Don Carlos und der Troubadour
Von Peter Robinson
Direktor Baldrian, der Leiter des Stadttheaters der
betriebsamen, aber freundlichen Mittelstadt, gab während
der Karnevalszeit nur Stücke, die in der Gegenwart spiel-
ten. „Listorische Kostüme sehen die Leute jeht genug auf
ihren blödsinnigen Maskenbällen," sagte er. Daß er die
Maskenbälle blödsinnig nannte, war zu verstehen; er ver-
fluchte sie sogar und wäre ganz damit einverstanden ge°
wesen, wenn die Polizei sie verboten hätte. Denn die Mas-
kenbälle schädigten sein Geschäst und taten der Kunst Ab-
bruch; sie zogen die Leute vom Besuch des Theaters ab.
Aber sonst sührte Direktor Baldrian oft Kostümstücke
auf, zu denen natürlich auch die geschätzten Werke der Klas-
siker gehörten. Diese mußten hin und wieder auf dem
Spielplan stehen; da half nichts, das war erstens eine Ehren-
pflicht und zweitens eine der Voraussetzungen für den ihm
von der Stadt gezahlten Zuschuß. Ia, dieser Zuschuß war
vor einem Iahre noch erhöht worden durch einen Extra-
zuschuß zur Aufsrischung des Kostümbestandes grade für
die klassischen Stücke.
Diesmal nun schloß vor Karnevalsbeginn eine Reihe
der gewöhnlich um die Weihnachtszeit herum — weil das
Theatergeschäft dann sowieso schlechter ging — erledigten
klassischen Darbietungen mit einer schönen Aufführung des
„Don Carlos". Es war eine Leistung. Der „Den Carlos"
hat — Gustav Freytag hat sie genau gezählt — 5471
Verse; Direktor Baldrian ließ davon 3582 sprechen, und
das war eine anerkennenswerte Menge. Den Carlos
spielte Felix Bucha, ein tüchtiger und in der freundlichen
Mittelstadt große Bewunderung genießender jugendlicher
Leld. Er war aber schon, was freilich wenige wußten, in
der Mitte der Dreißig; auch hieß er eigentlich nicht, was
noch weniger Leute wußten, Bucha, sondern Bauch. Bei
Beginn seiner Bühnenlaufbahn hatte er seinen Namen durch
die geringfügige Arnstellung zweier Buchstaben wohllauten-
der gemacht. Außerdem paßte „Bauch" gar nicht zu ihm,
denn er war schlank, ja dünn, und schon hierin lag eine
Rechtfertigung der Namensänderung.
Felix Bucha — wirklich, der Rame klingt herrlich! —
war für die jungen Damen der betriebsamen aber freund-
lichen Mittelstadt ein sogenannter Abgott. Er schätzte das,
aber mehr als zu seinem Metier gehörig und dieses an-
genehm fördernd; rein als Mensch bildete er sich nicht ein-
mal viel darauf ein, und ziemlich handwerksmäßig erledigte
er deshalb den nicht unbeträchtlichen Versand von Bildern
seiner vorteilhaft durch photographische Kunst dargestellten
Person. Die Bilder wurden in meist recht schüchternen,
gewöhnlich in rosafarbenen Umschlägen steckenden Briefchen
von ihm erbeten; er packte sie dann immer in einen nüch-
ternen, grauen Amschlag und schrieb kurz dazu: „Mit freund-
lichem Dank sür kaum verdiente Anerkennung! Felix Bucha."
Einige Zeit nun vor der Don Carlos-Aufführung war
aus einem Erziehungsinstitut am Gestade des Genfer Sees
in die freundliche Mittelstadt Fräulein Ienny Grapentien
zurückgekehrt, die einzige Tochter des Äerrn Stadtrats
Grapentien, der im Äauptberuf Besitzer einer großen Äolz-
schneidemühle und einer der reichsten Männer der Stadt
war. Fräulein Ienny hatte eine Menge alter Freundinnen
wiedergefunden, die jetzt alle von Felix Bucha schwärmten
und Bilder mit seiner eigenen Anterschrift vorweisen konnten.
Sie mußte natürlich auch ein Bild haben, und deshalb
— „Alles bezecht sich, es ist ein Skandal, und man müßte dagegen einschreiten!"
— „Ach, laß doch, Otto; es kann halt nicht jeder soviel vertragen wie du."
