Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Nähmaschine

Von Dr. A. W.

Bachkiesels hatten seit Menichengedenken eine Näh-
maschine mit Äandbetrieb. Es war eines der frühesten Er-
zeugnisse menschlicher Maschinenfabrikation. Wenn man
sie sah, staunte man, daß die physikalischen Kräste, als da
sind Schwungkraft und Äebelgesetze, sich nicht schämten, in
dem unzulänglichen Gestänge dieses guillotinenartigen Appa-
rates zu wirken, Frau Bachkiesel, die von der Geschichte
der Nähmaschinen leider keine allzu klare Vorstellung hatte,
war der Ansicht, daß ihre Maschine aus der Zeit der Kreuz-
züge stammte. Sie war eine Frau mit Instinkt, die Ma-
schine hatte etwas archaisches. Wenn Cäsar sie bei der
Belagerung von Stralsund ge-
habt hätte, hatte er lachen kön-
nen, denn er hätte durch einfache
Drehung am Äandrad die bösen
Germanen glatt nach Walhall
hinübernähen können. So gro-
tesk und hanebüchen war Bach-
kiesels Nähmaschine.

Wenn man sie drehte, fingen
eine Menge Ääkchen, Vor-
sprünge und Oesen sinnlos an
zu nicken oder wie toll hin und
her, aus und ab zu tanzen. In
gemefsenen Zwischenräumen er-
schien vorn unten eine Art Näh-
ahle.Manchmal nähte es. Wahr-
scheinlich ausdiesem Grundehieß
derApparat.Präzisiow. ZuZei-
ten öffnete Äerr Bachkiesel viele
Klappen und speiste den Mecha-
nismus mit Oel. Gierig soff das
alte Ding unglaubliche Mengen
von Oel, bis sie dicke Tropfen
schwitzte. Dann lief sie wieder.

Doch wenn sie sich zehn Zenti-
meter auf einer Naht entlang
gekaut hatte, war Dreck wieder
Trumpf.

Einmal brachte Äerr Bach-
kiesel einen Feinmechaniker aus
dem Athletenklub mit nach Äause.

Der nahm das Werk ausein-
ander und setzte es wieder zu-
sammen. Der Erfolg war un-
erhört. Was Generationen nicht
fertig gebracht hatten, dieser
Mechaniker brachte es zuwege:
die Maschine ging überhaupt
nicht mehr, es war, wie wenn
sie an Maul- und Klauenseuche
litte. Wenn Bachkiesels nähen
wollten, kommandierte Äerr
Bachkiesel eine Iuniorenriege
aus dem Athletenklub in seine
Wohnung,und vierdieserstarken
jungen Leute brachten das Rad
zu stoßenden Amdrehungen.

Iedesmal, wenn die Nadel
kam, brachen Bachkiesels in froh-
lockende Iubelruse aus, und
' nach dreistündiger Schwerarbeit

gingen die Iunioren mit heißgelaufenen Bizepsen
heim.

So kam es, daß man endlich den Einflüsterungen eines
gewiffen Äerrn Schwungrad zugänglich wurde. Dieser
Schwungrad, der eine rote Nase und eine Vertretung in
Nähmaschinen ausübte,lag seit zwanzig Iahren mitder Kart-
näckigkeit von chronisch wiederkehrenden Entzündungen
Frau Bachkiesel in den Ohren, von ihm eine Maschine zu
kaufen. Wenn der Flieder blühte, und wenn die Störche
von ihrer anstrengenden Tätigkeit auf Erholungsurlaub
nach Süden gondelteten, dann erschien Lerr Schwungrad

— „Ich rate Ihnen, Äerr Direktor, lassen Sie sich von mir 'ne Perücke machen! Dann
werden Sie nicht so oft 'nen Schnupfen kriegen."

— „Perücke? Nee-wer mag die Äaare früher auf dem Kops gehabt haben."

— „O, da habe ich jetzt ja das herrlichste Material! Erst gestern hat sicb eine reizende
junge Dame von mir 'nen Bubikopf schneiden lassen."

85
 
Annotationen