Katzers Weihnachtsbesuch Von Pet°r Robinson
Wer diese Geschichte gelesen hat, wird, sofern er
cin redlicher Mensch ist, weinen oder die §>ände vor Em-
pörung ballen oder mit den Zähnen vor Wut kuirschen, —
je nach seinem Temperamcnt. Wer aber besonders emp-
findlich ist, wird vielleicht gar beschließcn, der Welt den
Nücken zu kehren und in die Einsamkeit zu gehen, irgendwo
ein löüttchen sich zu bauen und dort, von Wurzel» sich
nährend (das tut man immer in solchem Falle, aber ich
mvchte wirklich wissen, was sür Wurzeln das eigentlich sein
niögen) mit den braven, unschuldigen Tierlein des Waldes
zusammen zu leben, — — um nie, nie wieder etwas mit
einer Menschheit zu tun zu haben, in der solche Gemein-
heit vorkommen konnte.
Nei» für sich genommen, war jene Gemeinheit zwar
nicht im höchsten Grade gräßlich; es hat immerhin schon
schlimmere Sachen gegeben. Aber im Zusammenhange mit
Weihnachten, dem Fest der Liebe, da man doch nur Gutes
tun und wahr und ehrlich gegen einander sein soll, bekommt
die Niedertracht, mit der eine gute Familie getäuscht und
brave Lerzen heimlich höhnisch begrinst und im stillen be-
meckert wurden, doch einen Zug in's Grauenhafte und et-
was auserlesen Teuflisches. Wirklich, es ist gar nicht zu
verstehen, wie ein Mensch grade zu Weihnachten einen so
schändlichen Betrug sich ausdenken konnte, — gegen Leute,
die ihm nie etwas Böses getan, die vielmehr seinen Weg
immer mit Noscn bestreut hatten. O, dieser Iulius
Kaher! Was für ein Gehirn muß der Kerl haben,
um solchc Vosheit zu crfinden, was für ein Lerz,
um fie dann mit Wonne zu gcnicßen!
Iulius Katzer ist Junggeselle. Verwandtschaft-
liche Beziehungen hat er in jener Großstadt, die ihn
zur Zeit der Geschichte unter ihre Einwohner zählen
mußte, nur als Vetter beziehungsweise haiber Onkel,
wobei die Familie Pöppel die Gegenseite bildete.
Paul Pöppel ivar Katzers Vcttcr; seine Frau mußte
das anerkenncn, und die drei Kindcr nannten Kaher
Onkel, — aber ohne jene große Begeisterung, die
einem tüchtigen Onkel entgegengebracht wird. Außer-
dem war noch bei Pöppels eine emsig im Äaushalt
wirkende, sehr nützliche Tante Nudolfine, die aber ge-
wöhnlich nur Tante Finchen genannt wurde. Für
diese war Kaher einfach: der Iulius.
Kaher Pflegte das verwandtschastliche Verhält-
nis, aber nur so, wie man etwa einen Obstbaum
pflegt, — er wollte nur Früchte haben. Pöppels
aber waren gutmütige Leute und hielten viel von
Familicnbandcn. Wie gesagt: sie bcstrcuten Katzers
Weg niit Nosen, -- was als Symbol zu nehmen ist
sür oftund gern gebotene Gastfreundschaft mit Bratcn
und Wein und Schnäpsen, mit Kaffee, Kuchen und
Zigarren und für manche andere Llufmerksamkeiten,
die ein Iunggesellendasein srcundlich erhellen können.
