Bkeggendorfer-Blätter, Blünchen
Die Schicksalswage.
s war in den Aindheitstagen der Menschheit.
Hoch über allem Irdischen stand das eherne Schicksal
mit der Mage in der Linken, um den Menschen ihr
Los abzuwägen. Da kam von hinten Frau Sorge geschlichen,
und ehe das Schicksal es hindern konnte, warf fie ihr päckchen
in eine der Wagschalen. Tief sank die Magschale herab, und
im selbigen Moment ward der Menschheit Leid und Unheil
geboren. Da rief das Schicksal die Feen des ksimmels zusammen
und bat sie um Rat.
„Seht meine Lieblinge da drunten!" sagte es. „wie im
Traume wandeln sie einher, ihre Augen sind trüb und erloschen,
und ihre Blicke heften sich an den Boden. Ihre ksände sind geballt
Soshaft.
im Zorn gegen mich, und ihre Herzen sind voll böser Wünsche.
Sie haben der lachenden Sonne geflucht und den silbernen
Uiond gehöhnt. Und Sonne, Uiond und Sternlein haben einen
schwarzen Schleicr vorgenommen und die welt in todestraurigen
Schatten gehüllt. Ach helft mir doch, ihr gütigen Frauen!"
Als erste, die dem Rufe des Schicksals folgte, trat das Mit-
leid aus der Reihe der Feen und weinte eine brennende Träne
auf die leere wagschale. Aber sie reichte nicht hin, um das
Gewicht der Sorgen aufzuheben. N)ie ein zitternder Tautropfen
unter den Gluten der Uttttagsonne siechte sie gar bald dahin. Da
kam mit gütigem Lächeln das Glück dahergeschritten und leerte
sein ganzes Füllhorn in die offene Schale. Aber siehe da, ste sank
nur um ein weniges herab. Auch
das Glück hatte über die Sorge
keine Gewalt. Ietzt nahte be-
flügelten Schrittes der Leichtsinn.
„Ich habe nichts, was ich her-
schenken könnte," sagte er. „Ich
kann nur mich selber geben." Und
mit einem Satze sprang er in die
Magschale und schaukelnd und
schwankend fuhr sie herab. Aber
von dem jähen Ruck kippte sie um,
als sie unten war, und der Leicht-
sinn kugelte heraus und kugelte
fort, bis er den ganzen Lsimmel
hinunter gerollt war.
Nun kamen nacheinander die
Lüge und ihre ksalbschwester, die
Täuschung, die Arbeit und die
j)hilosophie, die Frömmigkeit und
dic Geduld, die Liebe und die
Freundschaft und noch vicle andere.
Und ob auch alle ihr bestes taten,
die Wage blieb zu Gunsten der
Sorge gesenkt. Aber noch war eine
der Feen übrig. Utit Lächeln hatte
sie den vergeblichen Bemühungen
ihrer Schwestern zugeschaut und
nun trat auch sie an die Wage
heran. Sie schlug ihr Gewand
zurück und zeigte einen blitzenden
Stern, den sie auf ihrer Brust trug.
„Ich will es probieren," sagte
sie, nahm den Stern und legte ihn
auf dieleereSchale. Und — ohlvun-
der! — die Schale senkte sich lang-
sam, aber stetig, bis das Zünglein
der Wage in der Uiitte stand und
fie der andern Schale das Gleich-
gewicht hielt. Die Nenschen aber,
als sie den Stern leuchten sahen,
glaubten, dic Sonne schiene ihnen
wieder und ihr müder Blick hob
sich und ihre Augen bekamen wie-
der Glanz. Fröhlich und zuversicht-
lich schritten sie einher, und sogar
alte gebrechliche Greise verjüngten
sich wieder beim ksinblick auf den
strahlenden Stern. Die gütige
Fee aber, die so der Sorge ihre
Schwere genommen hatte, war —
die ksoffnung. C. A. Hennig.
Naive ieines provinzthenters zur Zreundin): „Es wird sehr gegen mich intrigiert, aber die
ältesten kserren der Stadt sind auf meiner Seite!"
Freundin: „Ach, das sind gewiß Deine Iugendfreunde!"
Die Schicksalswage.
s war in den Aindheitstagen der Menschheit.
