Zeichnungen von M. Lnold
Wie Senator Malovius sein eignes Trauerständchen anhörte
Von Dr. A. Wagner
Es lebten in der Lansestadt Lamburg im Iahre 18..
fünf ältere Lerren. Wohlgemerkt, ältere Lerren, nicht alte
Lerren, denn das zu sein, dagegen sträubten sie sich sehr.
Wcnn Senator Malovius dem Großkausmann Düsterbrok
vor dem Nachhausewegc aus der kleinen Weinkneipe „Zum
Grünen Krokodil" in den Gehpelz helfen wollte, dann
komplimentierten die beiden so lange umeinander herum,
bis die andern drei Lerren, die auf der Straße den Aus-
gang dieses Löflichkeitsduells abwarteten, mit dcn Stöcken
an die Scheiben klopsten.
„Wo denken Sie hin, Malovius," ereiferte sich Düster-
brok, „ich bin doch kein alter Mann!" und entriß sich der
helsendcn Land des Senators. Der aber suchte wiedcr
in hitzig ausbrechender Zuvorkommenheit den Mantelkragen
seines Kontrahenten zu erwischen, bis schließlich Düsterbrok
auf einen Tisch stieg und sagte: „Nun bleiben Sie aber
unten, sonst rnfe ich die Lasenpolizci! Gott sei Dank komme
ich noch allein in meincn Mantell"
Der Ausgang der Sache war dann immer der, daß
der Senator am Ende doch gebeten wurde, den widcr-
spenstigen Nockkragen zu zähmen und zu diesem Zwecke
auch auf den Tisch stieg.
Dauertc das Intermczzo gar zu lange, dann wurde
wohl von draußen ein Kurier hereingeschickt, entweder der
Reeder Burmann oder Konsul Döpenbrink, während der
Major a. D. v. Lotzberg meist draußen blieb und unge-
duldig, als erwartete er sein Bataillon, das Monokel
martialischer einklemmte, mit dem angeschossenen Bein
einige Evolutionen vollführte und die andern mit der Ahr
in der Land empfing.
Diese fünf älteren Lerren hatten vor Iahren zusammen
auf einer Schulbank gesessen, sich dann fast ein Leben lang
aus den Augen verloren und erst vor kurzem entdeckt, daß
sie alle wieder in Lamburg wohnten, um hier den Rest ihres
Lebcns in verdienter Behaglichkeit zu verbringen, und daß
sie immer noch gleichaltrig waren, und also Grund hatten,
sich zusammenzuschließeii.
Die süns Lerren verschmähten es, ihrem Bund einen
irgendwie hochtönenden Namen zn geben, sie wollten kein
Klub sein, sie wollten überhaupt keinen offiziellen Anstrich
haben. Ihre Zusammenkünfte im Privatzimmer des Grünen
Krokodils waren höchst harmlos, aber höchst geheim. Sie
wollten ganz unbeobachtet, ganz unter sich scin, und nie-
mand, — die Gattinnen nicht ausgenommen — kannte diesen
Ort ihrer wöchentlich einmal stattfindenden Tagungen. Die
einzige Gelegenheit, bei der sie offiziell und geschlossen aus-
traten, war ein alle zwei Monate wiederholtes Galasouper,
das sie sich gegenseitig gaben und zu dem auch Damen und
Gäste geladen wurden.
Da erlegten sich dann alle den Zwang des Frackes auf,
während der Major in der sorgsam gepslegten Galaunisorm
erstrahlte und mit blitzblank geputztem Monokel stählern
um sich sah.
Bei dem letzten dieserSoupers,das mit dem 60-Geburts-
tage des Senators zusammengefallen war, hatte die Gesell-
schastgegen EndederFeier,alsbereits derSektzurNeigeging,
spontan das Lied ,Noch sind die Tage der Roseitz aiigestimmt.
Das fiel etwas aus dem Rahmen dieser sonst so korrekten klei-
nen Festlichkeiten,hatte aber doch allgemeinAnklang gesunden.
Es war rührend zu sehen gewesen, mit welcher Be-
geisterung Reeder Biirmann und der Major v. Lotzberg
die stimmliche Führung in diesem Kantus übernahmen.
