Zl'ichnung vmi O. Wedeiniiei)er
Lothar, der Glückspieler
Vor sechs Tagen sah ich ihn
wiederum. Er hatte Dackelfalten
in der treuherzigen Stirn und
tat den Mund auf und sagte:
„Wie soll ich . ..." Von Ent-
sehen gepackt hing ich mich — ganz
gegen meine Prinzipien — an ein
Automobil und entkam.
Vor sünf Tagen spielte sich fast
die gleiche Szene ab. Nur hatte
Lothar nicht allein Dackelstirnsal-
ten, sondern auch eine direkt fluo-
reszierende Gesichtsfarbe. Seine
Kollektion Sommersprofsen leuch
tete hellgelb und lieblich wie die
Sternlein am Äimmelszelt. Schon
tat er den Mund auf, da retkete
mich Lothars eigene Gattin, die
auf ihn zusteuerte und ihm mehr
rauh als sreundschaftlich riet,
seine Maulaffen lieber im Büro
feilzuhalten. Lothars Solnmer-
sprossen wurden wutrot wie das
Astrallicht des Mars. Ehe sein
Grimm Ausdrucksformen gefun
den hatte, war ich im Gewühl
untergetaucht.
Vor vier Tagen wagte ich nicht
auszugehen, aber vor drei Tagen
ereilte mich das Schwert der
Nemesis. Ich wollte in eine
Straßenbahn einsteigen. Da merk-
te ich, daß jemand in meine Fuß
stapfen trat, bevor ich sie ver-
lassen hatte. Ich liebe das nicht,
denn es schmerzt. Da ich keine
entschuldigende Aeußerung hörte,
nicht einmal das mannhafte Wort
„hopla", drehte ich mich um und
blickte — in den Sommersprossen-
sternhimmel meines Freundes Lo-
thar, in dessen seelenvolle Dackelaugen.
„Wie fchön ..", sagte Lothar. Ich starrte illusionszer-
störend aus die Nebelflecke, die die rüstige Nachfolge Lo-
thars aus meinen Lackschuhen hinterlassen hatte. Trohdein
- „Der
gespannt.
- „Aber dem Gaul fehlt doch nichts!"
- „Na ja — daß er wenigstens alle Nippen hat, sieht man.
letzte Akt spielt nach zwanzig Iahren; ich bin
wie sich bis dahin die Mode geändert haben wird!"
sagte Lothar noch einmal: „Wie schön, daß ich dich getroffen
habe. Ich will auch mit der Tram fahren, ich beabsichtige
sowieso, dich etwas zu fragen. Du hast neulich die Aeuße-
rung getan, ich solle behufs Gehaltsaufbesserung die rich-
tige Losirummer wählen. Bitte, wie finde ich die richtige
Nummer?"
Ich faßte mich und sprudelte ein paar Sinnsprüche
heraus, die dank der Silbenrätselepidemie unlösbar in mei-
nem Gehirn verankert sind. „Ein jeder ist seines Glückes
Schmied. Die Axt im Äause erspart den Äenkers-
knecht. Äoffeir und Äarren macht manchen zum Narren.
Selbst ist der Mann." Doch Lothar war heute energiege-
schwollen. Er saßte meinen obersten Rockknopf, drehte ihn
ab und sagte: „Weiß ich, weiß ich alles. Ich habe alle
diesbezüglichen Schritte unternommen. Ich habe mir beim
Einnehmer Lose vorlegen lassen. Vei zwei Nummern stellte
sich ein seelisches Fluidum ein . . ." „ilnd du hast nicht zu-
gegriffen?" fragte ich. „Es war nicht das Fluidum des
sicheren Glücks. Es waren die Nmnmern eines uneinge-
lösten Pfandscheins und die Telephonnummer meinerSchwie-
germutter. Was soll ich aber nun . . . ?"
