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Meggendorfer-Blätter — 52.1903 (Nr. 627-640)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16702#0027
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Zeilschrift für chumor und Aunsl

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wollen mir eine Bemerkung zu gestatten, so 7nöchte ich ^hnen
raten, sich lieber an einem ksauptkursus zu beteiligen. Denn
es ist nicht ohne Wichtigkeit, daß 5ie auch lernen, sich im Ball-
saal zu bewegen."

Wieder flog eine helle Röte über Leopolds Gesicht. Lr
kam sich vor, wie ein kauin der 5chule entwachsener Änabe,
der die ersten zaghaften 5chritte in das gesellschastliche Leben
an der bsand eines überlegen lächelnden lkientors macht.

Doch es mußte sein. Mit einem halben Seufzer erwiderte
er: „<3ut also, ich nehme an einem der allgemeinen Rurse teih
damit die Narretei komplett wird."

„Wie — wa — was sagten Sie?"

„Jch meinte nur, wann ich mich einsinden soll?"

„Ach, so, verzeihen Sie, ich verstand Sie nicht recht. Morgen
nachmittag um süns Uhr, wenn es gefällig isi."

„Dann aus Wiedersehenl"

Als kserr Leopold zu ksause anlangte, warf er mit einer
grimmigen Gebärde seinen ksut in eine Ecke und begann dann,
eine bekannte walzermelodie pfeifend, im Zimmer herumzn-
springen, wobei seine Blicke unausgesetzt auf sein Spiegelbild
gcheftet waren, das mit grausamer Jronie alle die grotesken
vcrrenkungen zurückgab.

»Lravo, herr Leopold Schuhmann, königlicher Gymnasial-
oberlehrer, so gesällst Du mirl Schnellcr, herr Uaxellmeister,
schneller, so ist's rechtl"

j?lötzlich aber hielt kserr Seopold inne und wars sich ge-
dankenvoll auf das Sofa, wo er, den Aopf in die ksände ge-
stützt, in regungsloses Nachdenken versank.

!§eopold Schuhmann war schon von jeher cin mehr inner-
Uch veranlagter Mensch gewesen. Lr war den Freuden und
Genüssen des Lebens nicht abhold, nur suchte er, wie in
allem, was er tat, auch in diesen Vertiefung und Gemütsver-
edlung. Die rein oberflächliche Daseinslust reizte ihn nicht, ohne
daß er sie deswegen verdammte. Er sah aus sie herab wie ein
Philosoph aus das harmlose Spiel der klinder, lächelte dazu
und ging seinen weg weiter. Lr war aus eben diesem Grunde
auch kein sogenannter Gesellschaftsmensch, und bald kam denn,
was kommen mußte, er stand isoliert und fühlte sich vereinsamt.
Er genügte sich selbst nicht mchr und sehnte sich nach geistiger
Anregung in engster seelischer Gemeinschast. Und diese konnte
cr nur in der Lhe finden. Lr beschloß deshalb zu heiraten.
Rn Linladungen hatte er keiNen Ukangel, denn er war eine
begehrenswcrte Partie, und so stand er bald mitten im Gesell-
schastsleben drin. Bei einer solchen Gelegenheit hatte er auch
Erna ksoxsen kennen gelernt, und schon beim ersten Zusammen-
treffen war sein kserz in Flammen für sie aufgegangen. Doch
auch bei kühlerer Ueberlegung schien sie ihm alle Garantien
für eine harmonische Lhe zu bieten. Aurz entschlossen warb
cr um ihre kjand und hatte den Lrfolg, daß seine Bewerbung
günstig ausgenommen wurde. Ls galt nun allerdings sein bis-
heriges Leben total zu ändern, so sehr er auch dadurch mit
seinen gesamten Grundsätzen in Aonflikt geriet. Aber war das
nicht am Lnde so Naturgesetz, das ihn davor bewahrte, in ein-
scitiger Lebensausfassung zu versauern und zu verkümmern?
Erna hatte sicherlich vollkommen recht mit ihrer Forderung und
es war ja gleichgültig, ob er sich in dem einen oder dem an-
deren Lxtrem bewegte, wenn er es überhaupt schon einmal tat.

Also versuchte kserr Leoxold die aufsteigenden Bedenken zu
beschwichtigen und sich in die von ihm selbst geschaffene Lage
zu finden. Ls war drei Tage später, als sich der Gizmnasial-
lehrer Schuhmann gegen acht Uhr abends in den von ihm
belegten Lanzkurs begab. Lr langte als einer der Letzten an
und fand den kleinen Uebungssaal schon ziemlich besetzt.

