Dte Geschtchte des Stlvestergastes
same Arbeit zu lassen, — es würde noch einmal ein Anglück
geben. Nun, was nützen solche Mahnungen bei Männern,
die ein Ziel verfolgen! Wir arbeiteten weiter; wir ver-
trugen uns, immer abwechselnd. Llnd eines Tages kam dann
das Llnglück, das unsere gute Mutter immer befürchtet hatte.
Zunächft lag es an mir; ich muß gestehen, ich hatte da
wirklich einen Fehler bei unserer Arbeit gemacht. Mein
Bruder — er war übermäßig nervös, denn er hatte zwei
Nächte durchgearbeitet, und dann doch nutzlos, eben meines
Versehens wegen — mein Bruder Max-ich wollte
sagen: Maximilian geriet in furchtbare Wut. Anglücklicher
Weise hatte er grade ein Messer in der Land. Wie ein
Toller drang er auf mich ein, und dann-nun, meine
Lerren, was sich dann begab, können Sie ja aus der heute
noch sichtbaren Folge erraten."
Der fremde Mann beugte sich in den Schein des Ka-
minfeuers und fuhr mit dem Zeigefinger über die Narbe
auf seiner Stirn. Dann, nach einer kleinen Pause begreif-
licher Ergriffenheit, erzählte er weiter: „Nun, es hätte
schlimmer ablaufen können. Zch habe nur vier Wochen
lang krank gelegen. Mein Bruder bereute ties; versöhnt
reichten wir uns die Lände und versprachen einander, künf-
tig besonnen zu sein. Aber das genügte unserer Mutter
nicht. Sie fürchtete, und darin hatte sie recht, daß die un°
geheure Aufregung bei unserer Arbeit uns eines Tages doch
alle guten Vorsätze vergessen lassen, und es dann vielleicht zu
einem noch unheilvolleren Auftritt kommen möchte. Zhre
mütterliche Sorge und Liebe sah unsere Rettung nur in der
härtesten Maßregel, die sich denken ließ: in unserer völligen,
lebenslänglichen Trennung. „Es ist besser, daß ihr euch
für immer trennt," sprach sie, „als daß einer womöglich
das Verderben des andern werde. Zch würde nicht ruhig
sterben können, wenn ich fürchten nüißte, daß ihr noch ei»>
mal zusammenstoßen könntet. !lnd deshalb, meine Söhne,
muß ich es von euch verlangen: schwört mir, daß ihr auf
dieser Erde einander nie mehr begegnen werdetl"
Der fremde Mann hatte einen recht feierlichen Ton
angeschlagen, den er, in einer kurzen Pause, nachhallen ließ.
Dann redete er wieder leichter weiter. „Za, meine Lerren,
wir haben geschworen, mein Bruder und ich. Wir waren
damals auch beinahe überzeugt, daß es so am besten wäre.
Was unsere Arbeit anbetraf — nun, da war nach dieser
Katastrophe eine starke Entmutigung begreiflich. Wir ver-
loren das Vertrauen in die Sache, wir warfen sie fort und
gingen auch deshalb ganz gern auseinander. Sehr weit aus-
einander. Mein Bruder nahm andere private Arbeiten auf;
was mich anbetraf-nun ja, ich wurde Direktor einer
großen chemischen Fabrik."
„Alle Achtung l" brummte jemand dazwischen, und das
war Konsul Splittegarb.
„So vergingen fast 2 Zahre. Dann fing ich an, erst
zögernd, aber bald ganz fortgerissen, wieder mit dem alten,
einst zusammen mit meinem Bruder verfolgten Projekt
mich zu beschäftigen. Es gibt zweifellos eine Aebertragung
der Gedanken, meine Äerren. Mein Bruder tat das Gleiche
wie ich, und auch er fand, gleich mir, neue Möglichkeiten
und sichere Aussichten. Es war ein Iammer, daß wir nicht
gemeinsam wieder das Ziel verfolgen konnten. Aber wir
hatten ja geschworen, aus dieser Erde einander nie mehr zu
begegnen, und dieser Schwur durfte nicht gebrochen werden,
das wäre eine Versündigung an dem Andenken unserer guten,
inzwischen gestorbenen Mutter gewesen. Nein, das durften
wir nicht, aber wir lonnten einander schreiben. Ein reger
Briefwechsel begann. Doch was konnte das unermüdlichste
Schreiben bedeuten gegenüber der lebendigen Zusammen-
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same Arbeit zu lassen, — es würde noch einmal ein Anglück
geben. Nun, was nützen solche Mahnungen bei Männern,
die ein Ziel verfolgen! Wir arbeiteten weiter; wir ver-
trugen uns, immer abwechselnd. Llnd eines Tages kam dann
das Llnglück, das unsere gute Mutter immer befürchtet hatte.