Hoch über allem Irdischen stand das eherne Schicksal
mit der Mage in der Linken, um den Menschen ihr
Los abzuwägen. Da kam von hinten Frau Sorge geschlichen,
und ehe das Schicksal es hindern konnte, warf fie ihr päckchen
in eine der Wagschalen. Tief sank die Magschale herab, und
im selbigen Moment ward der Menschheit Leid und Unheil
geboren. Da rief das Schicksal die Feen des ksimmels zusammen
und bat sie um Rat.
„Seht meine Lieblinge da drunten!" sagte es. „wie im
Traume wandeln sie einher, ihre Augen sind trüb und erloschen,
und ihre Blicke heften sich an den Boden. Ihre ksände sind geballt
Soshaft.
im Zorn gegen mich, und ihre Herzen sind voll böser Wünsche.
Sie haben der lachenden Sonne geflucht und den silbernen
Uiond gehöhnt. Und Sonne, Uiond und Sternlein haben einen
schwarzen Schleicr vorgenommen und die welt in todestraurigen
Schatten gehüllt. Ach helft mir doch, ihr gütigen Frauen!"
Als erste, die dem Rufe des Schicksals folgte, trat das Mit-
leid aus der Reihe der Feen und weinte eine brennende Träne
auf die leere wagschale. Aber sie reichte nicht hin, um das
Gewicht der Sorgen aufzuheben. N)ie ein zitternder Tautropfen
unter den Gluten der Uttttagsonne siechte sie gar bald dahin. Da
kam mit gütigem Lächeln das Glück dahergeschritten und leerte
sein ganzes Füllhorn in die offene Schale. Aber siehe da, ste sank
nur um ein weniges herab. Auch
das Glück hatte über die Sorge
keine Gewalt. Ietzt nahte be-
flügelten Schrittes der Leichtsinn.
„Ich habe nichts, was ich her-
schenken könnte," sagte er. „Ich
kann nur mich selber geben." Und
mit einem Satze sprang er in die
Magschale und schaukelnd und
schwankend fuhr sie herab. Aber
von dem jähen Ruck kippte sie um,
als sie unten war, und der Leicht-
sinn kugelte heraus und kugelte
fort, bis er den ganzen Lsimmel
hinunter gerollt war.
Nun kamen nacheinander die
Lüge und ihre ksalbschwester, die
Täuschung, die Arbeit und die
j)hilosophie, die Frömmigkeit und
dic Geduld, die Liebe und die
Freundschaft und noch vicle andere.
Und ob auch alle ihr bestes taten,
die Wage blieb zu Gunsten der
Sorge gesenkt. Aber noch war eine
der Feen übrig. Utit Lächeln hatte
sie den vergeblichen Bemühungen
ihrer Schwestern zugeschaut und
nun trat auch sie an die Wage
heran. Sie schlug ihr Gewand
zurück und zeigte einen blitzenden
Stern, den sie auf ihrer Brust trug.
„Ich will es probieren," sagte
sie, nahm den Stern und legte ihn
auf dieleereSchale. Und — ohlvun-
der! — die Schale senkte sich lang-
sam, aber stetig, bis das Zünglein
der Wage in der Uiitte stand und
fie der andern Schale das Gleich-
gewicht hielt. Die Nenschen aber,
als sie den Stern leuchten sahen,
glaubten, dic Sonne schiene ihnen
wieder und ihr müder Blick hob
sich und ihre Augen bekamen wie-
der Glanz. Fröhlich und zuversicht-
lich schritten sie einher, und sogar
alte gebrechliche Greise verjüngten
sich wieder beim ksinblick auf den
strahlenden Stern. Die gütige
Fee aber, die so der Sorge ihre
Schwere genommen hatte, war —
die ksoffnung. C. A. Hennig.
Naive ieines provinzthenters zur Zreundin): „Es wird sehr gegen mich intrigiert, aber die
ältesten kserren der Stadt sind auf meiner Seite!"
Freundin: „Ach, das sind gewiß Deine Iugendfreunde!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Boshaft
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: Naive (eines Provinztheaters zur Freundin): "Es wird sehr gegen mich intrigiert, aber die ältesten Herren
der Stadt sind auf meiner Seite!" / Freundin: "Ach, das sind gewiß Deine Jugendfreunde!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1902
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Zeitpunkt Aufnahme (normiert)
2013-10-16 - 2013-10-16
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 52.1903, Nr. 640, S. 162