Der Tanzlehrer sprang mit affektierter Geschästigkeit von
emem paar zum anderen und schien von seinem Rommen nicht

weiter Notiz zu nehmen. Und das war ihm eigentlich ganz
recht. Denn er mußte sich erst an diese Atmosphäre gewöhnen.
Bei alledem aber hatte ihn der Tanzmeister doch bemerkt.

„Sie komiNen recht spät, mein werter kserr," schnarrte er,
„ich werde Sie sür heute meiner Gemahlin überantworten
müssen, denn die Arrangements sind alle schon-"

„Bitte machen Sie keine Umstände, es wird mir ein Ver-
gnügen sein?" erwiderte Leopold.

Line Viertelstunde später übte er unter der Leitung der
„Frau Direktor" die ersten walzerschritte. Vbgleich er sein
Auge zu Boden geheftet hielt, fühlte er doch, wie so mancher
neugierig kritische Blick aus ihm ruhte und gewiß amüsierte
man sich köstlich über die täppischen Sprünge des alten Tanzbären.

Nein und tausendmal nein, er wolltenicht weiterl kvenigstens
heute nicht. Unter dem Vorwand, er sei müde, entschuldigte
er sich bei der Frau Direktor und zog sich nach dem ksintergrunde
des Saales zurück. Ietzt wollte er einmal die Rolle eines Zu-
schauers übernehmen, um wirklich unxarteiisch festzustellen, ob
denn die Sache wirklich nur von der komischen Seite aufzufassen
sei. U?ie er so dahin schritt, bemerkte er eine junge Dame, die
ganz allein an einem Tische saß. Linem unwillkürlichen Impulse
gehorchend, nahin er mit einer hösiichen Verbeugung ihr gegen-
über Platz.

„Sie tanzen nicht, mein Fräulein?"

Lr wunderte sich selber über die Dreistigkeit, mit der er
diese Frage so gänzlich unvermittelt stellte.

Die Angeredete errötete ein wenig, dann gab sie unter
Lächeln zurück: „Nein. Utein Partner, mit dem ich gestern
geübt habe, ist heute nicht erschienen und so bin ich regelrecht
sitzen geblieben. Doch das gehört ja wohl auch zur Lektion,"
setzte sie etwas wehmütig hinzu. „Mie sehr bedaure ich, gnädiges
Fräulein, daß ich selbst erst zu den bescheidensten Anfängern
gehöre," erwiderte Leoxold galant, „ich würde mir sonst ein
vergnügen daraus machen, Ihnen für den verlust Ersatz zu
bieten."

„V, es ist für mich gar kein verlust," antwortete die junge
Dame. „lvenn Sie wüßten, wie wenig mir am Tanzen liegt !"—

„Donnerwetter, ganz mein Fall!" platzte kferr Leoxold her-
aus. Doch er verbesserte sich rasch und fügte hinzui „Aber
weshalb sind Sie dann eigentlich hier, wenn ich so neugierig
sein darf zu fragen."

„V, Sie dürfen. Lin kserr darf alles! Und warum ich
hier bin? Meil Mama es will! Lin Mädchen ohne Vermögen
ist ja auf den Ballsaal angewiesen, wenn es überhauxt unter
die ksaube kommen will. Meinen Sie nicht? Uiama sagt
wenigstens so." Ls war ctwas wie schmerzliche Resignation,
was aus den lvorten des Nbädchens heraus klang.

„verzeihen Sie," rief Leopold betroffen, „ich habe Sie durch
meine zudringliche Frage nicht verletzen wollen. Aber auch ich
gehöre ja zu jenen Naturen, die dieses abgeschmackte, um nicht
zu sagen brutale Vergnügen nicht zu ihren Passionen zählen."

„Und Sie tun es dennoch, Sie ein Uiann, der doch kserr
seiner ksandlungen und Neigungen ist? Darf jetzt ich so neu-
gierig sein zu fragen: warum?" Leopold fühlte, wie es brennend
in seine kvangen stieg.

„Die Umstände verlangen es," erwiderte er zögernd. „Ich
habe mich bisher dem Gesellschaftsleben ziemlich fern gehalten,
inöchte mich ihm aber jetzt etwas mehr widmen."

„Das ist ganz natürlich," gab die junge Dame lachend zu.
„Und wie mir scheint, haben Sie lange genug damit gezögert.
Die Gesellschaft ist nun einmäl das Llement, in dem wir an-
schlußbedürftigen kvesen uns bewegen müssen."

„Und glauben Sie, mein Fräulein, daß es auch Menschen
geben kann, die dessen nicht bedürfen?" fragte Leoxold mit un-
verkennbarer Lrregung. „Der Augenschein lehrt das Gegenteil,"
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