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Meggendorfer-Blätter, Nünchen
AIs aber alles Reden nichts nützte, schickte er in den Aeller
hinunier nnd ließ einige Flaschen süßen Ungar heraufholen,
den er für solche Gelegenheiten auf Lager hielt. Den mußte
Lilly trinkcn, ob sie wollte oder nicht, u>id der Mnkcl bchaupteie,
er werde einfach nicht vom Tisch aufstehen, bis sein Bäsle
wicder so lustig sei, wie er sie kennen gclernt hatte und wieder
so fröhlich lache, wie ehedem, da sie ihin aufün Schoße saß.
Und Lilly trank denn ein Glas ums andere, und fast schien
es, als ob sie endlich auftauen wollte, als zufällig der Aanarien-
vogel, der bis jetzt geschlummert hatte, zu singen begann. Ls
ist natürlich außerordenilich schwer, die geheime Beziehung zu
entdecken, die der Gesang dieses unschuldigen Tieres zu Lillys
Leiden haben mochte, und der Forstmeister, dessen Sinn für
psychologische Feinheiten gar wenig entwickelt war, riß im
höchsten Lrstaunen Mund und Ghrcn auf, als Lilly ganz ur-
plötzlich zu weinen anfing. Und je mehr er fie zu beruhigen
suchte, um so heftiger flossen ihre Tränen, und als cr zornig und
grob wurde, da überwältigte sie ein so ausgiebiger weinkrampf,
daß dem hilf- und ratlosen Mann nichts übrig blieb, als die
kjaushälterin zu rufen, die das Mädchen schlcunigst zu Bett brachte.
Währenddessen pendelte
der alte kjerr, der als Iung-
gesclle von einem weiblichen
bjerz so wenig wußie wie sein
Dackel von der Geometrie,
sluchend und schimpfend im Zim-
mer auf nnd ab. „Areuz Birn-
baum und bsollestauda, da soll
doch gleich a siediges Dunner-
wetta neischlagal" schimpft er
und dann öffnete er wieder die
Türe und ging einige Schritte
die Treppe hinauf und horchte
ängstlich auf die Töne, die man
da hörte, auf das gleichmäßige,
ruhige Zureden und das Schluch-
zen, das zwischen hinein sich
vernchmen ließ. Und dann schlich
er wieder in seine Bude und
wischte sich den Schweiß von dcr Stirne.
Nach einer Stunde etwa trat die kjaushälterin ein und
teilte ihmmit, daß das gnädige Fräulein nunmehr eingcschlafen sci.
„Ietzt sage Sie mir nur um Gottes wille', was ischt denn
das für eine verflixte Aomödie? IVissc Sie, Bärbclc, ich hab'
dem Mädle so gut zugeredet, so gute U)ort' hab' ich ihr geben,
was ich ihr von den Augen hab' ablese könne, hab' ich getan
und gehätschelt hab' ich sie . . . bfoseknoxf und Bratwurstbändlel"
„Ich will Ihnen was sage. Das Fräule ist den Mein net
g'wöhnt, wisset Sie, da hat sie das ,weinende Llend^ kriegt."
Der Forstmeistcr maß fie mit einem Blick, in dem eine lvclt
von verachtung lag.
„Geh, schwätzen Sie doch keinen Unsinnl Drei Gläsle . .
drei winzige Gläsle . . ."
Dabei machie er eine Gebärde, aus der die Ljaushälterin
ohne großen Scharfsinn entnehmen konnte, daß er sie für voll-
ständig verrückt hielt.
„Sie haben eine Ahnung, was dem Mädle fehlt," brummte
er mißmutig von der Ljöhe seiner Menschenkenntnis herab.
Linige Tage waren verflossen. Der Forstmeifter gab sich alle
erdenkliche Mühe, das Vertrauen seiner Nichte zu gewinnen,
aber was er in einer glücklichen Stunde erreicht hatte, das ver-
darb seine Derbheit in der anderen wieder und er entfernte sich
trotz aller Geduld und Güte weit mehr von seincm Ziele, als
daß er sich ihm genähert hätte.
