H06
TTleggendorfer-Blätter, München
Äin praktilcher Nächer.
„Ich begreife nicht, warum meine reizende Nachbarin ihren
Fächer so ostcntativ vors Gesicht hält nnd was die kleine
Türe am Fächer bedeuten soll? — — thimmel, jetzt geht mir
ein Licht ausl — — —
-Ich hab'sÜI" —-
Alein Nreunö Meisele.
tzumoreske r>on I. Merkl.
^ ch saß so recht gcmütlich in meinem behaglichen Sorgen-
H stuhl und rauchte eine gute Zigarre und dachte eigent-
lich an gar nichts Aufregendes, als es plötzlich draußen
ein paarmal heftig schellte.
„Daß Dich . . ." murmelte ich in meinen Bart hinein, bevor
ich aber den Satz vollenden konnte, wurde schon meine Türe
hastig geösfnet und mein Freund Theobald Uieisele stürzte wie
von einem Sturinwiud hereingeweht in das Zininier.
Seine sonst so schön geordneten kfaare flatterten ihm wirr
um die Denkerstirne, sein Blick hatte etwas Unheimliches und
auf seinen Zügen spiegelte sich die Verzweiflung in einem so
klaren und deutlichen Ausdruck wieder, daß ich ein wenig erschrak.
Ghne ein Wort zu sprechen, warf er sich mit einem tiefen
Seufzer auf mein Sosa und starrte gerade vor sich hin.
Ich erhob mich ebenfalls schweigend, ergriss eine der Aisten,
die auf meinem Schreibtisch zu stehen pflcgen, und präsentierte
sie ihm.
Tr langte mechanisch hinein, zog einen Aorkfederhalter
heraus — ich hatte den Behälter mit dem Schreibzeug statt der
Zigarrenkiste erwischt — und dann suchte er in der Brust-
tasche nach seinem Utesser, um die Spitze abzuschneiden. Ich
bemerkte zwar den Irrtum, zündete aber nichtsdestoweniger ein
Streichholz an und hielt es ihm hin.
§s fehlte nicht viel, so hätte er, in frühere Iugendsünden
zurückfallend, den Aork regelrecht geraucht.
Als er seine Zerstrcntheit wahrgenoinmen hatte, lächelte
er müde wie ein scheideuder Greis und seufzte noch eininal
wahrhaft herzzerbrcchcnd.
„Du weißt es also noch nicht," sprach er alsdann in einem
sehr seierlichen Tone.
Ich hatte mich wieder gesetzt, nachdem ich ihm eine wirk-
liche Lsavana in die lfand gedrückt hatte.
„Ncin, mein Lieber, ich weiß nur, was ich sehe?"
„Du meinst natürlich, ich sei übergeschnappt. Na, was
nicht ist, das kann noch werden. Also paß mal auf, ich wünsche
Deinen Rat zu hören. Und zwar in einer ganz entsetzlichen
Sache.
Oor etwa einem halben Iahre habe ich in der Luterpe
Fräulein Thea Schuster kennen gelernt."
„Aha, die Blondine, mit der Du iininer blinde Auh ge-
spielt hast?"
„Ich verstehe das nicht."
„Na ja, wenn Du mit ihr auf der Straße Deinen Freunden
begegnet bist, tatest Du so, als ob Dir die Augen verbunden
wären. Uebrigens sehr sesches Gschxusi."
„Unsinn! Also, wir trafen uns öfters und gewannen uns
allmählich lieb. Sie ist eine äußerst gescheite Person, tadellos
in jeder Beziehung, hat so viel Bermögen, daß sie von den
Renten leben kann, steht im übrigen vollständig selbständig
da und wollte im nächsten Iahre auf die Universität gehen, um
Ukedizin zu studieren. Line Gesellschasterin ist Dir dieses Weib,
wunderbar! Die Stunden verfliegen mir an ihrer Seite wie
im Traum.
