Iesn Osu!
Ein Gedenkblatt zu seinem 100. Todestage am 14. November 1925
Von Peter Nobinson
In der Schule haben sie uns nicht viel von dir erzählt,
mein Iean Paul. Was sollten sie auch; es wäre am Ende
doch gefährlich gewesen, Aufsatzthemen bei dir holen zu
wollen und damit manches schon sacht widersetzliche Nach-
denken aus dich aufmerksam zu machen, der du ja gerade
ein Freund der Iugend und der Illnglinge gewesen bist.
Nein, sie gingen mit einer kargen, fast warnenden Erwäh-
nung an dir vorbei. Vielleicht wußten sie auch selber gar
nicht so viel von dir. Oder sollte ihnen bekannt gewesen
sein, daß du, ein Sechzehnjähriger, auf dem Gymnasio zu
Los einmal deinen Konrektor mit guten Gründen so in die
Ecke disputiertest, daß der Mann sich schließlich nicht mehr
zu helfen wußte und aus der Klafse lief? Ist ihnen das
bekannt gewesen? Das würde sreilich manches erklären.
Aber du bist doch zu finden gewesen. Denn da wir,
lesegierig nach immer neuen Vänden greifend, in den Ver-
zeichniffen deutscher Bllcher spllrten, — mußten da nicht von
deinen Buchtiteln die seltsamen und so ausgegrllbelt kuriosen
locken wie das Futter bei den Leimruten, der Köder bei der
Angel, wie Balvrian als Katzenmagnet,-wofür du
sreilich noch Dutzende viel schönerer Vergleiche gefunden
hättest. „Des Feldpredigers Attila Schmelzle Reise nach
Flätz nebst zufälligen Fuknoten" — „Doktor Katzenbergers
Badereise" — „Des Lufischiffers Gianozzo Seebuch"-
das versprach allerlei, und es war zum Glück auch für ein
paar Groschen als Eigentum zu erstehen. So lernten wir
dich zuerst in deiner derberen Gestalt kennen, aber dem
Pennäler behagten dein männlicher Witz und deine derben
Zynismen ganz besonders, während die unerwartete Flllle
deiner Gelebrtheit und deine Zickzacksprllnge auf allen Ge-
bieten des Wiffens ihn mit höchstem Nespekt erfllllten. Es
war aber auch bei diesen Anfängen schon zu spllren, daß
du noch ganz andere Aeberraschungen bringen würdest, daß
du fllr dein Spiel noch viele Register hättest und recht ans
L>erz zu greifen wüßtest, und daß hinter derersten erschloffenen
Lade am Ende ganz gewaltige Schatzkammern lägen. And
so wollten wir mehr von dir wissen.
Lange bereits warst du ein Stiefkind der Drucker und
der Buchhändler gewesen, und wenn wir den ganzen Schatz
auf einmal haben wollten, mußten wir uns schon beim An-
tiquar nach „Iean Pauls sämtlichen Werken" umsehen. Aber
wir sanden sie, die ganzen dreizehn dicken Bände, und sie
waren nicht einmal so teuer, und wir trugen, gern daran
schleppend, froh den ganzen Stapel auf einmal nach Lause.
And da hatten wir dich nun und konnten aus deinen weiten
Bezirken an deiner Land wandeln, über Blumenhügel und
in grllne Täler und manchmal auch auf steile Spitzen, daß
einem zuerst der Atem vergehen wollte. So lernten wir
98
dich kennen, und du wurdest unser Freund; aus deiner Ewig-
keit reichtest du uns die Land und sprachst zu uns: „Liebe
Seele, ich habe auch an dich gedacht, und ich bin dein
Freund, wiewohl nicht dein Bekannter gewesen."-
Aermlich gingst du in Leipzig umher, ein kllmmerlich
durch die Alltagsnot sich windender Student. Was sllr ein
Iubeltag muß das da sür dich gewesen sein, als der Gedanke
dir kam, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manu-
skript daraus zu machen! Aber wie hinter Wällen und
Bastionen, abgeschlossen in deiner großen Armut, fingst du
dein erstes Buch an, hattest dir eine aus tausend Bllchern
zusammengelesene Welt aufgebaut und zogst nun satirisch
gegen sie los, aus deinen Zettelkästen und Exzerpten, die
du schon in deinem vierzehnten Iahre begonnen, zum Aeber-
flusse gespeist, daß aus allen Winkeln des Gehirns die Ein-
sälle hervorkrochen, und jede Aehnlichkeit, jede die Stamm-
mutter einer Familie von Metaphern, ihre unähnlichen
Kinder um sich sammelte, und gleich einer wandernden
Mäusefamilie ein Bild sich an den Schwanz des anderen
hing. Aber als du dann mit deinen „Grönländilchen Pro-
zessen" fertig warst, da wollte kein Verleger in Leipzig die
Kosten der Akten-Inrotulierung und Versendung an die
Welt tragen, und der arme Armenadookat, wie du dich
selbst tituliertest — du selber warst nämlich der Arme, fllr
den er advosserte — zog in mehr als einem Buchladen sei-
nen Aktenstock vergeblich heraus. 9nd als dann schließlich
der alte Buchhändler Friedrich Voß in Berlin freundlich
deiner beißigen Erstgeburt sich angenommen hatte, da woll-
ten die Leute nichts von ihr wissen; sis kauften dein Buch
nicht, und da dir nun von dem metallischen Räderwerk des
menschlichen Getriebes selbst das bescheidenste, die Groschen
und Kreuzer ganz und gar mangelten, und schimpfend die
Gläubiger dich anfielen, mußtest du aus dem Klein-Paris
flllchten, zurllck in dein heimatliches Fichtelgebirge.