Lilly benützte jede Gelegenhcit ihre Schwermut zu nähren;
sie aß nichts, fie trank nichts, kaum daß sie einige Morte sprach,
und wenn sie allein war, so sang fie mit gedämpfter Stimme
traurige Lieder. Der gute Gnkel war am Lnde seiner Wissen-
schaft angelangt und vermied cs allmählich, längcr zu lfause zu
bleiben, überließ cs vielmehr seiner bjaushälterin, den trüb-
seligen Gast zu unterhalten.
Im geheimen aber grämte es ihn ganz bedeutcnd, daß
seine Bemühungen so gar keine Frucht tragen wollten, und ec
vertraute sich daher einem benachbarten Aollegen an, der vcr-
heiratet war und möglicherweise in solchen Dingen besser bc-
schlagen war als er. Der lachte ihn frischweg aus. U?as er
denn eigentlich glaube? Das Mädel wolle jedenfalls unterhalten
sein und dazu sei er, der bjerr Aollega nach seiner Meinung
nicht der ganz richtige Mann. Er solle mal seinen Assistenten,
den Aleeberger, einladen, das sei so ein Salonmensch, der werde
schon dafür sorgen, daß eine kleine Erheitcrung in den welt-
fremden Dachsbau einziehe.
Der Forstmeister schüttelte bedcnklich den Aopf. „Aleeberg?
Wer ist Uleeberg?"
„Mein ncuer Assistent, lgerr
von Aleeberg, der die Assessors-
stelle drübcn in Mogelsdorf ver-
west. Feiner Aerl."
„Soll ich den Teufel mit
Beelzebub austreiben? kfm, hm.
Aber es hat ja schließlich keine
Gcfahr. Die hat ihren Leutnant
im Aopf. Menn sie aber über
einen Aanarienvogel schon er-
schrickt, dann fällt sie mir am Lnde
gleich in Ghnmacht, wenn sie so
cinengrünenGrashupfersieht?"
„Ah bah .. Räubergeschich-
tcn. Schreib ihm, schick ihm
am Sonntag Deinen Gaul, cs
siud gute fünf Stund zu Dir
hinüber und überlaß alles übrigc
dem lieben Gott."
„Das ischt so der cinzige, der sich mit den Meibern auskeunt,"
brummte Schillinger, leerte seinen Arug und machte sich auf den
Rückweg.
Auf diese U?eise kam der Assistent v. Aleeberg zu der hohen
Thre, von dem als Rauhbein vcrschrieenen Forstmeister Schil-
linger zum Mittagessen gebeten zu werden.
Aber es schien fast so, als ob der Forstmeister mit seinen
trüben Ahnungeu recht behalten sollte.
Lilly, die sich, angeblich weil sie keine passende Toilette
desaß, zuerst geweigert hatte, zu erscheincn, benahm sich so
exzentrisch, daß dem guten Gnkel zu wiederholten Malen der
hclle Angstschweiß auf die Stirne trat. Lr hatte die deutliche
Tmpfindung, daß, wenn das Mädel noch nicht übergeschnappt
sein solltc, sie gar nicht weit entfernt sei.
Als er ihr kferrn von Aleeberg vorstellte, trat fie anstait ihm
die b^and zu reichen, einen Schritt zurück, maß ihn mit ent-
geisterten Blicken und wurde so bleich, als hätte sie ein leib-
haftiges Gespenst gesehen. Im nächsten Augenblick färbte sich
ihr Gesicht tiefrot und, indem sie sich an der Stuhllehne festhielt,
tastete sie sich wie eine Nachtwandlerin im Traume dahin-
schreitend, langsam und zugleich heftig atmend an ihren Platz.
Und dabei sprach sie kein Wort.
