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Eln Lharakler

Von trttben Ahnungen erfüllt, betrat ich den verhäng-
nisvollen Teppich. Ich kam glttcklich hinauf und betrachtete
mir die Oertlichkeit. Er verschwand oben in einem hand-
breiten Spalt im Fußboden. Ich beobachtete diesen Spalt.
InimmergleicherGeschwindigkeitschluckte erjeht denTeppich
in sich hinein. Sonja war im ganzen Warenhaus nicht zu
finden, es war ihr sicher ein Unglttck zugestoßen.

Es wurde mir schrecklich klar: sie hatte sich mit dem
hohen Stöckelabsatz im Teppich verhakt und war durch den
heimtttckischen Spalt hinab in eine ungewisse Tiefe gezogen
worden. Unmöglich, daß jemand heil durch dieserr Spalt
kam. Mir schauderte, und ich ging in die Abteilung fttr
schwarze Kleidung, um mir passende Sachen zu kausen. Ich
erzählte der Verkäuseriir mein Mißgeschick, und sie riet mir,
einen schwarzen Trauerflor zu nehmen, er koste nur 75 Pfen-
nige, und sie sei überzeugt, daß meine Sonja nicht tot sei.

Das war ein kluges Mädchen. Drei Tage später traf
ich Sonja auf der Straße, am Arme eines jungen Mannes.
Ich stellte sie, aber ich hatte mich durch eine frappante
Aehnlichkeit täuschen lassen, denn diese junge Dame gab
aus Vesragen an, daß sie mit dem Äerrn verlobt sei. Das
war ausschlaggebend, denn meine Sonja konnte ja nicht
mit jemand anderem verlobt sein!"

Porphyrius schnaubte: „Natttrlich war sie es doch!"

„Ia, sie war es doch! Ich entlarvte sie sehr geschickt
mittels Indizien. Ich habe nämlich vergessen, zu erwähnen,
daß Sonja einige besondere Kennzeichen hatte. Erstens einen
bohnenförmigen Leberfleck auf der rechten Schulter, zwei-

tens einen blauen Knoten am linken Ohrläppchen, drittens
stieß sie mit der Zunge an, und letztens trug sie ein Glas-
auge rechts.

Ich bin in solchen Fällen sehr energisch. Ich fixierte
den jungen Mann scharf und klopfte ihr dabei mit dem
Taschenmesser ans Glasauge. Da konnte sie nicht länger
leugnen, und dann habe ich die Verlobung sofort gelöst.
Wagen Sie immer noch zu behaupten, daß ich keinen Cha-
rakter habe?"

Porphyrius betrachtete meine linke Äand und fragte
mißtrauisch: „Wo haben Sie eigentlich diesen Äaufen graue
Wolle plötzlich her?"

Dann nieste er siebenmal und sagte: „Ich nehme alles
zurttck, was ich ttber Ihren Charakter gesagt habe. Aber
wissen Sie, was ich schon dachte? Ich dachte, Sie hätten
sich in falscher Sentimentalität verleiten laffen, das Mäd
chen, das ttbrigens eine Blttte ihres Geschlechtes sein muß,
wieder in Gnaden auszunehmen. Danken Sie Gott, daß
Sie nun wieder frei sind!"

„Ich weiß gar nicht, was Sie fttr einen Unsinn reden!"
sagte ich. „Sie haben die ganze Sache nicht verstanden,
wie mir scheint."

Porphyriusersaßtemitraschem Griffeinen grauenWoll-
faden, der von meiner linken Land in seinen rechten Stiesel
hinüberlies. Er hatte rechts keinen Sportstrumpf mehr an.

„Nun, Sie haben doch die Verlobung rttckgängig ge-
macht?" sragte er sinnend.

„Selbstverständlich! Aber doch nicht meine, sondern
die des jungen Mannes!"


Lin junger Dichter hatte sein erstes.
Jhm wohl gefallendes Stück vollbrachl.
„Berlin sei die Stätte, der du bescherst es?"

äo hat er bei sich selber gedacht.

Und also hat er, nämlich von prag aus,
5ein Tllanuskript an die Spree geschickt.
Er harrte hoffend wohl manchen
Tag aus, —

Oann aber hat er es wieder erblickl.

Tat eines jungen Dichlers

Oas konnte der junge Oichter nicht fasseu.
Er fuhr sofort von prag nach Berlin,
Wo er dem Oramaturgen mit blassen,
Ooch immer noch hoffenden Zügen erschien.
Oer Dramaturg war sanft wie ein Engel.
Er sagte, das Stück wäre wirklich
nicht schlecht,

Ooch iminerhin: es hätte auch Rkängel :
Es aufzuführen, das ginge nicht recht.

Oer junge Dichter, vom Kopf bis zur 5ohle
Erschüttert, zog mit bebender Hand
Heraus die schon geladne pistole
Und hat sie gegen sich abgebrannt.

Lin Trauerspiel hätt' es beinahe gegeben -,
Zum Glück war die Wunde nicht
allzu schwer:

Oer junge Dichter wird weiter noch leben.
Doch tadeln muh man ihn freilich sehr.

Was sind das heuzutage sür Sachen!
Wusz denn beim ersien Enttäuschungsfall
Sofort der scharfe Revolver krachen?

Hol' wieder den pegasus aus dem 5tall.
poet, und versuche, weiter zu reiteu.
kommt auch dein Stück nicht an's
Rampenlicht, —

Wer wird denn zu solcher Tat gleich schreiten?
5olch eine Aufführung paszt sich nicht?

Bedenkt das, ihr jungen Dichtersleute,
Und meistert gefälligst Enttäuschung und Zorn?
5chaut auf die alten Oichter von heute,
Oie werfen niemals die Flinte ins korn .
5ie dichten manch miserables Schandwerk,
Und haben sie zehnmal Erfolg nicht
und Glück

5ie bleiben munter bei ihrem Handwerk
Und schreiben einfach ein neues 5tück.

Peter Robinsou
 
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