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Wle Senator Malovlus setn etgnes Trauersliindchen anhörle

Diese Rede, die für den Major ungewöhnlich lang war,
brachte ungcheure Erregung unter die älteren Kerren. Alle
redeten durcheinander, alle stimmten freudig zu, und die
eben noch so gedrückte Stimmung war plötzlich in hellen
Frohstnn umgeschlagen. Aus der allgemeinen Unruhe hob
sich die Stimme des Senators:

„Wir bitten um geeignete Vorschläge, 5oerr Majorl"

An diesem Abend war es, daß sich im Grünen Krokodil,
bei der siebenten Flasche Wein, die botanische und insekten-
kundige Gesellschaft konstituierte, zu deren Präses der Major
einstimmig gewählt wurde. Großkaufmann Düsterbrok ver-
ließ als Kassen- und Materialverwalter, Needer Burmann
als Schriftleiter und Archivar das Grüne Krokodil. Die
beiden andren waren nur gewöhnliche Mitgliedcr.

So hattcn denn nun die älteren Lerren ihren Sinn,
wie sich diw Major ausgedrückt hatte, und sie legtcn sich
zunächst höllisch ins Zeug. Archivar und Materialverwalter
gerieten in fieberhafte Tätigkeit. Jm Privatzimmer des
Grünen Krokodils wurde eine kleine Fachbibliothek ein-
gerichtet und das Forschungsmaterial deponiert, bestehend
aus sünf Votanisiertrommeln, ebensovielen Schmetterlings-
'wtzen, Kästen für die wissenschastlichen Sammlungen, Na°
deln zum Anspießen der Znsekten, die dem Verein zum
Opfer fallcn würden, und drei Riesenherbarien, wunder-
schön und dauerhast in schwarzen Kaliko gebunden und mit
goldncr Aufschrift versehen.

Ein eifriges Naturforschen begann. Alle Woche einmal
zog man in rorpors zu einer Exkursion in die Umgegend,
wv die Pflanzenwelt ohne Rücksicht auf Linnäs System
wild durcheinander wuchs, und die Insekten, nicht nach
Gattungen und Artcn geordnet, regellos durcheinander
krochen. Der Major konnte sich der Bemerkung nicht ent-
schlagen, daß tn der Natur eigentlich eine greuliche Un-
ordnung herrsche. Er hätte es passendcr und dem Zwecke
des Vereins angemcssener gesunden, wenn jede Klasse und
Art hübsch sür sich gelebt und ein bestimmtes Territorium
»icht überschrittcn hätte, etwa die Pterygoten auf dem
rechten, die Apterygoten aus dem linken Alstcrufer.

Kraut und Unkraut wanderte in die Votanisiertrommeln.
^armlose Lauskäfer wurden aus ihrem Wege angehalten
und mußten einen Vortrag des Majors über sich ergehen
kassen. Man sammelte sich um einen Tauscndsuß.

„Da hätten wir nun einen Myriopoden," begann dann
ber unermüdliche Präses cine wcitausholende Erklärung.

Jm Grünen Krokodil wurde eifrig mikroskopiert, Staub-
gefäße wurden ausgerupft und gezählt, und das Äerbarium
süllte stch. Auch Experimente fanden statt.

Ein §>ausen Moos, in dem man sogenannte Bärtier-
chen (Isrckigrsäs) entdeckt hatte, wurde unter ciner Käse-
glocke einer systematischen Austrocknung unterworfen. Da-
durch verfallen die Tierchen in eine Art Scheintod, aus
dem sie dann der Major durch Beseuchten wieder erwecken
wollte. An dies Experiment gedachte er sinnvolle Bemer-
kungen und Vergleiche, die fttnf älteren Äerren betreffend,
anzuknüpsen.

Nichtsdestotrotz griff nach einiger Zeit eine gewisse
Insekten- und Pflanzenmüdigkeit Platz. Das Treiben der
botanischen Gesellschaft war ruchbar geworden, und man
mußte die Schuld dem Major zuschrciben. Denn er war es,
der einzelne Mitglieder überredet hatte, gewisse Kulturen
mit nach Äause zu nehmen. So hatte Konsul Döpenbrink
eine Zucht von borliculs suriculsris, gewöhnlich Ohrwurm
genannt, und der Senator Malovius Larven von Isnebrio
rnolitor, gemeinhin unter dem Namen Mehlwürmer geschätzt,
zur besonderen Obhut anvertraut bekommen.

Die betreffenden Lerren sollten die Metamorphose be-
obachten und dann später darüber Bericht ablegen.

Nun waren sowohl die Mehl- als auch die Ohrwürmer
nicht genügend diszipliniert gewesen, um die ihnen angewie-
senen Plätze innezuhaltcn, sie hatten in den Wohnungen
Wanderungen unternommen und Paniken angerichtet.

Sofort trug das weibliche Element Opposition in die
Gemüter.

Es war nötig, eine außerordentliche Siyung anzube-
raumen. Eigcntlich nur der Major hielt die Ideale hoch.
Er hatte es leicht. Er war Iunggeselle und konnte sich also
in punkto Jnsekten Exzesse erlauben. Seine Steckenpferde
waren Leupserdchen.

Man einigte sich dahin, daß die Exkursionen, das
Schmetterlings- und Insektenfangen, die Vorträge in freier
Natur und vor allem die Äeimzüchtungen fortfallen sollten,
dafür sollten mchr Vorträge gehalten, mehr Theorie ge-
tricben und das Iserbarium durch freiwillige Beiträge be-
reichcrt werden.

Das war natürlich ganz gegen die Intentionen des
Majors.

Aber auch durch einen andern klmstand wurde diese
Sitzung denkwürdig. Die Mitglieder nämlich, die lange Zeit
den Notspohn des Grüncn Krokodils entbehrt hatten, taten
sich wieder einmal daran gütlich und in der Freude über
die abgeworfene Forschungslast wohl mehr, als es ihre
Gewohnheit war, und waren bald in angeregtester Stimmung.

Nur der Major, der seine Milch sv plöylich vor seinen
Augen gerinnen sah, trank sich in immer größeren Zorn
hinein, der sich schließlich in ciner Ansprache Luft machte.

„Mümmelgreise ihr," so schloß diese Ansprache, „die
ihr partout nicht jung bleiben wollt und des Äerzens Träg-
heit nicht liberwinden könnt, so laßt uns denn das gründen,
was eurer Geistesverfassung am meisten entspricht. Schreiten
wir zur Gründung cines Begräbnisvereins und zahlen wir
in eine Sterbekasse!"

slnter andcrn Llmständen wäre wohl dieser Vorschlag
als absurd zurückgewiesen worden, in der lebenslustigen
Laune aber, in der die Mitglicder sich hente Abend befanden,
wurde er mit Lalloh akzeptiert, wie es denn Augenblicke im
Leben gibt und es sind gerade die lebensbejahenden — in
denen dcr Gedanke an Vernichtung und Auflösung nichts
Anangenehmes hat.

So wurdc denn an diesem Llbend die einst so lebcndige
botanischc und insektcnkundige Gesellschaft in eine noch viel
lebendigere Begräbnisgesellschaft „Die Stillen im Lande"
umgewandelt. «Forlscyung Selte zs)

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