Zunächft lag es an mir; ich muß gestehen, ich hatte da
wirklich einen Fehler bei unserer Arbeit gemacht. Mein
Bruder — er war übermäßig nervös, denn er hatte zwei
Nächte durchgearbeitet, und dann doch nutzlos, eben meines
Versehens wegen — mein Bruder Max-ich wollte
sagen: Maximilian geriet in furchtbare Wut. Anglücklicher
Weise hatte er grade ein Messer in der Land. Wie ein
Toller drang er auf mich ein, und dann-nun, meine
Lerren, was sich dann begab, können Sie ja aus der heute
noch sichtbaren Folge erraten."
Der fremde Mann beugte sich in den Schein des Ka-
minfeuers und fuhr mit dem Zeigefinger über die Narbe
auf seiner Stirn. Dann, nach einer kleinen Pause begreif-
licher Ergriffenheit, erzählte er weiter: „Nun, es hätte
schlimmer ablaufen können. Zch habe nur vier Wochen
lang krank gelegen. Mein Bruder bereute ties; versöhnt
reichten wir uns die Lände und versprachen einander, künf-
tig besonnen zu sein. Aber das genügte unserer Mutter
nicht. Sie fürchtete, und darin hatte sie recht, daß die un°
geheure Aufregung bei unserer Arbeit uns eines Tages doch
alle guten Vorsätze vergessen lassen, und es dann vielleicht zu
einem noch unheilvolleren Auftritt kommen möchte. Zhre
mütterliche Sorge und Liebe sah unsere Rettung nur in der
härtesten Maßregel, die sich denken ließ: in unserer völligen,
lebenslänglichen Trennung. „Es ist besser, daß ihr euch
für immer trennt," sprach sie, „als daß einer womöglich
das Verderben des andern werde. Zch würde nicht ruhig
sterben können, wenn ich fürchten nüißte, daß ihr noch ei»>
mal zusammenstoßen könntet. !lnd deshalb, meine Söhne,
muß ich es von euch verlangen: schwört mir, daß ihr auf
dieser Erde einander nie mehr begegnen werdetl"
Der fremde Mann hatte einen recht feierlichen Ton
angeschlagen, den er, in einer kurzen Pause, nachhallen ließ.
Dann redete er wieder leichter weiter. „Za, meine Lerren,
wir haben geschworen, mein Bruder und ich. Wir waren
damals auch beinahe überzeugt, daß es so am besten wäre.
Was unsere Arbeit anbetraf — nun, da war nach dieser
Katastrophe eine starke Entmutigung begreiflich. Wir ver-
loren das Vertrauen in die Sache, wir warfen sie fort und
gingen auch deshalb ganz gern auseinander. Sehr weit aus-
einander. Mein Bruder nahm andere private Arbeiten auf;
was mich anbetraf-nun ja, ich wurde Direktor einer
großen chemischen Fabrik."
„Alle Achtung l" brummte jemand dazwischen, und das
war Konsul Splittegarb.
„So vergingen fast 2 Zahre. Dann fing ich an, erst
zögernd, aber bald ganz fortgerissen, wieder mit dem alten,
einst zusammen mit meinem Bruder verfolgten Projekt
mich zu beschäftigen. Es gibt zweifellos eine Aebertragung
der Gedanken, meine Äerren. Mein Bruder tat das Gleiche
wie ich, und auch er fand, gleich mir, neue Möglichkeiten
und sichere Aussichten. Es war ein Iammer, daß wir nicht
gemeinsam wieder das Ziel verfolgen konnten. Aber wir
hatten ja geschworen, aus dieser Erde einander nie mehr zu
begegnen, und dieser Schwur durfte nicht gebrochen werden,
das wäre eine Versündigung an dem Andenken unserer guten,
inzwischen gestorbenen Mutter gewesen. Nein, das durften
wir nicht, aber wir lonnten einander schreiben. Ein reger
Briefwechsel begann. Doch was konnte das unermüdlichste
Schreiben bedeuten gegenüber der lebendigen Zusammen-
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