100
Von Peter Robinson
Direktor Baldrian, der Leiter des Stadttheaters der
betriebsamen, aber freundlichen Mittelstadt, gab während
der Karnevalszeit nur Stücke, die in der Gegenwart spiel-
ten. „Listorische Kostüme sehen die Leute jeht genug auf
ihren blödsinnigen Maskenbällen," sagte er. Daß er die
Maskenbälle blödsinnig nannte, war zu verstehen; er ver-
fluchte sie sogar und wäre ganz damit einverstanden ge°
wesen, wenn die Polizei sie verboten hätte. Denn die Mas-
kenbälle schädigten sein Geschäst und taten der Kunst Ab-
bruch; sie zogen die Leute vom Besuch des Theaters ab.
Aber sonst sührte Direktor Baldrian oft Kostümstücke
auf, zu denen natürlich auch die geschätzten Werke der Klas-
siker gehörten. Diese mußten hin und wieder auf dem
Spielplan stehen; da half nichts, das war erstens eine Ehren-
pflicht und zweitens eine der Voraussetzungen für den ihm
von der Stadt gezahlten Zuschuß. Ia, dieser Zuschuß war
vor einem Iahre noch erhöht worden durch einen Extra-
zuschuß zur Aufsrischung des Kostümbestandes grade für
die klassischen Stücke.
Diesmal nun schloß vor Karnevalsbeginn eine Reihe
der gewöhnlich um die Weihnachtszeit herum — weil das
Theatergeschäft dann sowieso schlechter ging — erledigten
klassischen Darbietungen mit einer schönen Aufführung des
„Don Carlos". Es war eine Leistung. Der „Den Carlos"
hat — Gustav Freytag hat sie genau gezählt — 5471
Verse; Direktor Baldrian ließ davon 3582 sprechen, und
das war eine anerkennenswerte Menge. Den Carlos
spielte Felix Bucha, ein tüchtiger und in der freundlichen
Mittelstadt große Bewunderung genießender jugendlicher
Leld. Er war aber schon, was freilich wenige wußten, in
der Mitte der Dreißig; auch hieß er eigentlich nicht, was
noch weniger Leute wußten, Bucha, sondern Bauch. Bei
Beginn seiner Bühnenlaufbahn hatte er seinen Namen durch
die geringfügige Arnstellung zweier Buchstaben wohllauten-
der gemacht. Außerdem paßte „Bauch" gar nicht zu ihm,
denn er war schlank, ja dünn, und schon hierin lag eine
Rechtfertigung der Namensänderung.
Felix Bucha — wirklich, der Rame klingt herrlich! —
war für die jungen Damen der betriebsamen aber freund-
lichen Mittelstadt ein sogenannter Abgott. Er schätzte das,
aber mehr als zu seinem Metier gehörig und dieses an-
genehm fördernd; rein als Mensch bildete er sich nicht ein-
mal viel darauf ein, und ziemlich handwerksmäßig erledigte
er deshalb den nicht unbeträchtlichen Versand von Bildern
seiner vorteilhaft durch photographische Kunst dargestellten
Person. Die Bilder wurden in meist recht schüchternen,
gewöhnlich in rosafarbenen Umschlägen steckenden Briefchen
von ihm erbeten; er packte sie dann immer in einen nüch-
ternen, grauen Amschlag und schrieb kurz dazu: „Mit freund-
lichem Dank sür kaum verdiente Anerkennung! Felix Bucha."
Einige Zeit nun vor der Don Carlos-Aufführung war
aus einem Erziehungsinstitut am Gestade des Genfer Sees
in die freundliche Mittelstadt Fräulein Ienny Grapentien
zurückgekehrt, die einzige Tochter des Äerrn Stadtrats
Grapentien, der im Äauptberuf Besitzer einer großen Äolz-
schneidemühle und einer der reichsten Männer der Stadt
war. Fräulein Ienny hatte eine Menge alter Freundinnen
wiedergefunden, die jetzt alle von Felix Bucha schwärmten
und Bilder mit seiner eigenen Anterschrift vorweisen konnten.
Sie mußte natürlich auch ein Bild haben, und deshalb
— „Alles bezecht sich, es ist ein Skandal, und man müßte dagegen einschreiten!"
— „Ach, laß doch, Otto; es kann halt nicht jeder soviel vertragen wie du."
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