gehthiervor?
Etne dunkle Geschichke von Geha
Aber er hat's gleich satt gekriegt, hat er erzählt."
— „Freilich, — er hat ja 'nen Ball in den Mund bekommen."
Sebaldus Wallhofers Tag
war anstrengend, allzu an-
strengend gewesen — nerven-
zerrüttend selbst für einen ge-
hetztenGroßstadtmenschen. And
jetzt, mitten in der Atempause
der Erholung, die Sebaldus sich
gönnte, wurde es plötzlich dun-
kel vor seinen Augen, die noch
eben hungrig ins Licht geblickt
hatten.
Sonderbar: Sebaldus sühl-
te, daß ihn das eigentlich gar
nicht beunruhigte. Er kannte
das. Er führte diesen Augen-
blick des Nicht-mehr-sehen-kön-
nens sogaroft selbst herbei,gern
und mit einer gewiffen Leiden-
schastlichkeit. Denn er wußte,
daß dieser Moment des voll-
ständigen Versinkens ins Dun°
kel nur wenige Sekunden zu
dauern Pflegte. And dann —
dann zauberte ein Lichtstrahl,
der jäh in die seine Augen um-
lastende Finsternis griff, ihm
Bilder vor— Bilder, Gestalten,
Visionen, so groß, so schön, so
phantastisch, wie sie dem All-
tagsdasein selbst nie geschenkt
wurden.
Auch heute schloß Sebaldus
beseligt die Augen, als er das
geliebte Dunkel fühlte. And
dann öffnete er sie wieder, um
in das lichte Abendland seiner
Sehnsucht zu blicken. Aber da
— was war das? Sebaldus
sühlte, daß er heute etwas An-
erhörtes, etwas Niegeschautes
sehen würde,etwas, vondem er
nie gewußthatte, daß es ihm noch einmal beschieden sein könnte.
Wohl waren es wieder die ihm so liebgewordenen,
wohlbekannten Gestalten, die immer die Erlebnisse seiner
Abende gewesen waren. Wohl erklang wieder die zarte oder
rauschende Musik, die immer ihr Erscheinen zu begleiten
pflegte. Aber wie anders gaben sie sich heute! Da kettete
ein Greis mit hartem Griff seiner knöchernen Land die wehr-
losen Finger zweier junger Menschen ineinander — und
lächelte hinterhältig. Aber waren sie denn wehrlos, die bei-
den? Sieh, noch eben sahen sie so ernst aus — jetzt lächeln sie
siegesgewiß. And sie beginnen zu ziehen, zu zerren mit ver-
einten Kräften — hierhin der Iüngling, dorthin die Iungfrau.
Sebaldus fiebert mit. Zieht! zerrt! — schon lockert sich der
Griffder knochigen Greisenkrallen, sie versagen vor der junqen
Kraft — da — sie sind frei! I!
„Warum wollte er sie aber eigentlich fesseln?" wollte sich
Sebaldus fragen. Doch er kam nicht mehr dazu. Neue
Szenen zauberten stch vor ihm auf. Das hinterhältige Lä-
cheln des Greises wandelte sich langsam zu tiefem Ernst —
und dann, als die beiden ihre Freiheit mit einem langen
Kusse begrüßten, zu furchtbarer Wut. Mit finsterem Ge-
sicht schritt der Greis — sein oder ihr Vater anscheinend —
rückwärts und verschwand durch eine offene Tür . . .
Aufs neue wurde Sebaldus überrascht. Die beiden jungen
Freunde seiner Phantasie trennten sich, obgleich sie sich doch
wohl liebten... Sie blieb, er ging. Er konnte seine Vlicke
nicht von ihr lösen, aber er mußte wohl gehen. Sehnend
streckte er, rückwärts gewandt, die Lände nach ihr aus, wie
sie nach ihm. And dann öffnete er ganz langsam, ganz sorg-
sam eine Tür — trat hinaus — steckte noch einmal den Kopf
durch den Spalt — lächelte ihr noch einmal zu — und schloß
hastig die Pforte... Welch unheimliches Geschick war es
nur, das sie auseinanderriß? Sebaldus wußte es nicht.
Aber es griff auch ihm weh ans Lerz. Tränen umflorten
seinen starr geradeaus gerichteten Blick. Es flimmerte ihm
vor den Augen . . .
Doch da — da war schon ein anderes, ein ganz neues
Bild. Am Strande eines breiten, reißenden Stromes lag
wieder der Greis. Aus dem Boden des Asers quoll Waffer,
floß auf den Liegenden zu, feuchtete seine Kleider — auch
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