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Das Telephon

saurer Tonerde und einem gestörten Telephon allein zu sein.
Ich fühlte mich so grenzenlos einsam, daß ich mich nach
langen, inneren Kämpfen doch entschloß, den Apparat noch
einmal zu versuchen. Gerade wollte ich aushängen, da läu-
tete es schrill.

Freudig griff ich nach dem Äörer.

„5)ier ist Witwe Schmidt mit dt, Daineirwäsche, bitte
schicken Sie mir sofort 5 Dutzend Flanellunterröcke, 80Meter
Gummistrumpfband, 466 Sicherheitsnadeln und 16 Lüft
former Marke Lady!"

Zch war erschüttert.

„Frau Schmidt," ächzte ich ins Telephon, „Sie sind
falsch verbunden!"

„Limmel," rief Frau Schmidt, „sind Sie das schon
wieder? Kommt man denn von Ihnen nicht los?"

„Gute Frau," sagte ich sanst, „wir wollen uns nicht so
intim ausdrücken!"

„Wer ist denn eigentlich da? Sind Sie der §>err Zie-
genbutter?"

„Schraubenmuttcr, bitte!"

Frau Schmidt lachte, daß die Schallmembran vibrierte,
und ich brach das Gespräch ab. Wenn sich jemand über
meinen Namen lustig macht, bin ich sehr empfindlich.

Ich schloß die Augen, da läutete es wieder.

Frau Schmidt sagte: „Grüß dich Gott, liebe Susanne!
Ist es denn wahr, chaß Paulchen die Masern hat? Gib
dem Kind Kamillenklistiere, alle zwei Stunden!"

„Lier ist Schraubenmutter!" rief ich drohend. Frau
Schmidt verstummte.

Ich kroch in die äußerste Ecke meines Bettes. Wie ein
böses Tierstand das Telephon aus dem Tischchen und funkelte
mich an.

Nach füns Minuten klingelte es. Es klingelte überhaupt
in einem sort. Immer wieder keimte Äoffnung in mir auf,
immer wieder kam Frau Schmidt. Sie rief ihre ganze Sippe
an, und nach den ersten Worten schleuderte ich ihr meinen
Namen ins Gesicht, bis ich mich vor meinem eignen Namen
ekelte.

„Wie geht es Paulchen?" flötete Frau Schmidt. „Die
Klistierchen immer schön warm! Nicht wahr, Susannchen?"

Den ganzen Tag dies fade Gewäsch, das Bohren in
meinem Linterkopf und die vage Loffnung, doch noch mit
der Außenwelt in Kontakt zu kommen, war sehr aufreibend.

Auch Frau Schmidt wurde sachte konfus. Sie bestellte
beim Metzger ein doppeltbreitliegendes Numpsteak und bat
den Kolonialwarenhändler, er möchte ihr Schlackwurst mit
Äohlsaum schicken. In einer Konditorei erbat sie sich Äem-
denknöpfchen mit Schlagsahne.

Das war zum Irrsinnigwerden. Zwei blühende Men-
schen zerrütteten sich wegen einer mangelhaft gelegten Tele-
phonleitung.

Frau Schnridts Stimme versagte schon, als sie zum
siebzigsten Male nach Paulchen fragte. Ich sagte sehr häß-
liche Sachen in den Apparat.

Am ganz sicher zu gehen, ries ich alle Teilnehmer unter
L an. 250 waren es. Langsam bildeten sich Äühneraugen
an meiner Fingerkuppe.

250 mal meldete sich Frau Schmidt mit dt. Das brachte
mich zum Nasen. Ich schleuderte Schmähungen in den Trich-
ter. Ab und zu schlief ich vor Erschöpfung ein. Dann weckte
mich ein Klingelzeichen. Frau Schmidt gab die Äoffnung
nicht auf, doch noch Gebrüder Stoßborte zu erreichen und
die 5 Dutzend Flanellunterröcke zu bekommen.

Die Sache wurde immer bedrohlicher. Nicht allein, wenn
ich irgend eine Nummer anrief, nein, wenn ich bloß aus-
hängte oder auch nur den Apparat ansah, läutete es, und
Frau Schmidt meldete sich mit grauenhaster Stereotypie.
Ich hängte fortgesetzt aus und ein. Meine Nerven waren
angespannt wie Drahtseile und mußten jeden Augenblick
zerreißen.

Aber aufregen konnte ich mich nicht mehr. Alles hat
seine Grenzen. Völlig gebrochen weinte ich nur noch leise
in den Trichter.

Frau Schmidt am andern Ende der Leitung weinte
mit. Wir weinten uns telephonisch aus, bis der Morgen
graute. Da fragte sie mich, ob ich nicht auch der Ansicht
sei, daß das Telephon nicht in Ordnung wäre.

Ich sagte „Ia!"

Warum ich denn so schrecklich geweint habe?

„Ich bin ein unglücklicher Mensch," antwortete ich, „ich
habe statt unübersehbaren Nuhmes eine unübersehbare
Schwellung des Äinterhaupts erworben. Ich habe nichts
auf der Welt als das und den Anschluß an Sie!"

Frau Schmidt sagte: „Ach Gottchen!" und teilte mir
mit, daß sie meinetwegen ihren Laden geschlossen habe und
nun ununterbrochen mit mir telephonieren wolle.

Ich war tief gerührt.

„Frau Schmidt," rief ich, „verlaffen Sie mich nicht!
Bleiben Sie immer mit mir verbunden!"

Nun, alles geht vorüber. Ich genas und wurde wieder
Mensch. Aber ich hätte das nicht zu Frau Schmidt sagen
sollen. Es war das zweite salsche Wort. Ich wollte tele-
phonisch verbunden bleiben, sie aber konstruierte daraus ein
Eheversprechen. Als anständiger Mensch habe ich sie ge-
heiratet.

Sie versteht viel mehr als ich von Barchent und Gum-
miband. Sie hat den Ehrgeiz, mir beim Dichten zu helfen,
aber das führt zu nichts, denn es fallen ihr immer nur
Dinge aus ihrer Vranche ein.

Auf „nun" reimt sie „Kattun", auf die schönen Worte:
„Ich liebe deiner Augen schimmernde Emaille!" verlangt
sie, daß in der nächsten Zeile „Antertaille" kommt. Aus
„§>angen" oder „Bangen" sordert sie als korrespondieren-


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