Noch manches Iahr bist du dann bestaubt und unschein-
bar umhergegangen, der arme Kandidat Richter aus Lof
im Vogtlande, Schule haltend, aber in allen deinen freien
Stunden hinter deinem Schreibwerk her, selbft aus deinen
Wegen mit dem Left und dem Stift in der Land und deine
immerzu hunderten sich llberpurzelnden Einfälle nolierend. And
auf deinem Tische wuchsen die Stapel beschriebener Vlätter,
und du fllgtest Kapitel und Sektoren aneinander, ganz nach
deiner Laune im Zickzack schweifend, hier „soweit llber das
Gewölk des Lebens hinausdringend, daß die ganze äuüere
Welt mit ihren Wolfsgruben, Bemhäusern und Gewitter-
ableitern von weilem nur wie ein eingeschrumpftes Kinder-
gärtchen anzusehen war, dort aber wieder io geichickt in das
Gärtchen hinabgefallen und so einheimisch in einer Furche
Ein Gedenkblatt zu seinem 100. Todestage am 14. November 1925
Von Peter Nobinson
In der Schule haben sie uns nicht viel von dir erzählt,
mein Iean Paul. Was sollten sie auch; es wäre am Ende
doch gefährlich gewesen, Aufsatzthemen bei dir holen zu
wollen und damit manches schon sacht widersetzliche Nach-
denken aus dich aufmerksam zu machen, der du ja gerade
ein Freund der Iugend und der Illnglinge gewesen bist.
Nein, sie gingen mit einer kargen, fast warnenden Erwäh-
nung an dir vorbei. Vielleicht wußten sie auch selber gar
nicht so viel von dir. Oder sollte ihnen bekannt gewesen
sein, daß du, ein Sechzehnjähriger, auf dem Gymnasio zu
Los einmal deinen Konrektor mit guten Gründen so in die
Ecke disputiertest, daß der Mann sich schließlich nicht mehr
zu helfen wußte und aus der Klafse lief? Ist ihnen das
bekannt gewesen? Das würde sreilich manches erklären.
Aber du bist doch zu finden gewesen. Denn da wir,
lesegierig nach immer neuen Vänden greifend, in den Ver-
zeichniffen deutscher Bllcher spllrten, — mußten da nicht von
deinen Buchtiteln die seltsamen und so ausgegrllbelt kuriosen
locken wie das Futter bei den Leimruten, der Köder bei der
Angel, wie Balvrian als Katzenmagnet,-wofür du
sreilich noch Dutzende viel schönerer Vergleiche gefunden
hättest. „Des Feldpredigers Attila Schmelzle Reise nach
Flätz nebst zufälligen Fuknoten" — „Doktor Katzenbergers
Badereise" — „Des Lufischiffers Gianozzo Seebuch"-
das versprach allerlei, und es war zum Glück auch für ein
paar Groschen als Eigentum zu erstehen. So lernten wir
dich zuerst in deiner derberen Gestalt kennen, aber dem
Pennäler behagten dein männlicher Witz und deine derben
Zynismen ganz besonders, während die unerwartete Flllle
deiner Gelebrtheit und deine Zickzacksprllnge auf allen Ge-
bieten des Wiffens ihn mit höchstem Nespekt erfllllten. Es
war aber auch bei diesen Anfängen schon zu spllren, daß
du noch ganz andere Aeberraschungen bringen würdest, daß
du fllr dein Spiel noch viele Register hättest und recht ans
L>erz zu greifen wüßtest, und daß hinter derersten erschloffenen
Lade am Ende ganz gewaltige Schatzkammern lägen. And
so wollten wir mehr von dir wissen.
Lange bereits warst du ein Stiefkind der Drucker und
der Buchhändler gewesen, und wenn wir den ganzen Schatz
auf einmal haben wollten, mußten wir uns schon beim An-
tiquar nach „Iean Pauls sämtlichen Werken" umsehen. Aber
wir sanden sie, die ganzen dreizehn dicken Bände, und sie
waren nicht einmal so teuer, und wir trugen, gern daran
schleppend, froh den ganzen Stapel auf einmal nach Lause.
And da hatten wir dich nun und konnten aus deinen weiten
Bezirken an deiner Land wandeln, über Blumenhügel und
in grllne Täler und manchmal auch auf steile Spitzen, daß
einem zuerst der Atem vergehen wollte. So lernten wir
98
dich kennen, und du wurdest unser Freund; aus deiner Ewig-
keit reichtest du uns die Land und sprachst zu uns: „Liebe
Seele, ich habe auch an dich gedacht, und ich bin dein
Freund, wiewohl nicht dein Bekannter gewesen."-
Aermlich gingst du in Leipzig umher, ein kllmmerlich
durch die Alltagsnot sich windender Student. Was sllr ein
Iubeltag muß das da sür dich gewesen sein, als der Gedanke
dir kam, ein Buch Konzeptpapier zu nehmen und ein Manu-
skript daraus zu machen! Aber wie hinter Wällen und
Bastionen, abgeschlossen in deiner großen Armut, fingst du
dein erstes Buch an, hattest dir eine aus tausend Bllchern
zusammengelesene Welt aufgebaut und zogst nun satirisch
gegen sie los, aus deinen Zettelkästen und Exzerpten, die
du schon in deinem vierzehnten Iahre begonnen, zum Aeber-
flusse gespeist, daß aus allen Winkeln des Gehirns die Ein-
sälle hervorkrochen, und jede Aehnlichkeit, jede die Stamm-
mutter einer Familie von Metaphern, ihre unähnlichen
Kinder um sich sammelte, und gleich einer wandernden
Mäusefamilie ein Bild sich an den Schwanz des anderen
hing. Aber als du dann mit deinen „Grönländilchen Pro-
zessen" fertig warst, da wollte kein Verleger in Leipzig die
Kosten der Akten-Inrotulierung und Versendung an die
Welt tragen, und der arme Armenadookat, wie du dich
selbst tituliertest — du selber warst nämlich der Arme, fllr
den er advosserte — zog in mehr als einem Buchladen sei-
nen Aktenstock vergeblich heraus. 9nd als dann schließlich
der alte Buchhändler Friedrich Voß in Berlin freundlich
deiner beißigen Erstgeburt sich angenommen hatte, da woll-
ten die Leute nichts von ihr wissen; sis kauften dein Buch
nicht, und da dir nun von dem metallischen Räderwerk des
menschlichen Getriebes selbst das bescheidenste, die Groschen
und Kreuzer ganz und gar mangelten, und schimpfend die
Gläubiger dich anfielen, mußtest du aus dem Klein-Paris
flllchten, zurllck in dein heimatliches Fichtelgebirge.
Noch manches Iahr bist du dann bestaubt und unschein-
bar umhergegangen, der arme Kandidat Richter aus Lof
im Vogtlande, Schule haltend, aber in allen deinen freien
Stunden hinter deinem Schreibwerk her, selbft aus deinen
Wegen mit dem Left und dem Stift in der Land und deine
immerzu hunderten sich llberpurzelnden Einfälle nolierend. And
auf deinem Tische wuchsen die Stapel beschriebener Vlätter,
und du fllgtest Kapitel und Sektoren aneinander, ganz nach
deiner Laune im Zickzack schweifend, hier „soweit llber das
Gewölk des Lebens hinausdringend, daß die ganze äuüere
Welt mit ihren Wolfsgruben, Bemhäusern und Gewitter-
ableitern von weilem nur wie ein eingeschrumpftes Kinder-
gärtchen anzusehen war, dort aber wieder io geichickt in das
Gärtchen hinabgefallen und so einheimisch in einer Furche