Wohlvertraut mit der gesunden Festigkeit von Lothars
Schlaf sagte ich kurz: „Du mußt dir eine Nummer träumen
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Lothar, der Glückspieler
Vor sechs Tagen sah ich ihn
wiederum. Er hatte Dackelfalten
in der treuherzigen Stirn und
tat den Mund auf und sagte:
„Wie soll ich . ..." Von Ent-
sehen gepackt hing ich mich — ganz
gegen meine Prinzipien — an ein
Automobil und entkam.
Vor sünf Tagen spielte sich fast
die gleiche Szene ab. Nur hatte
Lothar nicht allein Dackelstirnsal-
ten, sondern auch eine direkt fluo-
reszierende Gesichtsfarbe. Seine
Kollektion Sommersprofsen leuch
tete hellgelb und lieblich wie die
Sternlein am Äimmelszelt. Schon
tat er den Mund auf, da retkete
mich Lothars eigene Gattin, die
auf ihn zusteuerte und ihm mehr
rauh als sreundschaftlich riet,
seine Maulaffen lieber im Büro
feilzuhalten. Lothars Solnmer-
sprossen wurden wutrot wie das
Astrallicht des Mars. Ehe sein
Grimm Ausdrucksformen gefun
den hatte, war ich im Gewühl
untergetaucht.
Vor vier Tagen wagte ich nicht
auszugehen, aber vor drei Tagen
ereilte mich das Schwert der
Nemesis. Ich wollte in eine
Straßenbahn einsteigen. Da merk-
te ich, daß jemand in meine Fuß
stapfen trat, bevor ich sie ver-
lassen hatte. Ich liebe das nicht,
denn es schmerzt. Da ich keine
entschuldigende Aeußerung hörte,
nicht einmal das mannhafte Wort
„hopla", drehte ich mich um und
blickte — in den Sommersprossen-
sternhimmel meines Freundes Lo-
thar, in dessen seelenvolle Dackelaugen.
„Wie fchön ..", sagte Lothar. Ich starrte illusionszer-
störend aus die Nebelflecke, die die rüstige Nachfolge Lo-
thars aus meinen Lackschuhen hinterlassen hatte. Trohdein
- „Der
gespannt.
- „Aber dem Gaul fehlt doch nichts!"
- „Na ja — daß er wenigstens alle Nippen hat, sieht man.
letzte Akt spielt nach zwanzig Iahren; ich bin
wie sich bis dahin die Mode geändert haben wird!"
sagte Lothar noch einmal: „Wie schön, daß ich dich getroffen
habe. Ich will auch mit der Tram fahren, ich beabsichtige
sowieso, dich etwas zu fragen. Du hast neulich die Aeuße-
rung getan, ich solle behufs Gehaltsaufbesserung die rich-
tige Losirummer wählen. Bitte, wie finde ich die richtige
Nummer?"
Ich faßte mich und sprudelte ein paar Sinnsprüche
heraus, die dank der Silbenrätselepidemie unlösbar in mei-
nem Gehirn verankert sind. „Ein jeder ist seines Glückes
Schmied. Die Axt im Äause erspart den Äenkers-
knecht. Äoffeir und Äarren macht manchen zum Narren.
Selbst ist der Mann." Doch Lothar war heute energiege-
schwollen. Er saßte meinen obersten Rockknopf, drehte ihn
ab und sagte: „Weiß ich, weiß ich alles. Ich habe alle
diesbezüglichen Schritte unternommen. Ich habe mir beim
Einnehmer Lose vorlegen lassen. Vei zwei Nummern stellte
sich ein seelisches Fluidum ein . . ." „ilnd du hast nicht zu-
gegriffen?" fragte ich. „Es war nicht das Fluidum des
sicheren Glücks. Es waren die Nmnmern eines uneinge-
lösten Pfandscheins und die Telephonnummer meinerSchwie-
germutter. Was soll ich aber nun . . . ?"
Wohlvertraut mit der gesunden Festigkeit von Lothars
Schlaf sagte ich kurz: „Du mußt dir eine Nummer träumen
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