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Meggendorfer-Blätter — 52.1903 (Nr. 627-640)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16702#0073
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Zeitschrift für kfumor uud Aunst

69

Der Doppelgänger.

hristoxh Reinecke war ein glücklicher Mensch.
Achtundzwanzig Iahre alt, Prokurist der bekannten
Bankfirina Fischer Zöhne und seit vicr Mochen glück-
licher Bräutigam der reizenden Gertrud Schwarz, der einzigen
Lochter des reichen kfausbesitzers Fritz Schwarz, — was konnte
auch Lhristoph Reinecke zu seinem Glücke fehlen? Die Zufrieden-
heit seiner Lhefs, die Liebe seiner Gertrud genügten ihm, um
die Zukunft im rosigsten Lichte zu erblicken. Aber „des Lebens
ungemischte Freude wird keinem Irdischen zu teil".

In sein stillzufriedenes Leben fiel plötzlich ein dunkler
öchatten; ein Dämon, ein Phantom drohte die Grundfesten
seiner Lxistenz zu erschüttern: Der brave Lhristoph wurde
plötzlich von einem Lhrgeiz befallen, von einem lächerlichen
Ehrgeiz, welcher um so gefährlicher schien, als diese Leidenschaft
>hn aus dem Geleise des Althergebrachten riß.

Eines Abends hatte er, der Linladung einiger Freunde fol-
gend, eine jener wohltätigkeitsveranstaltungen besucht, in welchen
man sich zu Gunsten der Armut zn amüsieren pflegt. Auch Lhri-
stoph beteiligte sich lebhaft an dem „wohltätigen" Tanze, als in
einer Pause eine junge diftinguierte Dame zu ihm herantrat.

„Ich habe eine große Bitte an Sie, mein kferrl"

„Ich stehe vollständig zu Ihrer Verfügung, mein gnädiges
Fräulein."

„lVürden Sie vielleicht so liebenswürdig sein" — die junge
Dame hielt Lhristoph eine Postkarte hin, — „diese Ansichtskarte
mit Ihrem Autogramm zu versehen?"

Lhristoph stand einen Augenblick verdutzt vor der bittenden
Lchönen.

„Aber, gnädiges Fräulein, ich weiß wirklich nicht, was
^hnen daran liegen kann."

„2ie haben recht, mein kferr, es war unbescheiden von mir,
-ie mit einer Bitte zu belästigen, nur die günstige Gelegenheit,
m Aarte mit Ihrem porträt, welche ich soeben in der Tombola

Alfred Bric.

gewann, auch uoch mit Ihrer Unterschrift versehen zu lassen,
veranlaßten mich zu dem übereilten Schritt. Lntschuldigen Sie,
mein kferr!" —

„Linen Augenblick, mein Fräulein, meine Photographie,
sagten Sie, vielleicht gestatten . . .?" Das junge Mädchen reichte
ihm die Aarte, und Lhristoph erblickte das Bild eines jungen
INannes, der ihm allerdings sehr ähnlich sah und sich von ihm
nur durch den genialen Lockenkopf und ein gewisses künstlerisches
Ltwas in seiner Nleidung unterschied. ,Lrmando Gustinetti,
kfeldentenor" stand unter der Photographie. Lhristoph begriff
sofort, daß eine Verwechslung vorliege, aber es schmeichelte
ihm, für den berühmten Gustinetti, den genialen Sänger und
berüchtigten Don Iuan gehalten zu werden.

Linen Augenblick schwankte er, dann einen Blick in das
lächelnde klntlitz dec Dame werfend, unterschrieb er in einem
Zuge: „Ermando Gustinetti."

„INeinen besten Dank, mein kferrl" —

von diesem Abend an war das Gliick und die Zufriedenheit
von Lhristoph Reinecke gewichen. Die Art und Weise, wie er,
zum Neide seiner Freunde, die die kNotive nicht ahnten, von
den Freundinuen der schönen Bittstellerin gefeiert worden war,
hatte seinen Lhrgeiz erweckt und in ihm den Wunsch hervor-
gerufen, diese begünstigte Stellung in der Gesellschaft auch ferner
zu behaupten. kvohl war er sich bewußt, daß die Rolle, die er
als Gustinettis Doppelgäuger spielen wollte, keine einwandfreie
war; aber die Sucht, sich in den Zlugen seiner Bekannten und
besonders seines Schwiegervaters, welcher, nur widerwillig sich
den Bitten seiner Tochter fügend, in die verlobung gewilligt
hatte, hervorzutun, verscheuchten seine Bedenken.

Zum größten Lrstaunen seiner Aollegen erschien eines
Tages Lhristoph, der in seinem Aussehen und seiner Aleidung
sich stets einer eleganten Linfachheit befleißigt hatte, mit einem
künstlich gebrannten Lockenkopf, bedeckt von einem breiten Aala-
breser. Linc streng moderne sczessionistische Schleife flatterte um
seinen ksals und ein weiter pelerinenmantel vervollständigte
den künstlerischen Eindruck, der durch Lhristophs Gesicht
noch mehr gesteigert wurde. Die spöttischen Bemerkungen seiner
Aollegen prallten wirkungslos an ihm ab; bah, was interessierten
ihn jetzt noch diese faden INenschen, die keine höheren Gesichts-
punkte kannten I — aber auch die dringendsten Bitten seiner Braut,
ihr den Grund dieser plötzlichen Ntetamorphose mitzuteilen,
vermochten nicht, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Lr zeigte
plötzlich ein großes Interesse für die Niusik; er versäumte keine
Vper, in der Lrmando Gustinetti auftrat. verließen daun nach
Schluß der Vorstellung die Aünstler das Theater, dann war
Lhristoph, der sich unter das wartende Publikum gemischt hatte,
überglücklich, wenn er um sich herum murmeln hörtei „Das ist
erl das ist Gustinetti." Würdevoll dankend verließ er alsdann
seinen Platz und begab sich in eine benachbarte Weinstube, in
welcher die Aellner den berühmten Aünstlcr ehrfurchtsvoll
begrüßten -

Der alte Rentier Schwarz begann auf seinen Schwiegersohn
stolz zu werdcn. Wenn er Sonntag nachmittags mit seiner Frau
hinter dem jungen paare spazieren ging, bemerkte er mit Genug-
tuung, daß Lhristoph nicht alle die Grüße erwidern konnte, die
ihm von allen Seitcn zu teil wurden.

„kvirklich, ein Prachtkerl, der Lhristoph," sagte er schmnnzelnd
zu seiner Lhehälfte, „sieh nur, wie bekannt er ist. Ich glaube,
wir werden durch ihn in ganz andere Areise Lingang finden.
Aber warum stellt er uns eigentlich die Lserrschaften nie vor?"

Und Lhristoph schritt stolz erhobenen kfauptes an der Seite
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Der Doppelgänger
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schramm, Viktor
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1902
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Mann
Frau
Gespräch
Ansichtspostkarte
Tanzveranstaltung

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-10-16 - 2013-10-16
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 52.1903, Nr. 632, S. 69

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
 
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