Wie sie gemerkt hat, daß sie sich in mich verliebt hatte,
war sie einfach trostlos. Denn sie huldigt völlig den modernen
Zlnschauungen und sagt, wcnn die Frauen das Ioch der Anecht-
schaft brechen wollten, müßten sie vor allem init dem Blödsinn
der Liebe ausräumen, denn nur diese sei es, die sie immer und
imnier wieder in die Gewalt der Utänner bringe, die nichts
Besseres zu tun wüßten, als ihre Ueberlegenheit alsdann in der
brutalsten Weise auszunützen. Ich lachte im geheimen über
diese Sprüche, die ich nicht ernst nahm. Ich dachte mir, kommt
Zeit, kommt Rat, und ich behielt auch recht. Ls galt vorerst
sie nicht scheu zu machen, das andere ergab sich dann von selbst.
Weib bleibt lveib. Gott sei Dank! Als ich sie später bei einer
passenden Gelegenheit nm einen Auß bat, ja bettelte, ließ sie
mich scharf abfahren, und als ich sie in einem zieinlich unpassen-
den Utoment ohne lang zu sragen, zwischen die Arme nahin,
da ging es ihr wie dem Röschen auf der Ueiden — — mußt
es eben leiden. Und sie hat es mir gar nicht inal übel ge-
nommen, daß ich mir statt des einen ein volles Dutzend ge-
nommen habe.
lvie gesagt, wir verstanden uns recht gut. Der verlauf,
den das Verhältnis einschlug, war so normal wie möglich. Ich
überlegte mir alles, auch nach der finanztechnischen Scite. Ich
habe ja ein ganz nettes, sicheres Linkommen, mit dem ich eine
Familie gut ernähren könnte, also warum sollte ich nicht heiraten,
wie die anderen auch? Ich war darüber völlig mit mir einig.
TTleggendorfer-Blätter, München
Äin praktilcher Nächer.
„Ich begreife nicht, warum meine reizende Nachbarin ihren
Fächer so ostcntativ vors Gesicht hält nnd was die kleine
Türe am Fächer bedeuten soll? — — thimmel, jetzt geht mir
ein Licht ausl — — —
-Ich hab'sÜI" —-
Alein Nreunö Meisele.
tzumoreske r>on I. Merkl.
^ ch saß so recht gcmütlich in meinem behaglichen Sorgen-
H stuhl und rauchte eine gute Zigarre und dachte eigent-
lich an gar nichts Aufregendes, als es plötzlich draußen
ein paarmal heftig schellte.
„Daß Dich . . ." murmelte ich in meinen Bart hinein, bevor
ich aber den Satz vollenden konnte, wurde schon meine Türe
hastig geösfnet und mein Freund Theobald Uieisele stürzte wie
von einem Sturinwiud hereingeweht in das Zininier.
Seine sonst so schön geordneten kfaare flatterten ihm wirr
um die Denkerstirne, sein Blick hatte etwas Unheimliches und
auf seinen Zügen spiegelte sich die Verzweiflung in einem so
klaren und deutlichen Ausdruck wieder, daß ich ein wenig erschrak.
Ghne ein Wort zu sprechen, warf er sich mit einem tiefen
Seufzer auf mein Sosa und starrte gerade vor sich hin.
Ich erhob mich ebenfalls schweigend, ergriss eine der Aisten,
die auf meinem Schreibtisch zu stehen pflcgen, und präsentierte
sie ihm.
Tr langte mechanisch hinein, zog einen Aorkfederhalter
heraus — ich hatte den Behälter mit dem Schreibzeug statt der
Zigarrenkiste erwischt — und dann suchte er in der Brust-
tasche nach seinem Utesser, um die Spitze abzuschneiden. Ich
bemerkte zwar den Irrtum, zündete aber nichtsdestoweniger ein
Streichholz an und hielt es ihm hin.
§s fehlte nicht viel, so hätte er, in frühere Iugendsünden
zurückfallend, den Aork regelrecht geraucht.
