Neiner Tochter Btitgist.
Tugend. Zumul die Tulpe; ist sie doch die schönste
der Blumen. Tulipu Aesnerinna nennen sie die
Gelehrten."
„N)us gehen mich Ihre Tulpen an?"
„Da schau her, Du Bedauernswerterl Betrachte
Bir diese Tulpe in der Biitte des Aastens. p^eit
sieben Zahren pslege ich dies Aleinod, welches ich
selbst aus p-amen erzog; zwischen ihm und Bttne-
Guite teile ich meine ganze Liebe. U)ie herrlich
prangt meine Tulpe in weiß, rosa, rot und gelb;
Tag und Nacht bin ich um sie besorgt, sie erfüllt
all meine Gedanken; mein Trost, mein 5chatz,
mein — —"
,,b)ol' der Teufel die Tulpen!"
„Binaus mit L>ir!" rief LNeister Rhenoster,
durch diese Bttßachtung in B)ut geratend. „lhinaus
mit Dir und laß Dich nie wieder bei mir sehen."
Die Nachbarin,
welche sogar gewagt
hatte, durch das
chchlüsselloch zu
schauen, erzählte, daß
Bttne-Guite sich gar
nicht gerührt habe;
nur die 5tickerei ent-
schlüpste ihren zittern-
den lhänden und glitt
in den chchoß; ihren
Augen entrollten s)er-
len, welche aus denr
bleichen Gesichtchen
erglänzten wie die
Thautropsen des
B lorgens in schlanken
Lilienkelchen. —
Acht Tage waren seitdem vergangen und
der arme Zan hatte es noch nicht wieder ge-
wagt, sich bei Bkeister Rhenoster sehen zu lassen.
Bon Bsiorgens bis Bttttag und von Bttttag
bis in die sinkende Nacht sah man ihn die ^traße
aus und ab wandeln, in welcher der alte ^chuster
seinen Laden hielt. Der Nachbarin fiel es aus, daß
von Bsiorgens bis BAttag und von Blittag bis
in die sinkende Nacht Bttne-Guite sich nicht von
ihrem Ivessel rührte, welcher, hinter deni Dreibein
des Baters postiert, ihr vollen Ausblick aus alle
j)assanten gewährte. Zu ihrer Zerstreuung solgte
sie allen mit ihren Blicken, nur einem nicht, bei
dessen Anblick sich ihre Augen trübten.
Auf seiner taglichen j)r^uienade begegnete
chan stets einein ^remden, welcher ebenso wie er
vor der 5chuster-Budike herumslankierte. Zan hielt
denselben seiner änßeren reichen Trscheinung und
leinem Austreten nach sür eine distinguierte s)^
sönb.chkeit und täuschte sich hierin auch nicht; der
Fremde war ein englischer Pair Lord harwood,
oder so ähnlich, denn die Nachbarin, welcher wir
diese Geschichte verdanken, ist schon hübsch alt und
erinnert sich des Namens nicht mehr genau. In
Zan erwachte die Tisersucht; er beobachtete, wie
Bsiylord sedesmal, wenn er bei seinem verlorenen
j)aradiese vorbeiging und Bcine-Guite aus ihrem
Lessel thronte, vor dem halbossenen Fenster mit
dem Bsionocle im Auge einen )Noment verweilte
und Ausruse hören ließ, welche dem verliebten
Narren durchaus nicht gefielen.
An einem in den Annalen der 5tadt bsaarlem
sür ewige Zeiten verzeichneten Tage wähnte sich
Zan in allen sieben l^immeln, denn Bsieister Rhe-
noster hockte heute nicht aus seinem Dreibein und
die schöne Bttne-Guite, deren 5terne heute vielleicht
auch weniger umflort waren, hatte ihr'em geliebten
)sreund einen langen sehnsuchtsvollen Blick zuge-
worsen. Dieser Blick
ergriff den unglück-
lichen Liebhaber so
mächtig, daß er wie
in Bsiarmor gebannt
und aus dem j)flaster
angenagelt vor des
^chusters Lenster
stehen blieb, sich ganz
der seligen B)onne
überlassend.
Aus dieser süßen
Träumerei ward er
ziemlich unsanst er-
weckt; der Fremde,
Bflylord Harwood,
klopste ihm nämlich
vertrgulich aus die
p-chulter, mit den B)orteN:
„5ie scheinen ein Aenner zu sein, sunger
^sreund, finden Äe sie auch sehr schön?"
Zan suhr aus; mit wilder trotziger Bciene
blickte er dem t^remden dicht in die Augen, wagte
jedoch aus Rlugheit nichts zu erwidern, denn
LNylord schien es mit zwei solchen aus-
nehmen zu können.
„Nun also!"' suhr der Tngländer sort, ihn
derb am Arme schüttelnd, „halten p-ie sie nickt
auch sür die schönste unter den chchönen?"
„Ganz gewiß, mein kjerr, aber —"
,,B)elcb' scknniegsamer, eleganter, graziöser
wuchs!"
„wohl wahr."
„Zch wette, ibr Ljerz ist ebenso rein und ohne
Fehl!"
„Davon bin ich überzeugt."
„wie das herrliche Rot, welches sie der Rose
streitig zu machen scheint, sich von dem glänzenden
weiß präebtig abhebt!"
Z9
Tugend. Zumul die Tulpe; ist sie doch die schönste
der Blumen. Tulipu Aesnerinna nennen sie die
Gelehrten."
