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Corbinian Obermair saß im Liofbräuhaus. Einige
Ichüchterne Fremde gingen von allen Seiten um ihn herum,
um ihn zu betrachten, deun Corbinian sah von allen Seiten
fast gleich aus.

„Wo de Wirschinija is, da is vorn, Ginder!" belehrte
der Kanzleisekretär Oehmichen aus Niesa seine Gefolgschaft.

Eorbiniai» war heute Abend — wie übrigens jeden Abend
mit soliden Grundsähen hergekommen, er hatte seiner
Trau versprochen, um 10 zu Äause zu sein. Widrigensalls
wäre sie mitgegangen. Da hatte Corbinian Obermair in
^rn sauren Apsel gebifsen und seine Seele mit dem Ver»
sprechen belastet. Ietzt nach der siebten Maß war er
öügellos genug, um sein Manneswort in den mit Zigarren-
rauch gesättigten Lofbräuhauswind zu schlagen. Eine kleine
Stütze gab ihm dabei der simstand, daß er als vorsorglicher
Politiker die Ahr zu Äause vergeffen hatte.

Cvrbinian dachte angestrengt nach, wie er gerne tat.
Zeiten waren das! Saxendi! Saxendi!

Dann unterbrach er seinen Gedankengang, um die et-
was hartleibige Virgina zu rollen, die nicht ziehen wollte.

„Der bin i!" sagte Corbinian und stopste das aufbe-
Zehrende Vorhemd hinter die Weste.

^ „Große Aufgaben harren unser," fuhr der §>err xort.
„Sie wiffen, was in der Welt vorgeht!"

„Saustall, Lerr Geheimrat!" flotz es Corbinian ganz
von selbst von den Lippen.

„Geheimer Nat! mein Lieber," vcrbefferte der fremde
Äerr.

„Js dös a Unterschied?"

„Aber selbstverständlich, Lerr Kommiffar."

„Zweg'n was nenne S' denn mi Kommiffar?

Die drei Lerren bestellten vier Flaschen Selters, wo-
raus Corbinian schloß, daß Sie aus Preußen sein müßten.
Der eine der Äerren lächelte nachsichtig-

„Belieben zu scherzen, Lerr Kommiffar! Corbmian
^bermair ist seit heute Staatskommissar zur Durchführung

des Alkoholverbotes, kurzweg Trockenlegungskommissar. Ich
habe die Ehre, Ihnen zu Ihrem Posten zu gratulieren."

Corbinian Obermair gab es einen Ruck.

„Teifi, Teifi!" murmelte er in den Schnauzbart. „Dös
is ja allerhand. Trockenlegungskommissar! Da legst di
nieder!"

Sie haben das Neferat über die volkswirtschaftlichen
Folgen der Trockenlegung. Es darf natürlich infolgc des
Stillftehens des Gär- und Braugewerbes, der Verödung
der Gast- und Vergnügungsstätten zu keiner plötzlichen
Arbeitslosigkeit kommen. Sie sind auserlesen, die Stimmen
der verschiedenen Berussvertretungen der interessierten
Kreise zu hören und Vorkehrungen gegen deren wirtschaft-
liche Notlage zu treffen. Bitte ins Konferenzzimmer!"

Corbinian Obermair fiel in zwei Persönlichkeiten aus-
einander. Er begriff es noch nicht, warum ihm das geschah.
Wie war er zu dieser hohen Würde gelangt? Was würde
seine Frau sagen? Auf jeden Fall hatte er nun das Recht,
länger als bis zehn auszubleiben.

And doch, und doch! Er sollte das Vaterland trocken
legen. Es ging ein Riß durch die bis dahin einheitliche Per-
sönlichkeit Obermairs. Zum ersten Mal erkannte er mit
voller Schärfe, daß es Weltanschauungen gab. Lofbräu
hieß die eine, Selters die andre, dazwischen war ein klaffen-
der Spalt. Aber das schlimme war, daß er jeht beide in
sich hatte, und die Kluft in ihm selbst klaffte. Corbinian spürte
die Qualen einer Bewußtseinsspaltung.

Weh im Lerzen, ergriff er eine Flasche Selters, denn
ein Staatstrockenlegungskommissar, begriff er, konnte nicht
bei einer Maß Bier Sitzungen abhalten, und begab sich in
der von dem Geheimen Rat gewiesenen Richtung in das
Sitzungszimmer.

„Aufi gehts!" ribf Corbinian und schlug mit der Land
auf den Tisch, denn er liebte in Staatsgeschäften schnelles
Äandeln.

Da öffneten sich fämtliche Türen, und herein schritten
etwa 16 Abordnungen, die alle auf einmal zu lamentieren
anfingen.

„Lerrschaft übereinand, seids stad!" herrschte Obermair.
„Könnts do net alle miteinand reden! Sie, komme S' mal

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