Meggendorfer-Blätter (53.1903 (Nr. 641-653))

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Meggendorfer-Blätter, München

Die Inspektionsfahrt.

„lferr Aollega/' sagte ich, „Sie müssen mir einen großen
Gefallen erweisen."

„Ich bin immer gern zu Diensten, Lserr Kollega," erwiderte
dieser höflicher als es nötig gewesen wäre, und wie es mir
schien, mit einem leisen Anflng von Schadenfreude. „Sie haben
gehört, was der ,Alte^ soeben zu mir gesagt hat?" fuhr ich
fort. „Jch soll morgen mit auf Inspektion, auf diese dreimal
verwünschte Pech-Schwefel-Insxektion I"

„Und da wollen Sie gewiß einen Reisekoffer von mir leihen?"
Ich war im Begriffe aufzufahren, doch ich bezwang mich.
„Sie haben gut spotten," gab ich zurück. „Doch im Lrnst,
bester tferr Uollega, Sie müssen mir das Gxfer bringen, dies-
mal meine vertretung zu übernehmenl"

„Nicht um zwanzig tNarkl" erwiderte Wunderlich.

„tveil Sie wissen, daß ich sie nicht habel" entgegnete ich.
„Sie wissen," fuhr Wunderlich mit großer Feicrlichkeit fort,
„daß diese Inspektionsreisen für den einen so unangenehm sind,
wie für den andern. lvir haben daher einst auf lsandschlag einen
jdakt miteinander geschlossen, niemals gegenseitig Vertretung
zu fordern, um durch Ablehnung unser freundschaftliches Lin-
vernehmen nicht zu stören. Und jetzt brechen Sie den vertrag."

„Iugegebcn," erwiderte ich etwas kleinlaut. „Aber ich
glaubte, daß die Zeit, die wir miteinander hier verlebt haben,
uns freundschaftlich so weit genähert hätte, um einen wirklichen
Freundschastsdienst von Ihnen verlangen zu können."

„Ieden," gab Wunderlich zur Antwort, „nur diesen nicht.
Eben weil wir Freunde bleiben wollen, haben wir den vertrag
geschlosscn I"

„Sic wissen ja, kserr Aollega, daß morgen Rasinoball ist und
dieser nrir die erste Gelegenheit bietet, Fräulein Aätchen . . ."

„lfier will ich ja gern Ihre vertretung übernehnien," er-
widerte der boshafte Ulensch.

So „kollegaten" wir noch eine halbe Stunde hin und her,
jedoch ohne Resultat. Aergerlich verließ ich endlich das Bureau,
und obwohl ich einsah, daß Wunderlich formell im Recht war —
denn wir hatten allerdings das erwähnte Abkommen getroffen
— so war ich doch über seine bsalsstarrigkeit erbost und beschloß,
nunmehr auch keine Rücksicht mehr auf ihn zu nehmen und ihn
zur vertretung zu zwingen. Am andern Tage — mit dem
Mittagszuge sollte es fortgehen — kam ich mit verbundenem
Gesicht ins Bureau.

„Nanu, kserr praktikant," rief mir Arause eutgegen, „was
fehlt Ihnen denn?"

„Zahnschmerzen habe ich, Lserr Rat, fürchterliche Zahn-
schmerzen."

„ksm, das ist bösi"

„Ia sehr!"

Minutenlanges Schweigen.

„'s ist ein hohler, so ein verdammt hohler," nahm ich end-
lich das Thema wiedcr auf.

„Ia, ja, die machen einem viel zu schaffen," brummte teil-
nahmslos der Lserr vorstand. „ksatte auch einst als Anabe einen
und kriegte regelmäßig immer zu Weihnachten Zahnweh."
Dann wieder große pause.

„Werden wir auch streckenweit die Landkutsche benützen
inüssen?" fragte ich, indem ich gleichzeitig damit direkter auf mein
Zicl losging.

„Wie, was? Ach so, wir haben ja heute Inspektion,"
erwiderte der Lseuchler. „Nun ja, wir werden auch die Land-
kutsche benützen."

„Da zieht es gewöhnlich furchtbar darin," antwortete ich

und hielt mir mit einem plötzlichen Aufstöhnen den schmerzhaften
Backen.

„Ia so, Sic mit Ihren Zahnschmerzen — hm, fatal." —

„Ich fürchte es wird noch schlimmer werden auf der Rcise,
und da würde ich dann vielleicht genötigt sein, lherrn Rat um
llrlaub zu bitten," brachte ich stoßweise, unterbrochen von
schmerzlichen Seufzern, hervor.

„Das geht freilich nicht recht," erwiderte Arause nachdenk-
lich und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

Ich triumphierte innerlich und tat nun den entscheidenden
Schlag.

„vielleicht hätten Sie die Güte, kserr Rat, in Rücksicht auf
die Umstände, meinen Aollegen lvunderlich." — — —

Ls war zwar schlecht von mir, aber Not bricht Lisen.

Der Rat überlegte.

„Sie meinen — —? ksm, es ließe sich wohl machen —"

Ich sprang auf, machte eine dankerfüllte verbeugung, legte
die Feder wcg und warf die Schublade zu.

„— — — aber," fuhr der Mann fort, „Sie werden damit
noch immer nicht Ihre Zahnschmerzen los. Ivissen Sie was?
Gehen Sie zu Dr. Ulüllcr und lassen Sie sich auf meine Aosten
den Burschen reißen."

„Nein, nein, nur keine Umstände," wehrte er ab, als ich
irgend etwas Unzusammenhängendes stammelte, „der Mann soll
mir die Rechnung schicken und damit basta. N)ir werden das
Geld unterwegs cinsparenl"

Und ich ging zu Dr. Ulüller und ließ mir einen Zahn
reißen, während der großmütige Lserr Arause in den „Mchsen"
ging und frühstückte. Dann gingen wir miteinander auf
Inspektion.

Flie verkannten Nechturaskcn.

Verantwortlicher Redakteur: Nlax Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In G c ste rr ei ch-Ungarn für bserausgabc und Redaktion verantwortlich: Robert Ulohr in wien I.
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