Kahers Gegenleistungen waren schwach, eigentlich
mehr von sormeller Art. Zu Weihnachten brachte
er ein paar kümmerliche Präsente, und die Kindcr
bekamen außerdem zu ihren Geburtstagen schlechte
Bonbons von ihm. Die Geburtstage der Erwachse-
nen aber ignorierte er. Dies geschähe aus Zartge-
fühl, behauptete er; man dürfe Erwachsene nicht an
den leider so schnellen Flug der Zeit erinnern, und
Geburtstage wären wie Meilensteine aus dem Wege
zum Ende. —
Auf eiumal aber erlitt das verwandtschaftliche
Verhältnis eine Trübung, ja, eine so starke Ver-
dunkelung, daß man einander gar nicht mehr kannte. Iulius
Katzer hatte sich sehr unschöu benommcn. Er hatte in
Freundeskreisen erzählt, Pöppels Iüngster, dcr dreijährigr
Kurt, wollte fich nicht recht entwickcln; das Kind schiene
idiotisch zu sein, und die Eltern sollten es lieber in eine
Anstalt tun. Pöppels erfuhren davon und waren mit Nccht
verletzt. Denn erstens war das gar nicht wahr; Kurtchcn
war zwar cin sehr stilles Kind, das wenig den Mund auf-
machte, außer zum Essen; er war vielleicht auch schwach be-
gabt, aber ein Jdiot war er nicht. !lnd zweitcns: selbst
Ivenn es wahr gewesen wäre, hätte Katzer es doch nicht
ausschreien dürfcn, dann hätte er aus venvandtschaftlichen
Nücksichten und überhaupt aus Zartgefühl darübcr schweigen
müsscn. Denn wohin käme die Welt, wenn man alle, die
Idioten sind, auch so nennen wollte! Da würde vieles in's
Wanken geraten: Staatsmänner würden sich in's Dunkel
verkriechen müssen, mancher Dichter nicht in die Akademie
berusen, manch Nobelpreis nicht verteilt wcrdcn können, —
und was sonst noch an ähnlichen Folgcn da wäre.
Paul Pöppel hatte Katzer danach zur Nede gestellt.
Es könnte wohl nicht wahr sein, was er da über eine
Rederei des Vetters gehört hätte, hatte cr gemeint und
dabci gehofft, Katzer würde schwören, die Geschichte wäre
Schwindel. And dann wäre alles in Ordnung gewesen. Aber
nein, der Vetter Iulius sagte ganz rauh, es stimmte schon,
und es täte ihm sehr leid, — nicht, daß er sowas erzählt
' „und wenn ich nicht bei dir bin, Liebste, dann um-
spinnen und umweben dich meine Gcdanken!" —
— „Du mußt dir wirklich abgewöhnen, Kurt, immer in
Geschäftsausdrücken aus der Textilbranche zu reden!"
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Wer diese Geschichte gelesen hat, wird, sofern er
cin redlicher Mensch ist, weinen oder die §>ände vor Em-
pörung ballen oder mit den Zähnen vor Wut kuirschen, —
je nach seinem Temperamcnt. Wer aber besonders emp-
findlich ist, wird vielleicht gar beschließcn, der Welt den
Nücken zu kehren und in die Einsamkeit zu gehen, irgendwo
ein löüttchen sich zu bauen und dort, von Wurzel» sich
nährend (das tut man immer in solchem Falle, aber ich
mvchte wirklich wissen, was sür Wurzeln das eigentlich sein
niögen) mit den braven, unschuldigen Tierlein des Waldes
zusammen zu leben, — — um nie, nie wieder etwas mit
einer Menschheit zu tun zu haben, in der solche Gemein-
heit vorkommen konnte.
Nei» für sich genommen, war jene Gemeinheit zwar
nicht im höchsten Grade gräßlich; es hat immerhin schon
schlimmere Sachen gegeben. Aber im Zusammenhange mit
Weihnachten, dem Fest der Liebe, da man doch nur Gutes
tun und wahr und ehrlich gegen einander sein soll, bekommt
die Niedertracht, mit der eine gute Familie getäuscht und
brave Lerzen heimlich höhnisch begrinst und im stillen be-
meckert wurden, doch einen Zug in's Grauenhafte und et-
was auserlesen Teuflisches. Wirklich, es ist gar nicht zu
verstehen, wie ein Mensch grade zu Weihnachten einen so
schändlichen Betrug sich ausdenken konnte, — gegen Leute,
die ihm nie etwas Böses getan, die vielmehr seinen Weg
immer mit Noscn bestreut hatten. O, dieser Iulius
Kaher! Was für ein Gehirn muß der Kerl haben,
um solchc Vosheit zu crfinden, was für ein Lerz,
um fie dann mit Wonne zu gcnicßen!