Ljerr von Kleeberg, der sich dieses seltsame Betragen, wie
es schien, nicht erklären konnte, suchte mit einigen höflichen
Rcdcnsarten über die peinliche Lage hinwegzukommen und warf
Meggendorfer-Blätter, Nünchen
AIs aber alles Reden nichts nützte, schickte er in den Aeller
hinunier nnd ließ einige Flaschen süßen Ungar heraufholen,
den er für solche Gelegenheiten auf Lager hielt. Den mußte
Lilly trinkcn, ob sie wollte oder nicht, u>id der Mnkcl bchaupteie,
er werde einfach nicht vom Tisch aufstehen, bis sein Bäsle
wicder so lustig sei, wie er sie kennen gclernt hatte und wieder
so fröhlich lache, wie ehedem, da sie ihin aufün Schoße saß.
Und Lilly trank denn ein Glas ums andere, und fast schien
es, als ob sie endlich auftauen wollte, als zufällig der Aanarien-
vogel, der bis jetzt geschlummert hatte, zu singen begann. Ls
ist natürlich außerordenilich schwer, die geheime Beziehung zu
entdecken, die der Gesang dieses unschuldigen Tieres zu Lillys
Leiden haben mochte, und der Forstmeister, dessen Sinn für
psychologische Feinheiten gar wenig entwickelt war, riß im
höchsten Lrstaunen Mund und Ghrcn auf, als Lilly ganz ur-
plötzlich zu weinen anfing. Und je mehr er fie zu beruhigen
suchte, um so heftiger flossen ihre Tränen, und als cr zornig und
grob wurde, da überwältigte sie ein so ausgiebiger weinkrampf,
daß dem hilf- und ratlosen Mann nichts übrig blieb, als die
kjaushälterin zu rufen, die das Mädchen schlcunigst zu Bett brachte.
Währenddessen pendelte
der alte kjerr, der als Iung-
gesclle von einem weiblichen
bjerz so wenig wußie wie sein
Dackel von der Geometrie,
sluchend und schimpfend im Zim-
mer auf nnd ab. „Areuz Birn-
baum und bsollestauda, da soll
doch gleich a siediges Dunner-
wetta neischlagal" schimpft er
und dann öffnete er wieder die
Türe und ging einige Schritte
die Treppe hinauf und horchte
ängstlich auf die Töne, die man
da hörte, auf das gleichmäßige,
ruhige Zureden und das Schluch-
zen, das zwischen hinein sich
vernchmen ließ. Und dann schlich
er wieder in seine Bude und
wischte sich den Schweiß von dcr Stirne.
Nach einer Stunde etwa trat die kjaushälterin ein und
teilte ihmmit, daß das gnädige Fräulein nunmehr eingcschlafen sci.
„Ietzt sage Sie mir nur um Gottes wille', was ischt denn
das für eine verflixte Aomödie? IVissc Sie, Bärbclc, ich hab'
dem Mädle so gut zugeredet, so gute U)ort' hab' ich ihr geben,
was ich ihr von den Augen hab' ablese könne, hab' ich getan
und gehätschelt hab' ich sie . . . bfoseknoxf und Bratwurstbändlel"
„Ich will Ihnen was sage. Das Fräule ist den Mein net
g'wöhnt, wisset Sie, da hat sie das ,weinende Llend^ kriegt."
Der Forstmeistcr maß fie mit einem Blick, in dem eine lvclt
von verachtung lag.
„Geh, schwätzen Sie doch keinen Unsinnl Drei Gläsle . .
drei winzige Gläsle . . ."
Dabei machie er eine Gebärde, aus der die Ljaushälterin
ohne großen Scharfsinn entnehmen konnte, daß er sie für voll-
ständig verrückt hielt.
„Sie haben eine Ahnung, was dem Mädle fehlt," brummte
er mißmutig von der Ljöhe seiner Menschenkenntnis herab.
Linige Tage waren verflossen. Der Forstmeifter gab sich alle
erdenkliche Mühe, das Vertrauen seiner Nichte zu gewinnen,
aber was er in einer glücklichen Stunde erreicht hatte, das ver-
darb seine Derbheit in der anderen wieder und er entfernte sich
trotz aller Geduld und Güte weit mehr von seincm Ziele, als
daß er sich ihm genähert hätte.