„N)us gehen mich Ihre Tulpen an?"
„Da schau her, Du Bedauernswerterl Betrachte
Bir diese Tulpe in der Biitte des Aastens. p^eit
sieben Zahren pslege ich dies Aleinod, welches ich
selbst aus p-amen erzog; zwischen ihm und Bttne-
Guite teile ich meine ganze Liebe. U)ie herrlich
prangt meine Tulpe in weiß, rosa, rot und gelb;
Tag und Nacht bin ich um sie besorgt, sie erfüllt
all meine Gedanken; mein Trost, mein 5chatz,
mein — —"
,,b)ol' der Teufel die Tulpen!"
„Binaus mit L>ir!" rief LNeister Rhenoster,
durch diese Bttßachtung in B)ut geratend. „lhinaus
mit Dir und laß Dich nie wieder bei mir sehen."
Die Nachbarin,
welche sogar gewagt
hatte, durch das
chchlüsselloch zu
schauen, erzählte, daß
Bttne-Guite sich gar
nicht gerührt habe;
nur die 5tickerei ent-
schlüpste ihren zittern-
den lhänden und glitt
in den chchoß; ihren
Augen entrollten s)er-
len, welche aus denr
bleichen Gesichtchen
erglänzten wie die
Thautropsen des
B lorgens in schlanken
Lilienkelchen. —
Acht Tage waren seitdem vergangen und
der arme Zan hatte es noch nicht wieder ge-
wagt, sich bei Bkeister Rhenoster sehen zu lassen.
Bon Bsiorgens bis Bttttag und von Bttttag
bis in die sinkende Nacht sah man ihn die ^traße
aus und ab wandeln, in welcher der alte ^chuster
seinen Laden hielt. Der Nachbarin fiel es aus, daß
von Bsiorgens bis BAttag und von Blittag bis
in die sinkende Nacht Bttne-Guite sich nicht von
ihrem Ivessel rührte, welcher, hinter deni Dreibein
des Baters postiert, ihr vollen Ausblick aus alle
j)assanten gewährte. Zu ihrer Zerstreuung solgte
sie allen mit ihren Blicken, nur einem nicht, bei
dessen Anblick sich ihre Augen trübten.
Auf seiner taglichen j)r^uienade begegnete
chan stets einein ^remden, welcher ebenso wie er
vor der 5chuster-Budike herumslankierte. Zan hielt
denselben seiner änßeren reichen Trscheinung und
leinem Austreten nach sür eine distinguierte s)^
sönb.chkeit und täuschte sich hierin auch nicht; der
Fremde war ein englischer Pair Lord harwood,
oder so ähnlich, denn die Nachbarin, welcher wir
diese Geschichte verdanken, ist schon hübsch alt und
erinnert sich des Namens nicht mehr genau. In
Zan erwachte die Tisersucht; er beobachtete, wie
Bsiylord sedesmal, wenn er bei seinem verlorenen
j)aradiese vorbeiging und Bcine-Guite aus ihrem
Lessel thronte, vor dem halbossenen Fenster mit
dem Bsionocle im Auge einen )Noment verweilte
und Ausruse hören ließ, welche dem verliebten
Narren durchaus nicht gefielen.
An einem in den Annalen der 5tadt bsaarlem
sür ewige Zeiten verzeichneten Tage wähnte sich
Zan in allen sieben l^immeln, denn Bsieister Rhe-
noster hockte heute nicht aus seinem Dreibein und
die schöne Bttne-Guite, deren 5terne heute vielleicht
auch weniger umflort waren, hatte ihr'em geliebten
)sreund einen langen sehnsuchtsvollen Blick zuge-
worsen. Dieser Blick
ergriff den unglück-
lichen Liebhaber so
mächtig, daß er wie
in Bsiarmor gebannt
und aus dem j)flaster
angenagelt vor des
^chusters Lenster
stehen blieb, sich ganz
der seligen B)onne
überlassend.
Aus dieser süßen
Träumerei ward er
ziemlich unsanst er-
weckt; der Fremde,
Bflylord Harwood,
klopste ihm nämlich
vertrgulich aus die
p-chulter, mit den B)orteN:
„5ie scheinen ein Aenner zu sein, sunger
^sreund, finden Äe sie auch sehr schön?"
Zan suhr aus; mit wilder trotziger Bciene
blickte er dem t^remden dicht in die Augen, wagte
jedoch aus Rlugheit nichts zu erwidern, denn
LNylord schien es mit zwei solchen aus-
nehmen zu können.
„Nun also!"' suhr der Tngländer sort, ihn
derb am Arme schüttelnd, „halten p-ie sie nickt
auch sür die schönste unter den chchönen?"
„Ganz gewiß, mein kjerr, aber —"
,,B)elcb' scknniegsamer, eleganter, graziöser
wuchs!"
„wohl wahr."
„Zch wette, ibr Ljerz ist ebenso rein und ohne
Fehl!"
„Davon bin ich überzeugt."
„wie das herrliche Rot, welches sie der Rose
streitig zu machen scheint, sich von dem glänzenden
weiß präebtig abhebt!"
Z9
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Meiner Tochter Mitgift
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Humoristische Monatshefte: aus Lothar Meggendorfer's lustiger Bildermappe
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
ZST 4416 C
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1890
Entstehungsdatum (normiert)
1880 - 1900
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Humoristische Monatshefte: aus Lothar Meggendorfer's lustiger Bildermappe, 2.1890, Heft 4, S. 39
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication