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BesuchbeiDoktorPioseer Von Kari Ktnndt

Schon oft hatte ich gehöit, daß der bekannte Er-
kenntnistheoretiker Dr. Pioscer seltsame Lebensge-
wohnheiten habe. Wenn man ihn aber im alltäalichen
Leben sah — in der Trambahn, in der Bedürfnis-
anstalt oder in jenem kleinen Weinhaus, das sich trotz
anerkannt giftiger Weine, eines ungenießbaren Essens
und sehr unfreundlicher Bedienung großen Zuspruchs
erfreute, — wenn man ihn so heiter in sich versunken
sah, wie ein sast gutmütiges Lächeln die scharfen
Denkeraugen umkräuselte und der etwas zerkraut-
schmutzige Stutzbart die strenge Linie des scharsen
Mundes verwischte, so erschien er jedem Fremden
harmlos und sympathisch. Und das war er eigent-
lich auch.

Da man von ihm behauptete, daß er sich neben-
bei auch auf die Kunst der Astrologie — wie über-
haupt auf alle magischen Künste — trefflich verstünde
und ich gerade vor der schweren Entscheidung stand,
ob ich das Kognaktrinken oder meine schriftstellerische
Tätigkeit aufgeben sollte, machte ich von seiner mehr-
fach in vorgerückter Stunde und erwähntem Wein-
hause an mich ergangenen Einladung, ihn in seinem
Leim auszusuchen, Gebrauch, und zwar etwa um süns
Ahr nachmittags.

Er bewohnte — wie ich wußte — ein Atelier im
vierten Stock eines an der äußersten Stadtperipherie
gelegenen Äauses. Als ich es nach langem Suchen
gefunden hatte und die endlosen Treppen hinaufge-
stiegen war, fand ich an der einzig in Betracht kom-
menden Tür ein Schild mit der Aufschrift:

Dr. Schlangenbiß

Der frühere Inwohner Dr. Pioscer ist ver-

storben.

Briefschaften für ihn bitte als unbestellbar zurück
Das schreckte mich jedoch nicht ab, denn erstens hatte
ich ihn noch am Tage vorher höchst lebendig gesehen und
zweitens diesen Namen schon mehrfach als seinen Spitznamen
nennen gehört. Ich wollte läuten. An der Glocke aber war
wiederum ein Schild befestigt:

Glocke geht nicht. Besucher wollen sich äußere Auf-
fahrtsallee 1l3c I!I. Stock links bei Enhuber anmelden.

Diese Straße lag im entgegengesehten Stadtviertel und
war etwa zweieinhalb Stunden Wegs entfernt. So zog ich
es vor, energisch zu klopsen. Stille. Ich klopfte wieder —
mit jenem rhythmischen und doch Angeduld verratenden Klop-
fen des Stockes, mit dem Pariser Theaterbesucher den Anfang
der Vorstellung fordern. Darauf fiel oben eine Klappe
herunter, aus deren Innenseite zu lesen war:

Niemand zu Äause!

Woraus die Klappe wieder hochgezogen wurde. Ieht benutzte
ich diese Klappe als Türklopfer und pfiff — im Takt dazu
klappend — jene Arie aus Mozarts Figaro, die als Tafel-
musik im letzten Akt des Giovanni wiederkehrt und deren
Worte ich nie behalten kann. Wieder fiel eine Klappe —
diesmal in halber Mannshöhe — mit der Inschrift:

Wer ist da? Namen und Zweck des Besuchs auf Zettel
schreiben und in Büchse verschließen.

Anter der Klappe wurde ein kleiner Kasten sichtbar, in
dem eine Blechbüchse mit Deckel lag, wie ich sie als Ver-
packung von Stangen-Nasierseife kannte. Sie war an einer
Schnur befeftigt. Ich zog also eine Visitenkarte hervor und
schrieb daraus:

„Besuch erfolgt aufmehrfachefreundlicheAufforderung
zwecks erkenntniskritischer Diskussion und Loroskopstellung."


Schwerer Dienft

— „Mensch, wie seh'n Sie bloß aus?"

— „Ich war bei der Aufhebung
eines Damenspielklubs beteiligt."

Darauf verschwand die Büchse, fiel klappernd zu Boden
und wurde — scheinbar an langer Schnur — in die innere
Behausung gezogen.

Bei Oeffnen der Klappe hatte ich ein scharfes Geräusch
gehört, wie wenn man Lolz sägt — das jetzt verstummte.
Dann fiel wieder eine Klappe:

Bitte eintreten. Tür ist offen.

In der Tat bedurfte es nur eines Drucks auf die Klinke,
um die Tür zu öffnen, und die ganze Warterei wäre unnütz
gewesen — wenn nicht, wie ich wohl nicht zu Anrecht ver-
mutete, inzwischen ein anderer Verschluß durch eine weitere
sinnreiche Zugvorrichtung geöffnet worden war. Ich tappte
durch einen halbdunklen Gang, an deffen Wänden all diese
geheimen Schnüre liefen, und durfte endlich das Wohnge-
mach des Philosophen betreten.

Dr. Pioscer war gerade damit beschäftigt, die Beine
eines Tisches bis auf ein Minimum von wenigen Zentimetern
abzusägen. Auf dem Teppich lag ein zerbrochenes Kaffee-
geschirr.

„Können Sie mir vielleicht sagen," begann er in seiner
liebenswürdigen Art, jede Begrüßung als überflüssig über-
gehend, „warum man für menschlichen Gebrauch bestimmte
Tische so hochbeinig herstellt, daß jegliches Porzellan oder
Glas — wenn es hinunterfällt — unbedingt zerbrechen muß?
Sie sehen mich damit beschäftigt, diesem Aebelstand in sinn-
reichster Weise abzuhelsen. Setzen Sie sich."

Der Stuhl war von angenehmer Form — aber Sitz und
Lehne hart und aus glattem Lolz. Als ich ihn zurechtrückte,
(Fortsetzung Setke 183)

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