Eine Woche nach diesem Abend war es, daß die Lerren
im Grünen Krokodil beisammen saßen. Ob es nun am
Wetter lag, wie alle behaupteten, oder ob es irgendwie
mit dem eindrucksvollen Ereignis jenes 60. Geburtstages
zusammenhing, sie befanden sich in elegischer Stimmung.
Darum lehnten sich alle erwartungsvoll zurück, als Major
v. Lotzbcrg an sein Rotweinglas tingelte, die rechte Braue
über dem Monokel kokett kräuselte und sich mit allen Zeichen
einer bevorstehenden Rede erhob.
Gleich seine ersten Worten saßen, wie ein gutgeleiteter
Angriff an dcr schwächsten Stellc der seindlichen Stellung,
mitten im wunden Punkt dieser Zusammenkttnft.
„Noch sind die Tage der Rosen! Schwindel!" sagte er
und machte eine eindrucksvolle Pause. Belügen wir uns
nicht: die Tage dcr Rosen, Narzissen, Maiglöckchen und
ähnlicher Gewächse sind vvrüber. Ieder Mensch hat einen
natürlichen Feind: das Altern. Wirklich mit Erfolg anzu-
packen ist dieser Feind nicht, aber — sollte ich auch nur
über dic Macht einer Ameise gebieten, ich kämpfe!
Ich fordere euch alle auf, mit in die Reihe zu treten,
die vorläufig nur von mir allein gebildet wird, die Waffen
zu ergreifen und Front gegen den Feind zu machen. Die
Waffen aber, die ihr ergreifen sollt, heißen Frohsinn und
Tätigkeit. Ich sage, wir dürsen nicht die Aktivität dem
Leben gegenüber verlieren, nicht passive Mümmelgreise
werden, nein, wir müssen einen Zweck, ein Ziel, einen Sinn
für uns finden, wir müssen jugcndliche Gedanken in unsre
Lirne einlassen, wie man eine Schleuse hebt und frisches
Wasser sich in ein trocknes Bachbett ergießen läßt. Wer
jugendliche Gedanken hegt, kann nicht alt werden. And so
sordcre ich denn: aus mit der Schleuse! Erst dann hat es
Sinn, von den Tagen der Rosen zu singen."
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Wie Senator Malovius sein eignes Trauerständchen anhörte
Von Dr. A. Wagner
Es lebten in der Lansestadt Lamburg im Iahre 18..
fünf ältere Lerren. Wohlgemerkt, ältere Lerren, nicht alte
Lerren, denn das zu sein, dagegen sträubten sie sich sehr.
Wcnn Senator Malovius dem Großkausmann Düsterbrok
vor dem Nachhausewegc aus der kleinen Weinkneipe „Zum
Grünen Krokodil" in den Gehpelz helfen wollte, dann
komplimentierten die beiden so lange umeinander herum,
bis die andern drei Lerren, die auf der Straße den Aus-
gang dieses Löflichkeitsduells abwarteten, mit dcn Stöcken
an die Scheiben klopsten.
„Wo denken Sie hin, Malovius," ereiferte sich Düster-
brok, „ich bin doch kein alter Mann!" und entriß sich der
helsendcn Land des Senators. Der aber suchte wiedcr
in hitzig ausbrechender Zuvorkommenheit den Mantelkragen
seines Kontrahenten zu erwischen, bis schließlich Düsterbrok
auf einen Tisch stieg und sagte: „Nun bleiben Sie aber
unten, sonst rnfe ich die Lasenpolizci! Gott sei Dank komme
ich noch allein in meincn Mantell"
Der Ausgang der Sache war dann immer der, daß
der Senator am Ende doch gebeten wurde, den widcr-
spenstigen Nockkragen zu zähmen und zu diesem Zwecke
auch auf den Tisch stieg.
Dauertc das Intermczzo gar zu lange, dann wurde
wohl von draußen ein Kurier hereingeschickt, entweder der
Reeder Burmann oder Konsul Döpenbrink, während der
Major a. D. v. Lotzberg meist draußen blieb und unge-
duldig, als erwartete er sein Bataillon, das Monokel
martialischer einklemmte, mit dem angeschossenen Bein
einige Evolutionen vollführte und die andern mit der Ahr
in der Land empfing.