Lilly benützte jede Gelegenhcit ihre Schwermut zu nähren;
sie aß nichts, fie trank nichts, kaum daß sie einige Morte sprach,
und wenn sie allein war, so sang fie mit gedämpfter Stimme
traurige Lieder. Der gute Gnkel war am Lnde seiner Wissen-
schaft angelangt und vermied cs allmählich, längcr zu lfause zu
bleiben, überließ cs vielmehr seiner bjaushälterin, den trüb-
seligen Gast zu unterhalten.
Im geheimen aber grämte es ihn ganz bedeutcnd, daß
seine Bemühungen so gar keine Frucht tragen wollten, und ec
vertraute sich daher einem benachbarten Aollegen an, der vcr-
heiratet war und möglicherweise in solchen Dingen besser bc-
schlagen war als er. Der lachte ihn frischweg aus. U?as er
denn eigentlich glaube? Das Mädel wolle jedenfalls unterhalten
sein und dazu sei er, der bjerr Aollega nach seiner Meinung
nicht der ganz richtige Mann. Er solle mal seinen Assistenten,
den Aleeberger, einladen, das sei so ein Salonmensch, der werde
schon dafür sorgen, daß eine kleine Erheitcrung in den welt-
fremden Dachsbau einziehe.
Der Forstmeister schüttelte bedcnklich den Aopf. „Aleeberg?
Wer ist Uleeberg?"
„Mein ncuer Assistent, lgerr
von Aleeberg, der die Assessors-
stelle drübcn in Mogelsdorf ver-
west. Feiner Aerl."
„Soll ich den Teufel mit
Beelzebub austreiben? kfm, hm.
Aber es hat ja schließlich keine
Gcfahr. Die hat ihren Leutnant
im Aopf. Menn sie aber über
einen Aanarienvogel schon er-
schrickt, dann fällt sie mir am Lnde
gleich in Ghnmacht, wenn sie so
cinengrünenGrashupfersieht?"
„Ah bah .. Räubergeschich-
tcn. Schreib ihm, schick ihm
am Sonntag Deinen Gaul, cs
siud gute fünf Stund zu Dir
hinüber und überlaß alles übrigc
dem lieben Gott."
„Das ischt so der cinzige, der sich mit den Meibern auskeunt,"
brummte Schillinger, leerte seinen Arug und machte sich auf den
Rückweg.
Auf diese U?eise kam der Assistent v. Aleeberg zu der hohen
Thre, von dem als Rauhbein vcrschrieenen Forstmeister Schil-
linger zum Mittagessen gebeten zu werden.
Aber es schien fast so, als ob der Forstmeister mit seinen
trüben Ahnungeu recht behalten sollte.
Lilly, die sich, angeblich weil sie keine passende Toilette
desaß, zuerst geweigert hatte, zu erscheincn, benahm sich so
exzentrisch, daß dem guten Gnkel zu wiederholten Malen der
hclle Angstschweiß auf die Stirne trat. Lr hatte die deutliche
Tmpfindung, daß, wenn das Mädel noch nicht übergeschnappt
sein solltc, sie gar nicht weit entfernt sei.
Als er ihr kferrn von Aleeberg vorstellte, trat fie anstait ihm
die b^and zu reichen, einen Schritt zurück, maß ihn mit ent-
geisterten Blicken und wurde so bleich, als hätte sie ein leib-
haftiges Gespenst gesehen. Im nächsten Augenblick färbte sich
ihr Gesicht tiefrot und, indem sie sich an der Stuhllehne festhielt,
tastete sie sich wie eine Nachtwandlerin im Traume dahin-
schreitend, langsam und zugleich heftig atmend an ihren Platz.
Und dabei sprach sie kein Wort.
Ljerr von Kleeberg, der sich dieses seltsame Betragen, wie
es schien, nicht erklären konnte, suchte mit einigen höflichen
Rcdcnsarten über die peinliche Lage hinwegzukommen und warf
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Lillys Leiden
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1903 - 1903
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 54.1903, Nr. 658, S. 58
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication