Erschwerend
Grützfinks Einreise nach Italien
Von Peter Robinson
Vielleicht hieß er auch anders, etwa Grüt-
zing oder Klitzing oder so ähnlich, denn seine
Visitenkarte hat er mir nicht gegeben, und
ich habe auch seinen Namen nicht geschrieben
gesehen, nur flüchtig gesprochen vernommen,
und da verhört man sich ja leicht. Aber Grütz-
fink gefiel mir von allen Möglichkeiten am besten
und Paßte auch gut zu ihm.
Ich saß in Pallanza im Casö Bolongaro,
von wo man nach Jsola bella hinübersehen kann,
wenn man Lust hat. Man soll es aber nicht
zu intensiv tun, denn sonst kommen Männer,
die sich anbieten, einen hinüber zu sahren, und
wenn man das nicht will, ist es sehr schwer,
sie davon zu überzeugen, und nachher sind sie
beleidigt und sehen einen empört an, als hätte
man eine durchaus gebotene Anstandspflicht
versäumt. Sie tun grade so, als hätten sie die
Zsola bella selber gemacht, eben erst, um einem
damit einen Gesallen zu tun, und jetzt wäre
man so unverschämt, es an der gebührenden
Erkenntlichkeit dafür fehlen zu lassen.
Da kam also Grützfink an, setzte sich an
meinen Tisch und bestellte sich auch einen Kaffee.
Der Kaffee ist dort gut, sogar sehr gut, aber
sie bringen ihn in Tassen, die schmutzig sind,
sogar sehr schmutzig. Ob es besser sei, guten
starken Kaffee in schmutzigen Tassen zu kriegen
oder schlechten schwachen in sauberen, — das
ist eine Frage, die jeder nach seiner Indivi-
dualität selber beantworten möge. Grützfink
gefiel jedenfalls zuerst die rings an der Außen-
fläche von den Spuren früheren Inhalts umringelte Tasse
nicht, aber dann nahm er doch einen tüchtigen Schluck und
machte ein zufriedenes Gesicht. Lr seufzte erleichtert auf,
als wäre er einer Erquickung und Stärkung sehr bedürftig
gewesen. Darauf kratzte er aber doch mit dem Nagel des
Zeigefingers ein bißchen an der Tasse herum. „Doll!" sagte
er und nickte mir zu. „Ia, das sind Brüder hier, das sind
dolle Brüder! Bei denen kann man was erleben. And ich
habe was erlebt, sage ich Ihnen. Sie haben mick nicht 'rin-
lassen wollen, die Brüder, — draußen hab' ich bleiben sollen.
Wenn ich das zu Lause erzähle,- da wird man sich wundern.
Sie würden sich auch wundern." — And da ich ihn erwartungs-
voll ansah und geneigt schien, mich zu wundern, erzählte mir
nun Grützfink die Geschichte.
„Also, wie gesagt, eigentlich sollte ich draußen sein,
noch in der Schweiz. Ich bin aber doch hineingekommen,
wie Sie sehen. Äeute Mittag bin ich hier angekommen,—
hineingeflitzt bin ich sozusagen. Da-" er zeigte über den
Platz nach dem Autohalteplatz — „da, sehen Sie das ganz
große graue Auto? Das mit den vier Neihen Sitzplätzen.
Sie können es von hier nicht lesen, aber es steht darauf:
Ninaldi. Wird wohl der Name des Anternehmers sein.
Klingt eigentlich beunruhigend, nicht wahr? Aber der Mann
ist gar kein Näuber, er ist sogar ziemlich billig. Sie können
mir's glauben: ich hätte auch zehnmal so viel für die Fahrt
bezahlt. Ich mußte doch hinein, — meine Frau ift nämlich
schon voraus, in Mailand, wo wir ein Zimmer bestellt hatten.
In einer Stunde geht das Schiff, da will ich hinüber nach
der anderen Seite; da soll so 'ne Kleinbahn nach Mackand
gehn. Na, meine Frau wird eine Freude haben, wenn ich
heute abend auftauche. Eine schöne Angst wird sie ausge-
— „Net amal Schneid hat er zum Einsteig'n,
der Lump! Dafür kriegt er die doppelte Tracht."
standen haben, wo ich geblieben bin. Na, und ich erst! Was
ich mich geärgert habe! Beinahe geplatzt bin ich. Und ge-
flucht habe ich, — auf diese Apfelsinen- und Maccaroni-
brüder. Noch nie in meinem Leben hab' ich so geflucht. Das
werden Sie verstehen können, nicht wahr? Aber ja: Sie
wissen ja noch gar nicht, wie die Sache war. Ich bin nämlich
noch ein bißchen konfus nach all der Aufregung. Also passen
Sie auf!
Die Geschichte hängt natürlich mit dem verfluchten
Visum zusammen. Ist ja eigentlich ein Blödsinn, daß man
das noch haben muß. Aber was kann der einfache Mensch
dagegen tun! Wie wir, meine Frau und ich, uns zu Lause
unsere Pässe besorgt haben, da hab' ich gemeint: Na, wir
nehmen natürlich nur das gewöhnliche Visum. Damit darf
man einmal reinfahren zu den Apselsinen- und Maccaroni-
brüdern und dann wieder'raus,und das genügt,mehr brauchen
wir nicht. War doch ganz richtig, nicht wahr?
Schön: sind wir also mit dem einfachen Visum abge-
fahren. In Luzern sind wir ausgestiegen und mit dem Schiff
über den Vierwaldstätter See gefahren. Den kann man
doch mitnehmen, nicht wahr? Das heißt: natürlich nicht wirk-
lich mitnehmen, haha! Ich wüßte gar nicht, was ich zu Lause
mit dem See anfangen sollte; mein Garten ist viel zu klein
für ihn. Aber man sagt doch so. Also mitnehmen-wegen
der Tellsplatte und all der Geschichten. Laben wir auch
alles schön gesehen. In Flüelen mußten wir dann wieder
in den Zug, und da hab' ich zu meiner Frau gemeint:
Weißt du, Lina, wir nehmen aber nicht den direkten Expreß-
zug, wir steigen in einen langsamen Zug, wenn er auch bloß
bis Chiasso geht. Der Expreßzug ist überfüllt, — was da
jetzt für Leute herumwimmeln! Der andere Zug ist nicht so
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Grützfinks Einreise nach Italien
Von Peter Robinson
Vielleicht hieß er auch anders, etwa Grüt-
zing oder Klitzing oder so ähnlich, denn seine
Visitenkarte hat er mir nicht gegeben, und
ich habe auch seinen Namen nicht geschrieben
gesehen, nur flüchtig gesprochen vernommen,
und da verhört man sich ja leicht. Aber Grütz-
fink gefiel mir von allen Möglichkeiten am besten
und Paßte auch gut zu ihm.
Ich saß in Pallanza im Casö Bolongaro,
von wo man nach Jsola bella hinübersehen kann,
wenn man Lust hat. Man soll es aber nicht
zu intensiv tun, denn sonst kommen Männer,
die sich anbieten, einen hinüber zu sahren, und
wenn man das nicht will, ist es sehr schwer,
sie davon zu überzeugen, und nachher sind sie
beleidigt und sehen einen empört an, als hätte
man eine durchaus gebotene Anstandspflicht
versäumt. Sie tun grade so, als hätten sie die
Zsola bella selber gemacht, eben erst, um einem
damit einen Gesallen zu tun, und jetzt wäre
man so unverschämt, es an der gebührenden
Erkenntlichkeit dafür fehlen zu lassen.
Da kam also Grützfink an, setzte sich an
meinen Tisch und bestellte sich auch einen Kaffee.
Der Kaffee ist dort gut, sogar sehr gut, aber
sie bringen ihn in Tassen, die schmutzig sind,
sogar sehr schmutzig. Ob es besser sei, guten
starken Kaffee in schmutzigen Tassen zu kriegen
oder schlechten schwachen in sauberen, — das
ist eine Frage, die jeder nach seiner Indivi-
dualität selber beantworten möge. Grützfink
gefiel jedenfalls zuerst die rings an der Außen-
fläche von den Spuren früheren Inhalts umringelte Tasse
nicht, aber dann nahm er doch einen tüchtigen Schluck und
machte ein zufriedenes Gesicht. Lr seufzte erleichtert auf,
als wäre er einer Erquickung und Stärkung sehr bedürftig
gewesen. Darauf kratzte er aber doch mit dem Nagel des
Zeigefingers ein bißchen an der Tasse herum. „Doll!" sagte
er und nickte mir zu. „Ia, das sind Brüder hier, das sind
dolle Brüder! Bei denen kann man was erleben. And ich
habe was erlebt, sage ich Ihnen. Sie haben mick nicht 'rin-
lassen wollen, die Brüder, — draußen hab' ich bleiben sollen.
Wenn ich das zu Lause erzähle,- da wird man sich wundern.
Sie würden sich auch wundern." — And da ich ihn erwartungs-
voll ansah und geneigt schien, mich zu wundern, erzählte mir
nun Grützfink die Geschichte.
„Also, wie gesagt, eigentlich sollte ich draußen sein,
noch in der Schweiz. Ich bin aber doch hineingekommen,
wie Sie sehen. Äeute Mittag bin ich hier angekommen,—
hineingeflitzt bin ich sozusagen. Da-" er zeigte über den
Platz nach dem Autohalteplatz — „da, sehen Sie das ganz
große graue Auto? Das mit den vier Neihen Sitzplätzen.
Sie können es von hier nicht lesen, aber es steht darauf:
Ninaldi. Wird wohl der Name des Anternehmers sein.
Klingt eigentlich beunruhigend, nicht wahr? Aber der Mann
ist gar kein Näuber, er ist sogar ziemlich billig. Sie können
mir's glauben: ich hätte auch zehnmal so viel für die Fahrt
bezahlt. Ich mußte doch hinein, — meine Frau ift nämlich
schon voraus, in Mailand, wo wir ein Zimmer bestellt hatten.
In einer Stunde geht das Schiff, da will ich hinüber nach
der anderen Seite; da soll so 'ne Kleinbahn nach Mackand
gehn. Na, meine Frau wird eine Freude haben, wenn ich
heute abend auftauche. Eine schöne Angst wird sie ausge-
— „Net amal Schneid hat er zum Einsteig'n,
der Lump! Dafür kriegt er die doppelte Tracht."
standen haben, wo ich geblieben bin. Na, und ich erst! Was
ich mich geärgert habe! Beinahe geplatzt bin ich. Und ge-
flucht habe ich, — auf diese Apfelsinen- und Maccaroni-
brüder. Noch nie in meinem Leben hab' ich so geflucht. Das
werden Sie verstehen können, nicht wahr? Aber ja: Sie
wissen ja noch gar nicht, wie die Sache war. Ich bin nämlich
noch ein bißchen konfus nach all der Aufregung. Also passen
Sie auf!
Die Geschichte hängt natürlich mit dem verfluchten
Visum zusammen. Ist ja eigentlich ein Blödsinn, daß man
das noch haben muß. Aber was kann der einfache Mensch
dagegen tun! Wie wir, meine Frau und ich, uns zu Lause
unsere Pässe besorgt haben, da hab' ich gemeint: Na, wir
nehmen natürlich nur das gewöhnliche Visum. Damit darf
man einmal reinfahren zu den Apselsinen- und Maccaroni-
brüdern und dann wieder'raus,und das genügt,mehr brauchen
wir nicht. War doch ganz richtig, nicht wahr?
Schön: sind wir also mit dem einfachen Visum abge-
fahren. In Luzern sind wir ausgestiegen und mit dem Schiff
über den Vierwaldstätter See gefahren. Den kann man
doch mitnehmen, nicht wahr? Das heißt: natürlich nicht wirk-
lich mitnehmen, haha! Ich wüßte gar nicht, was ich zu Lause
mit dem See anfangen sollte; mein Garten ist viel zu klein
für ihn. Aber man sagt doch so. Also mitnehmen-wegen
der Tellsplatte und all der Geschichten. Laben wir auch
alles schön gesehen. In Flüelen mußten wir dann wieder
in den Zug, und da hab' ich zu meiner Frau gemeint:
Weißt du, Lina, wir nehmen aber nicht den direkten Expreß-
zug, wir steigen in einen langsamen Zug, wenn er auch bloß
bis Chiasso geht. Der Expreßzug ist überfüllt, — was da
jetzt für Leute herumwimmeln! Der andere Zug ist nicht so
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