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Meggendorfer-Blätter — 53.1903 (Nr. 641-653)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16703#0136
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e g g e ii d o r fe r - B l ä t t e r, BIünche 11

lZ2

Die ins wasser gefallene Moralxauke.

gutsbesitzer gen Westen. IVelche Mlle von Lrinnerungen stieg
in ihm auf, als er durch das Loupefenster die Türme der alten
lNusenstadt am bsorizonte austauchen sah. Reminiszenzen an
Stunden seuchtfröhlicher Burschenseligkeit, schimmernder Louleur-
herrlichkeit. Das alte „OLucleumus", das Alirren der Schläger
klang wieder in seinem Dhre. Und ob es wohl noch so viele
schöne tMdchen im Städtchen gab, deren therzen stets lichterloh
brannten für den kreuzfidelen Studio, wie einst vor 30 Iahren?

Da donnerte der Zug schon in die Bahnhoshalle, und vom
Bahnsteig grüßte der stattliche Studiosus den Vater. tVie vieles
sand der alte bferr auf dem Rundgang durch die Stadt verändert;
desto stärker wirkten jene Stätten, an welchen die Iahre spurlos
vorübergegangen waren, mit ihrem Lrinnerungszauber auf ihn ein.

„Sag 'mal Papa, der Brief, welcher mir Deine 2lnkunft
anzeigtc, trug noch die Adresse meiner alten Behausung. Da
hatte ich Dir wohl noch gar nicht mitgeteilt, daß ich seit dem
tlkonatsanfang eine neue tvohnung habe?"

„Aeine Silbe l Also schon wieder einmalumgezogen. tlebrigens
möchte ich Deine tsäuslichkeit gleich einmal kennen lernen."

„tvie Ou wünschest, Papa, ich wohne ganz in der Nähe."

„tNerkwürdig," meinte Aornmaier senior, als man das
Ziel erreicht hatte, und schaute immer wieder um sich, „merk-
würdig, wie bekannt mir hier alles vorkommt. Das tsaus, der
Treppenaufgang, die tvohnung. Selbst der alte Bücherspind
dort in der Lcke, der runde Sofatisch, grüßen mich wie alte
Bekannte aus längst verschollenen Zeiten."

Da lachte der Studiosus übers ganze Gesicht; wie hatte
er sich im Stillen auf diesen tNoment gefreut.

„Glaub 's schon, Papa, daß Dir hier alles bekannt erscheint,
wo Du dereinst mehrere Semester in diesen tvänden gewohnt hast."

„In der Tat?"

„Iawohll Du wirst Dich gewiß des Namens des tsaus-
besitzers, Deines einstigen Mirtes, entsinnen, des Schneider-
meisters Selbich?"

„Allerdings, jetzt fällt es mir wie Schupxen von den Augen,
ich befinde mich in meiner alten ,Bude°. Sag 'mal" — es klang
etwas stotternd, zögernd, beinahe zaghaft — „lebt denn der
alte Selbich noch?"

„Er lebt und ist noch frisch und munter. Als er meinen
Namen hörte, fragte er sofort, ob ich ein Sohn des ehemaligen
Studiosus Adalbert von Aornmaier aus Neudorf wäre. Na,
die Freude, als ich bejahte. Du, Papachen, der alte Ntann hat
cin vorzügliches Gedächtnis und erinnert sich noch der geringsten
Aleinigkeiten und Begebenheiten aus Deiner Studeutenzeit."

DenkserrnRittergutsbesitzerbeschlicheinunbehaglichesGefühl.

„Soooo?"

„Ia, Väterchenl Gestaunt habe ich, was ich da alles zu
hören kriegte. Du erinnerst Dich, daß Du bei Deinem Mirte
auch Deine Anzüge arbeiten ließest?"

„Na ja, natürlich, da er doch zufällig Schneidermeister war."

„Ia, er§o bliebst Du denn ihm nicht nur den Atietzins,
sondern auch den Schneiderlohn schuldig."

„Arthur?"

„IVozu dann noch kam, daß Du ihn so manchesmal extra
anpumptest."

„Iungel"

„Und dann väterchen, wie er Dich einmal — es war nach
einem großen Stiftungsfest-Uommerse — in der Nacht vor der
ihaustür liegend fand und Du vergeblich die verzweislungs-
vollsten Nanöver aussührtest, um das Schlüsselloch zu finden."

„So ein Bengell"

„Ivie Du sür jedes hübsche Mädchen im Städtchen schwärmtest,
und wie außer den zahlreichen rosigen Billetdoux auch so manches
Strafmandat wegen ruhestörenden LLrmes u. s. w. ins bsaus
flatterie."

„Schlingel, wirst Du wohl — —"

„Daß Du ins Aolleg gegangen bist, soll übrigens auch
vorgekommen sein."

„So ein Taugenichtsl"

„Imponiert hast Du mir, Papachen, einfach imponiert, als
mir bserr Selbich das alles erzählte."

„Ich werde den alten Schwätzer - —"

„Aber Papachen, vor mir brauchst Du Dich doch nicht zu
genieren. von meiner Seite hast Du keine Uloralpauke zu
sürchten. Treibe ich es doch selbst nicht besser. Denn da mein
tvirt zufällig Schneider ist, bleibe auch ich ihm nicht nur den
Mietzins sondern auch den Schneiderlohn schuldig, u. s. w. u. s. w.
Du bist doch gekommen, um das alles wieder einmal in Drdnung
zu bringen?"

Mit der Moralxauke, auf die sich bserr von Aornmaier so
hübsch präpariert hatte, war's diesmal nichts.

„So ein boshafter Zufall", brummte der alte lherr, „muß
der Iunge auch gerade bei meinem ehemaligen ksauswirt und
Schneider wohnen."

„,Achtung vor der Lokalbahn^ ist zwar gut, aber a bißl
viel verlangtl"

verantwortlicher Redakteuri Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
In B esterr ei ch-Un g arn für tserausgabe und Redaktion verantwortlich i Robert Mohr in lvien I.
Verlag von I. F. Schrribrr in Münchrn und Etzlingrn.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Boshaft
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "'Achtung vor der Lokalbahn' ist zwar gut, aber a bißl viel verlangt!"

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Heine, Edwin
Entstehungsdatum (normiert)
1902 - 1902
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Mann
Wanderer
Eisenbahn
Kleinbahn
Berg
Eisenbahnschiene

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 53.1903, Nr. 651, S. 132
 
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