Diese fünf älteren Lerren hatten vor Iahren zusammen
auf einer Schulbank gesessen, sich dann fast ein Leben lang
aus den Augen verloren und erst vor kurzem entdeckt, daß
sie alle wieder in Lamburg wohnten, um hier den Rest ihres
Lebcns in verdienter Behaglichkeit zu verbringen, und daß
sie immer noch gleichaltrig waren, und also Grund hatten,
sich zusammenzuschließeii.
Die süns Lerren verschmähten es, ihrem Bund einen
irgendwie hochtönenden Namen zn geben, sie wollten kein
Klub sein, sie wollten überhaupt keinen offiziellen Anstrich
haben. Ihre Zusammenkünfte im Privatzimmer des Grünen
Krokodils waren höchst harmlos, aber höchst geheim. Sie
wollten ganz unbeobachtet, ganz unter sich scin, und nie-
mand, — die Gattinnen nicht ausgenommen — kannte diesen
Ort ihrer wöchentlich einmal stattfindenden Tagungen. Die
einzige Gelegenheit, bei der sie offiziell und geschlossen aus-
traten, war ein alle zwei Monate wiederholtes Galasouper,
das sie sich gegenseitig gaben und zu dem auch Damen und
Gäste geladen wurden.
Da erlegten sich dann alle den Zwang des Frackes auf,
während der Major in der sorgsam gepslegten Galaunisorm
erstrahlte und mit blitzblank geputztem Monokel stählern
um sich sah.
Bei dem letzten dieserSoupers,das mit dem 60-Geburts-
tage des Senators zusammengefallen war, hatte die Gesell-
schastgegen EndederFeier,alsbereits derSektzurNeigeging,
spontan das Lied ,Noch sind die Tage der Roseitz aiigestimmt.
Das fiel etwas aus dem Rahmen dieser sonst so korrekten klei-
nen Festlichkeiten,hatte aber doch allgemeinAnklang gesunden.
Es war rührend zu sehen gewesen, mit welcher Be-
geisterung Reeder Biirmann und der Major v. Lotzberg
die stimmliche Führung in diesem Kantus übernahmen.
Eine Woche nach diesem Abend war es, daß die Lerren
im Grünen Krokodil beisammen saßen. Ob es nun am
Wetter lag, wie alle behaupteten, oder ob es irgendwie
mit dem eindrucksvollen Ereignis jenes 60. Geburtstages
zusammenhing, sie befanden sich in elegischer Stimmung.
Darum lehnten sich alle erwartungsvoll zurück, als Major
v. Lotzbcrg an sein Rotweinglas tingelte, die rechte Braue
über dem Monokel kokett kräuselte und sich mit allen Zeichen
einer bevorstehenden Rede erhob.
Gleich seine ersten Worten saßen, wie ein gutgeleiteter
Angriff an dcr schwächsten Stellc der seindlichen Stellung,
mitten im wunden Punkt dieser Zusammenkttnft.
„Noch sind die Tage der Rosen! Schwindel!" sagte er
und machte eine eindrucksvolle Pause. Belügen wir uns
nicht: die Tage dcr Rosen, Narzissen, Maiglöckchen und
ähnlicher Gewächse sind vvrüber. Ieder Mensch hat einen
natürlichen Feind: das Altern. Wirklich mit Erfolg anzu-
packen ist dieser Feind nicht, aber — sollte ich auch nur
über dic Macht einer Ameise gebieten, ich kämpfe!
Ich fordere euch alle auf, mit in die Reihe zu treten,
die vorläufig nur von mir allein gebildet wird, die Waffen
zu ergreifen und Front gegen den Feind zu machen. Die
Waffen aber, die ihr ergreifen sollt, heißen Frohsinn und
Tätigkeit. Ich sage, wir dürsen nicht die Aktivität dem
Leben gegenüber verlieren, nicht passive Mümmelgreise
werden, nein, wir müssen einen Zweck, ein Ziel, einen Sinn
für uns finden, wir müssen jugcndliche Gedanken in unsre
Lirne einlassen, wie man eine Schleuse hebt und frisches
Wasser sich in ein trocknes Bachbett ergießen läßt. Wer
jugendliche Gedanken hegt, kann nicht alt werden. And so
sordcre ich denn: aus mit der Schleuse! Erst dann hat es
Sinn, von den Tagen der Rosen zu singen."
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