Iulius Katzer ist Junggeselle. Verwandtschaft-
liche Beziehungen hat er in jener Großstadt, die ihn
zur Zeit der Geschichte unter ihre Einwohner zählen
mußte, nur als Vetter beziehungsweise haiber Onkel,
wobei die Familie Pöppel die Gegenseite bildete.
Paul Pöppel ivar Katzers Vcttcr; seine Frau mußte
das anerkenncn, und die drei Kindcr nannten Kaher
Onkel, — aber ohne jene große Begeisterung, die
einem tüchtigen Onkel entgegengebracht wird. Außer-
dem war noch bei Pöppels eine emsig im Äaushalt
wirkende, sehr nützliche Tante Nudolfine, die aber ge-
wöhnlich nur Tante Finchen genannt wurde. Für
diese war Kaher einfach: der Iulius.
Kaher Pflegte das verwandtschastliche Verhält-
nis, aber nur so, wie man etwa einen Obstbaum
pflegt, — er wollte nur Früchte haben. Pöppels
aber waren gutmütige Leute und hielten viel von
Familicnbandcn. Wie gesagt: sie bcstrcuten Katzers
Weg niit Nosen, -- was als Symbol zu nehmen ist
sür oftund gern gebotene Gastfreundschaft mit Bratcn
und Wein und Schnäpsen, mit Kaffee, Kuchen und
Zigarren und für manche andere Llufmerksamkeiten,
die ein Iunggesellendasein srcundlich erhellen können.
Kahers Gegenleistungen waren schwach, eigentlich
mehr von sormeller Art. Zu Weihnachten brachte
er ein paar kümmerliche Präsente, und die Kindcr
bekamen außerdem zu ihren Geburtstagen schlechte
Bonbons von ihm. Die Geburtstage der Erwachse-
nen aber ignorierte er. Dies geschähe aus Zartge-
fühl, behauptete er; man dürfe Erwachsene nicht an
den leider so schnellen Flug der Zeit erinnern, und
Geburtstage wären wie Meilensteine aus dem Wege
zum Ende. —
Auf eiumal aber erlitt das verwandtschaftliche
Verhältnis eine Trübung, ja, eine so starke Ver-
dunkelung, daß man einander gar nicht mehr kannte. Iulius
Katzer hatte sich sehr unschöu benommcn. Er hatte in
Freundeskreisen erzählt, Pöppels Iüngster, dcr dreijährigr
Kurt, wollte fich nicht recht entwickcln; das Kind schiene
idiotisch zu sein, und die Eltern sollten es lieber in eine
Anstalt tun. Pöppels erfuhren davon und waren mit Nccht
verletzt. Denn erstens war das gar nicht wahr; Kurtchcn
war zwar cin sehr stilles Kind, das wenig den Mund auf-
machte, außer zum Essen; er war vielleicht auch schwach be-
gabt, aber ein Jdiot war er nicht. !lnd zweitcns: selbst
Ivenn es wahr gewesen wäre, hätte Katzer es doch nicht
ausschreien dürfcn, dann hätte er aus venvandtschaftlichen
Nücksichten und überhaupt aus Zartgefühl darübcr schweigen
müsscn. Denn wohin käme die Welt, wenn man alle, die
Idioten sind, auch so nennen wollte! Da würde vieles in's
Wanken geraten: Staatsmänner würden sich in's Dunkel
verkriechen müssen, mancher Dichter nicht in die Akademie
berusen, manch Nobelpreis nicht verteilt wcrdcn können, —
und was sonst noch an ähnlichen Folgcn da wäre.
Paul Pöppel hatte Katzer danach zur Nede gestellt.
Es könnte wohl nicht wahr sein, was er da über eine
Rederei des Vetters gehört hätte, hatte cr gemeint und
dabci gehofft, Katzer würde schwören, die Geschichte wäre
Schwindel. And dann wäre alles in Ordnung gewesen. Aber
nein, der Vetter Iulius sagte ganz rauh, es stimmte schon,
und es täte ihm sehr leid, — nicht, daß er sowas erzählt
' „und wenn ich nicht bei dir bin, Liebste, dann um-
spinnen und umweben dich meine Gcdanken!" —
— „Du mußt dir wirklich abgewöhnen, Kurt, immer in
Geschäftsausdrücken aus der Textilbranche zu reden!"
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