Als er seine Zerstrcntheit wahrgenoinmen hatte, lächelte
er müde wie ein scheideuder Greis und seufzte noch eininal
wahrhaft herzzerbrcchcnd.
„Du weißt es also noch nicht," sprach er alsdann in einem
sehr seierlichen Tone.
Ich hatte mich wieder gesetzt, nachdem ich ihm eine wirk-
liche Lsavana in die lfand gedrückt hatte.
„Ncin, mein Lieber, ich weiß nur, was ich sehe?"
„Du meinst natürlich, ich sei übergeschnappt. Na, was
nicht ist, das kann noch werden. Also paß mal auf, ich wünsche
Deinen Rat zu hören. Und zwar in einer ganz entsetzlichen
Sache.
Oor etwa einem halben Iahre habe ich in der Luterpe
Fräulein Thea Schuster kennen gelernt."
„Aha, die Blondine, mit der Du iininer blinde Auh ge-
spielt hast?"
„Ich verstehe das nicht."
„Na ja, wenn Du mit ihr auf der Straße Deinen Freunden
begegnet bist, tatest Du so, als ob Dir die Augen verbunden
wären. Uebrigens sehr sesches Gschxusi."
„Unsinn! Also, wir trafen uns öfters und gewannen uns
allmählich lieb. Sie ist eine äußerst gescheite Person, tadellos
in jeder Beziehung, hat so viel Bermögen, daß sie von den
Renten leben kann, steht im übrigen vollständig selbständig
da und wollte im nächsten Iahre auf die Universität gehen, um
Ukedizin zu studieren. Line Gesellschasterin ist Dir dieses Weib,
wunderbar! Die Stunden verfliegen mir an ihrer Seite wie
im Traum.
Wie sie gemerkt hat, daß sie sich in mich verliebt hatte,
war sie einfach trostlos. Denn sie huldigt völlig den modernen
Zlnschauungen und sagt, wcnn die Frauen das Ioch der Anecht-
schaft brechen wollten, müßten sie vor allem init dem Blödsinn
der Liebe ausräumen, denn nur diese sei es, die sie immer und
imnier wieder in die Gewalt der Utänner bringe, die nichts
Besseres zu tun wüßten, als ihre Ueberlegenheit alsdann in der
brutalsten Weise auszunützen. Ich lachte im geheimen über
diese Sprüche, die ich nicht ernst nahm. Ich dachte mir, kommt
Zeit, kommt Rat, und ich behielt auch recht. Ls galt vorerst
sie nicht scheu zu machen, das andere ergab sich dann von selbst.
Weib bleibt lveib. Gott sei Dank! Als ich sie später bei einer
passenden Gelegenheit nm einen Auß bat, ja bettelte, ließ sie
mich scharf abfahren, und als ich sie in einem zieinlich unpassen-
den Utoment ohne lang zu sragen, zwischen die Arme nahin,
da ging es ihr wie dem Röschen auf der Ueiden — — mußt
es eben leiden. Und sie hat es mir gar nicht inal übel ge-
nommen, daß ich mir statt des einen ein volles Dutzend ge-
nommen habe.
lvie gesagt, wir verstanden uns recht gut. Der verlauf,
den das Verhältnis einschlug, war so normal wie möglich. Ich
überlegte mir alles, auch nach der finanztechnischen Scite. Ich
habe ja ein ganz nettes, sicheres Linkommen, mit dem ich eine
Familie gut ernähren könnte, also warum sollte ich nicht heiraten,
wie die anderen auch? Ich war darüber völlig mit mir einig.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Ein praktischer Fächer
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Ich begreife nicht, warum meine reizende Nachbarin ihren Fächer so ostentativ vors Gesicht hält und was die kleine Türe am Fächer bedeuten soll? - - Himmel, jetzt geht mir ein Licht auf! - - - // - - Ich hab's!!!" - - -
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-10-16 - 2013-10-16
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 52.1903, Nr. 635, S. 106
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg